29.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 08-23 vom 24. Februar 2023 / Adam Scharrer / Als erster Arbeiter schrieb er ein Kriegsbuch / Der Autor von Werken wie „Vaterlandslose Gesellen“, „Weintrauben“ oder „Maulwürfe“ starb vor 75 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-23 vom 24. Februar 2023

Adam Scharrer
Als erster Arbeiter schrieb er ein Kriegsbuch
Der Autor von Werken wie „Vaterlandslose Gesellen“, „Weintrauben“ oder „Maulwürfe“ starb vor 75 Jahren
Martin Stolzenau

Adam Scharrer stammte aus dem Nürnberger Umland, bezeichnete sich selbst als „Arbeiterschriftsteller“ und übertraf mit „Vaterlandslose Gesellen. Das erste Kriegsbuch eines Arbeiters“ die diesbezüglichen Vorgängerromane von Ludwig Renn und Erich Maria Remarque in mehrerlei Hinsicht. Er überlebte die Nationalsozialisten und die stalinistischen Säuberungen im sowjetischen Exil und beteiligte sich nach 1945 in Schwerin mit vielen Aktivitäten am „antifaschistischen Wiederaufbau“ und an der Neugestaltung des literarischen Lebens. Doch trotz seiner linken Gesinnung und Schriftstellerei lagen die meisten Werke des eigenwilligen und unangepassten Autors, der zum „Verhältnis zwischen bürgerlicher Literatur und sozialistischem Realismus“ eine eigene Meinung vertrat, in der jungen DDR lange auf Eis. Erst spät gab es eine Sammelausgabe in acht Bänden, welche die ganze Bandbreite seines literarischen Schaffens und seine Bedeutung für die deutsche Literatur offenbaren. Damit erreichte der Schriftsteller, der sich in der realistischen Tradition von Jeremias Gotthelf und Peter Hebel sah und dem auch von seinen Kritikern ein „hohes literarisches Niveau“ bescheinigt wird, erst lange nach seinem Tod vor 75 Jahren eine späte Anerkennung und Nachwirkung.

Adam Scharrer wurde am 13. Juli 1889 in Kleinschwarzenlohe bei Nürnberg geboren. Das Dorf liegt zwölf Kilometer südlich von Nürnberg, wurde 1289 als Besitz des Klosters Ebrach erstmals urkundlich erwähnt und gehört heute als Ortsteil des Marktes Wendelstein zum Landkreis Roth. Sein Vater war Gemeindehirte. Er hatte zwei Geschwister und bekam nach dem frühen Tod der Mutter sowie der Wiederverheiratung des Vaters noch 15 weitere. Im Elternhaus war die Not ein Dauergast. Alle Kinder mussten früh hinzuverdienen. Adam arbeitete nach der Übersiedlung seiner Eltern nach Neunkirchen am Sand im heutigen Landkreis Nürnberger Land als Hütejunge, besuchte zwischendurch die Schule im nahen Ottensoos und durfte ab 1903 in Lauf an der Pegnitz eine Schlosserlehre absolvieren. 

Anschließend ging er ging auf Wanderschaft, bildete sich dabei autodidaktisch weiter und kam nach Berlin, wo er 1915 heiratete. 1916 wurde der Schlosser Frontsoldat. Zur Erkenntnis der sozialen Ungerechtigkeiten im Kaiserreich kamen die Kriegserfahrungen, die sein kritisches Gesellschaftsbild weiter ausprägten. 

„Arbeiterschriftsteller“ 

Nach Kriegsende und Rückkehr nach Berlin wurde er zunächst Mitglied des Spartakusbundes und dann der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), einer anarchistischen Abspaltung von der KPD. Er war im Verlaufe von Jahrzehnten in vielen Städten des Deutschen Reiches und Österreichs als Schlosser tätig, erlebte die Arbeitslosigkeit hautnah und fungierte schließlich als Redakteur der KAPD-Zeitung. Parallel veröffentlichte der Arbeiter seine erste Erzählung „Weintrauben“, die ihm wegen „literarischen Hochverrats“ einen Prozess eintrug. Danach entwickelte er sich schrittweise zum Prosaautor.

