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Folge 7-23 vom 17. Februar 2023 / Kölner Karneval / „Ov krüzz oder quer“ / 200 Jahre organisierter Karneval in Köln – Reglements, Verbote und neu-zeitgeistige Selbstzensur bestimmen das Narrentreiben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 7-23 vom 17. Februar 2023

Kölner Karneval
„Ov krüzz oder quer“
200 Jahre organisierter Karneval in Köln – Reglements, Verbote und neu-zeitgeistige Selbstzensur bestimmen das Narrentreiben
Siegfried Schmidtke

Köln fiebert – jahreszeitlich bedingt. Genau genommen schon seit dem „Elften im Elften“, dem offiziellen Beginn einer Session. Die Session – das ist die Zeit vom 11. November (des Vorjahres) bis zum Aschermittwoch (im aktuellen Jahr) – wird „die fünfte Jahreszeit“ genannt. Oder kurz: Karneval.
In diesem Jahr feiert der Kölner Karneval ein besonderes Jubiläum: Die
200. Karnevals-Session will beziehungsweise muss organisiert und geplant werden. Dazu gehört insbesondere ein Sessions-Motto und die Wahl eines Führungs-Trios, bestehend aus Prinz („Seine Tollität“), Bauer („Seine Deftigkeit“) und Jungfrau („Ihre Lieblichkeit“). Die Kölner sagen auch „Trifolium“ oder – seit 1937/38 – „Dreigestirn“ dazu.

Das aktuelle Sessions-Motto lautet, in kölscher Sprache: „Ov krüzz oder quer“, wörtlich übersetzt: Ob kreuz oder quer, und greift auf ein Karnevalslied von 1905 zurück. „Ov krüzz oder quer, ... – mer looße nit ... vum Fasteleer!“ Chef-Karnevalist Christoph Kuckelkorn vom Festkomitee Kölner Karneval erklärt die Bedeutung so: „Wie es also auch kommen mag, die Kölner lassen nicht von ihrem Fastelovend“, wobei „Fastelovend“ für Fastnacht beziehungsweise Karneval steht.

Als Höhepunkt der Session steht der Rosenmontagsumzug im Mittelpunkt der Planung. Das weltweit beachtete Aushängeschild des Kölner Karnevals ist nach Einschätzung von Zugleiter Holger Kirsch „Deutschlands größte Veranstaltung unter freiem Himmel“. Erwartet werden am 20. Februar in diesem Jahr eine Million Besucher am neun Kilometer langen Zugweg und vier bis fünf Millionen Zuschauer an den TV-Geräten. Etwa 12.000 Menschen werden am Zug teilnehmen: zu Fuß, auf Pferden oder auf den fast 200 Fest-, Persiflage- und Baggagewagen.
Der erste Kölner Rosenmontagszug zog am 10. Februar 1823 unter dem Motto „Thronbesteigung des Helden Carneval“ durch die 1815 preußisch gewordene Stadt Cöln. Der „Held Carneval“ war eine Art Vorläufer der späteren Figur des „Prinz Karneval“. Bis zu seinem Tod im Jahr 1837 stellte der Kölnisch-Wasser-Fabrikant Emanuel Ciolina Zanoli den „Helden“ dar. Allerdings nicht im Jahr 1830, denn damals verbot die preußische Obrigkeit „wegen politischer Kritik“ den Rosenmontagszug.

Fast schon als Sensation wird der diesjährige Zugweg gehandelt. Denn zum ersten Mal in der 200-jährigen Geschichte des Kölner Rosenmontagszuges bewegt sich „d’r Zoch“ von der rechten Rheinseite (die „Schäl Sick“ = die scheele/schlechte Seite) über die Deutzer Brücke zum „richtigen“, linksrheinisch gelegenen Köln.

