29.04.2024

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Folge 08-23 vom 24. Februar 2023 / Energiewende I / Etappensieg für Frankreich und die Kernkraft / Paris hat gegen Berlins Widerstand erreicht, dass Brüssel den mittels günstigen Atomstroms hergestellten Wasserstoff als „grün“ und „klimaneutral“ behandelt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-23 vom 24. Februar 2023

Energiewende I
Etappensieg für Frankreich und die Kernkraft
Paris hat gegen Berlins Widerstand erreicht, dass Brüssel den mittels günstigen Atomstroms hergestellten Wasserstoff als „grün“ und „klimaneutral“ behandelt
Hermann Müller

Nach dem Willen von EU-Kommission und Bundesregierung soll Wasserstoff bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen. In der Frage, wie künftig „grüner“ Wasserstoff erzeugt werden soll, tobt nun zwischen Berlin und Paris ein heftiger Streit. Im Gegensatz zur Bundesregierung fordert ihr französisches Pendant, dass Atomkraft bei der Erzeugung von „klimaneutralem“ Wasserstoff eine Rolle spielen soll. In diesem Streit haben der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die französische Regierung in diesem Monat einen wichtigen Punktsieg errungen. 

Um das EU-Siegel für „grünen“ Wasserstoff zu erhalten, dürfen die Wasserstoffproduzenten zum Betrieb ihrer Elektrolyseanlagen eigentlich nur Strom verwenden, der mittels Erneuerbarer Energien erzeugt wurde. Die EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen stimmte jedoch einer Ausnahmeregelung zu, durch die Wasserstoffproduzenten, die in einem Gebiet ansässig sind, in dem die Kohlenstoffemissionen aus dem Stromsektor unter einem bestimmten Grenzwert liegen, auch Strom nutzen können, der mittels Nicht erneuerbarer Energien erzeugt wird. 

Die Sonderregelung ist für Frankreich wie maßgeschneidert. Über das ganze Land verteilt existieren bereits 56 Reaktoren. Weitere sechs Kernkraftwerke sollen nach dem Willen Macrons in den nächsten Jahren noch dazukommen. Mit der Produktion von Wasserstoff würde sich für Frankreichs Atomkraftwerke ein sehr interessantes Geschäftsmodell ergeben. Die Elektrolyse von Wasser zur Herstellung von Wasserstoff verschlingt aufgrund des geringen Wirkungsgrades viel Strom. Die Vielzahl französischer Reaktoren führt wiederum regelmäßig dazu, dass in Frankreich nachts oft ein hoher Überschuss an Strom entsteht. Bislang haben die französischen Betreiber diese Überschüsse oftmals zu Schleuderpreisen in andere Länder exportiert. Künftig könnte das Überangebot zur Produktion von Wasserstoff genutzt werden. 

„Delegierter Rechtsakt“

Beobachter halten es für sehr unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung die von Paris unlängst bei der EU-Kommission durchgesetzte Sonderregelung noch blockieren kann. Um den „delegierten Rechtsakt“ zu kippen, müsste die Bundesregierung insgesamt noch 19 weitere Mitgliedsstaaten der EU mobilisieren. Die Erfolgsaussicht dafür schätzt Nicolás González Casares, ein Energieexperte der Sozialdemokraten im EU-Parlament, als eher gering ein. „Ich sehe nicht, dass es eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten oder im Europaparlament gegen den delegierten Rechtsakt geben wird“, so der Spanier.

Nachdem die Regelung in Brüssel durchgesetzt war, lobte Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher: „Die Überzeugungsarbeit, die ich mit meinen europäischen Kollegen geleistet habe, hat Früchte getragen.“ Tatsächlich hat bei dem französischen Erfolg auch massiver Druck eine wichtige Rolle gespielt. 

Anfang Februar hatten die Franzosen zusammen mit acht mittel- und osteuropäischen Staaten einen Brief nach Brüssel geschickt, in dem sie forderten, Atomkraft als „grüne“ Energie einzustufen. Begleitet war diese Forderung von einer verklausulierten Drohung. Die Verfasser des Briefes erklärten nämlich, europäische Pipelines für Wasserstoff würden keinen Sinn ergeben, wenn sich die EU-Staaten nicht einig seien, wie der Wasserstoff hergestellt wird. Davon angesprochen fühlen können sich die deutsche und die spanische Regierung. Beide setzen sich für das Projekt „H2Med“ ein. Dabei geht es um eine Wasserstoffpipeline, die von Spanien nach Deutschland führen soll. 

Frankreichs Kampf geht weiter

Die in Brüssel durchgesetzte Sonderregelung zur Produktion von „grünem“ Wasserstoff aus Atomstrom stellt aus französischer Sicht nur einen Etappensieg dar. Nächster Streitpunkt ist eine geplante Richtlinie mit dem Namen „RED III“. Diese soll regeln, welche Anteile die sogenannten Erneuerbaren mittelfristig am Energiemix in der EU haben werden. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission sollen die Erneuerbaren Energien den Bedarf der EU bis 2030 bereits zu rund 45 Prozent decken. Auch bei dieser Richtlinie setzt sich Frankreichs Führung für bessere Bedingungen für Wasserstoff ein, der mit Hilfe von Kernkraft erzeugt wird. 

Macron kann sich bei seinem Einsatz für die Kernkraft sogar auf EU-Recht berufen. Ein Berater von Energieministerin Pannier-Runacher wies unlängst auf Artikel 194 des EU-Vertrags hin. Dieser gibt den Mitgliedsstaaten der EU die volle Freiheit, über ihren nationalen Energiemix selbst zu bestimmen. 

Paris hat allerdings noch eine weitere Trumpfkarte. Als sich Ende Januar Olaf Scholz mit Macron zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages traf, verabschiedeten sie eine gemeinsame Erklärung. Darin heißt es: „Wir werden außerdem sicherstellen, dass sowohl erneuerbarer als auch kohlenstoffarmer Wasserstoff bei den europäischen Dekarbonisierungszielen berücksichtigt werden kann.“ Die Auslegung dieser Formulierung kann nicht nur zwischen Paris und Berlin für Streit sorgen, sondern auch zwischen Scholz’ Bundeskanzleramt und dem vom Grünen Robert Habeck geführten Bundeswirtschaftsministerium.