29.04.2024

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Folge 08-23 vom 24. Februar 2023 / Nord Stream 2 / Wie plausibel ist Hershs Theorie? / US-Investigativ-Journalist beschuldigt Joe Biden, für die Pipeline-Explosion verantwortlich zu sein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-23 vom 24. Februar 2023

Nord Stream 2
Wie plausibel ist Hershs Theorie?
US-Investigativ-Journalist beschuldigt Joe Biden, für die Pipeline-Explosion verantwortlich zu sein
Wolfgang Kaufmann

Die US-Reporterlegende Seymour Hersh hat bereits einige große Skandale aufgedeckt. Deshalb erregte es erhebliches Aufsehen, als der 85-Jährige am 8. Februar einen Text mit dem Titel „Wie Amerika die Nord-Stream-Pipeline ausschaltete“ veröffentlichte. Darin schrieb er, der Anschlag auf die Gasleitungen am Grunde der Ostsee sei vom US-Präsidenten Joe Biden befohlen und bereits seit Dezember 2021 vorbereitet worden.

Zum genauen Tathergang heißt es, US-Marinetaucher hätten im Juni 2022 unter dem Deckmantel des NATO-Manövers BALTOPS fernzündbare Sprengsätze an den vier Strängen der Pipelines angebracht – und zwar mit tatkräftiger Unterstützung der norwegischen Marine sowie auch dem Wissen dänischer und schwedischer Militärs.

Den Befehl zur Zündung soll Biden dann im September 2022 gegeben haben, woraufhin die Norweger angeblich eine Sonarboje abwarfen, deren Signale die C-4-Ladungen an den Gasleitungen zur Explosion brachten. Als Motiv gab Hersh an: „Solange Europa von den Pipelines für billiges Erdgas abhängig blieb, befürchtete Washington, dass Länder wie Deutschland zögern würden, die Ukraine mit dem Geld und den Waffen zu versorgen, die sie brauchte, um Russland zu besiegen.“ Und das traditionell russlandfeindlich eingestellte Norwegen wiederum hätte sich von der Aktion erhofft, mehr von seinem eigenen Erdgas an die Bundesrepublik verkaufen zu können.

Wie nicht anders zu erwarten, hagelte es nach der Veröffentlichung sofort Dementis vonseiten des Weißen Hauses sowie des Pentagons und der CIA: Hershs Darstellung sei „eine absolute Lüge“ und „totale Fiktion“. Gleichzeitig ließen auch die meisten westlichen Medien kein gutes Haar an dem mehrfach preisgekrönten Reporter. Er habe schon manchmal falsch gelegen und verletze journalistische Sorgfaltsstandards. Dabei entzündete sich die Kritik in aller Regel daran, dass Hershs Ausführungen auf den Angaben einer einzelnen anonymen Quelle mit angeblich „direkter Kenntnis der operativen Planung“ beruhen. Wenn derart viele Personen in den USA sowie auch Norwegen, Schweden und Dänemark in die Aktion eingeweiht gewesen waren, wieso gibt es dann nicht wenigstens noch einen zweiten Whistleblower?

Ungereimtheiten der Argumentation

Doch das ist letztendlich nicht das einzige Problem. Obzwar Hersh eine recht überzeugende Indizienkette und logische Argumentation präsentiert, stimmen viele der von ihm angeführten Details misstrauisch. So sollen die Planer darauf verzichtet haben, auf Taucher aus dem US Special Operations Command zurückzugreifen, um eine Offenlegung der Aktion gegenüber den Geheimdienstausschüssen des Kongresses zu vermeiden. Angesichts dieser Vorsicht verwundert dann der Einbezug zahlreicher Ausländer.

Skeptisch macht darüber hinaus Hershs Behauptung, dass die Planungen für das BALTOPS-Manöver kurzfristig um Minenräumübungen erweitert worden seien, um einen Vorwand für den Einsatz der Taucher zu schaffen. Denn solche Trainingsmaßnahmen gehören zu fast jedem NATO-Marinemanöver dazu.

Dann wäre da weiterhin die Aussage, die Froschmänner der United States Navy Experimental Diving Unit hätten von einem „Minenjäger der norwegischen Alta-Klasse“ aus operiert. An BALTOPS 22 nahmen keine solchen Einheiten teil. Und auch das bei dem Manöver anwesende norwegische Minensuchboot „Hinnøy“ der Oksøy-Klasse kommt nach Lage der Dinge nicht für das Absetzen der Taucher in Frage.

Ein weiterer Stolperstein in Hershs Argumentation ist die Behauptung, die angebrachten Sprengladungen seien akribisch vor den Russen „getarnt“ worden. Die Explosionen erfolgten immerhin alle in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks, in denen die russische Marine keinerlei Minen-suchoperationen durchführt.

Ebenso kann nicht stimmen, dass ein „P-8-Überwachungsflugzeug der norwegischen Marine“ die Zündung per Sonarboje ausgelöst hat. Im September 2022 verfügte nur die Luftwaffe des Königreiches über Seefernaufklärungs- und U-Boot-Jagdflugzeuge vom Typ Boeing P-8 „Poseidon“. Und die absolvierten zu dieser Zeit Trainingsflüge entlang der West- und Nordküste Norwegens. Dabei kam keine der Maschinen näher als 1000 Kilometer an die Insel Bornholm heran, in deren Umfeld die Sprengungen erfolgten.

Angesichts der somit fortbestehenden Unklarheiten ist es dringend notwendig, das Attentat endlich umfassend aufzuklären. Doch die Nachforschungen schleppen sich derart langsam hin, dass der Eindruck entsteht, niemandem im Westen sei an der Identifizierung der Verantwortlichen gelegen. Somit erscheint die Täterschaft Russlands immer unwahrscheinlicher.