Natürlich spielte diese erstmalige „Brückenquerung“ über den Rhein in der Planung eine Rolle. Wegen der Tragfähigkeit der Brücke gab es anfangs große Bedenken. „7000 Menschen sind zugelassen“, sagt Zugleiter Kirsch. Bei etwa
1800 Zugteilnehmern auf der Brücke bleibt noch Platz für 5200 Zuschauer. Das Reglement sieht daher elektronische Zugangskontrollen an den beiden Enden der Brücke vor.

Den Preußen ein Dorn im Auge

Apropos Kontrolle: Die überwiegend evangelisch sozialisierten Preußen übernahmen nach dem Sieg über Napoleon im Jahr 1815 das überwiegend katholisch geprägte Rheinland und damit auch die Stadt Cöln. Die in katholischen Landen üblichen Sitten und Gebräuche waren den neuen Herren allerdings nie ganz geheuer.

Besonders das ausgelassene, fast schon anarchische Karnevals-Treiben war ihnen ein Dorn im Auge. Da zogen nämlich alkoholisierte, betrunkene Menschen durch die Gassen und Straßen der Dörfer und Städte, urinierten an Hauswände und pöbelten ihre Mitmenschen an. Für ordnungsliebende Preußen eine Unsitte, die es zu beseitigen galt.

„Wir müssen das wieder in ordentliche Bahnen lenken und die Tradition bewahren“, befand der Kölner Kommunalpolitiker Heinrich von Wittgenstein (1797–1869). Mit Gleichgesinnten gründete er deshalb 1823 das „Festordnende Comite“ und legte damit den Grundstein für den organisierten Karneval. Der „ordnende“ Verein sollte einem drohenden Verbot des Karneval-Treibens zuvorkommen. Ausschweifendes, unangepasstes, ja, auch aufmüpfiges Verhalten gegen die Herrscher und die herrschenden Regeln sollte gebändigt oder gar unterdrückt – kurz gesagt: reglementiert werden.
Nunmehr 200 Jahre konnte der Kölner Karneval mit beziehungsweise nach diesen Prinzipien (über)leben. Ausgefallen ist der Rosenmontagszug trotzdem über 30 Mal in den vergangenen 200 Jahren: Anfangs meist durch Verbote der Preußen oder durch eine ein Verbot
vorwegnehmende Selbstkontrolle. Im 20. Jahrhundert waren Kriege und direkte oder indirekte Kriegsfolgen der Grund für ausgefallene Rosenmontagszüge: zuletzt 1991 wegen des Irakkriegs.

Hart traf die Corona-Pandemie das Dreigestirn im Jahre 2021: Der Rosenmontagszug fiel aus, wurde ersatzweise en miniature vom Kölner Hänneschen-Puppentheater simuliert. Selbst eine zweite Amtszeit im Jahr 2022 ließ das Trifolium „Zug-los“ zurück. Zur Erinnerung: Ein abgespeckter „Zoch“ sollte ein paar Runden im Fußball-Stadion drehen. Wegen des Ukrainekriegs fiel dann aber auch diese Ersatzlösung aus.
Zurück zu Selbstkontrolle und Anpassung. Die nach der Corona-Pandemie scheinbar wieder heile Welt des rheinischen Karnevals wird mit neuen Fragen konfrontiert. Welche Karnevals-Kostüme sind keine kulturelle Aneignung, welche ein Tabu? Darf sich mein Kind als Indianer, Cowboy, Chinese, Schwarzafrikaner, Polizist oder „Terrorist“ verkleiden? Einige Eltern und Lehrer in Bonn waren extrem verunsichert und fragten nach einem „Leitfaden“. Eine FDP-Abgeordnete im Düsseldorfer Landtag stellte gar die „dringliche Frage“ im Schulausschuss: „Gibt das Schulministerium Empfehlungen zur Kostümierung zu Karneval heraus?“ Die grün-schwarze Mehrheit im Ausschuss sah keine Dringlichkeit – wohl auch, um nicht mit Verbots-Empfehlungen in neue Fettnäpfchen zu treten.