Nach einem Vorabdruck in der „Roten Fahne“ 1929 erschien 1930 sein Roman „Vaterlandslose Gesellen“. Aus Arbeiter- und Schützengrabensicht wird die Wirklichkeit des Krieges dargestellt und die Kriegsverherrlichung vieler bürgerlicher Autoren entlarvt. In der kritischen Antikriegshaltung übertraf Scharrers Werk Renns „Krieg“ von 1928 und auch Remarques berühmten Roman „Im Westen nichts Neues“, der 1929 herauskam. Scharr schildert nicht nur die erlebten Gegebenheiten. Er kommt auch zu einer politischen Analyse. Dieser Romanerstling gedieh zum Paukenschlag und machte ihn bekannt. 

Für die Nationalsozialisten war er ein Nestbeschmutzer. Sie ließen ihn nach der Regierungsübernahme 1933 steckbrieflich suchen. Scharrer flüchtete zunächst nach Prag und dann auf Einladung des Schriftstellerverbandes der Sowjetunion nach Moskau. 

Zwischenzeitlich kam in Prag sein Roman „Maulwürfe“ heraus, ein Dorfroman, der an den Realismus von Jeremias Gotthelf anknüpft. Dieser Roman wurde später zum Vorbild für Erwin Strittmatter.

Sonderbriefmarke der DDR 1989

Scharrer, der nach dem Tod seiner ersten Frau kurz mit Johanna Heinzelmann verheiratet war und ab 1931 mit seiner Sekretärin Charlotte Buss zusammenlebte, nahm 1934 in Moskau am Allunionskongress sowjetischer Schriftsteller teil. Er lebte und schriftstellerte in der Ukraine, Moskau und Taschkent. Dort entstanden Romane wie „Familie Schuhmann“ und „Der Hirt von Rauhweiler“. 

Der linke deutsche Exilant überstand die stalinistischen Säuberungen sowie den Zweiten Weltkrieg und ließ sich nach seiner Heimkehr nach Deutschland 1945 in Schwerin nieder. Dort wollte er am „antifaschistischen Wiederaufbau“ teilnehmen. Scharrer blieb nun parteilos, gehörte zu den Gründungsvätern des Mecklenburger Kulturbundes, dessen Literatursektion er leitete, und arbeitete als Redakteur bei der „Schweriner Landeszeitung“. Dabei nahm er auf die Entwicklung eines neuen literarischen Lebens in Mecklenburg und Vorpommern engagiert Einfluss und scheute nicht die Auseinandersetzung mit Schriftstellerkollegen. 

Für Schlagzeilen sorgte dabei der sogenannte Welk-Scharrer-Streit mit einem tragischen Ausgang. Nach der Gedenkrede des Schriftstellers, Journalisten und Autoren des Romans „Die Heiden von Kummerow“, Ehm Welk, für die am 17. November 1947 in Schönberg im Taunus verstorbene Schriftstellerin, Philosophin und Historikerin Ricarda Huch geriet Scharrer mit Welk in einen Streit über das „Verhältnis zwischen bürgerlicher Literatur und sozialistischem Realismus“. In der dazu geführten Podiumsdiskussion im Schweriner Kulturbund erlitt Scharrer einen Herzinfarkt. In dessen Gefolge starb er am 2. März 1948 in Schwerin, 18 Jahre vor seiner Lebensgefährtin. Er wurde 58 Jahre alt.

Erst ab 1961 bis 1979 wurde in der DDR eine Sammelausgabe seiner Werke in acht Bänden veröffentlicht. Der legendäre Welk-Scharrer-Streit wurde 1981 durch Fritz Hofmann in der Erzählung „Das Streitgespräch“ literarisch verarbeitet. 1989 veröffentlichte die Stadt- und Bezirksbibliothek Neubrandenburg zum 100. Geburtstag des Schriftstellers eine Bibliographie. Ebenfalls aus diesem Anlass gab es in der DDR eine Sonderbriefmarke. Inzwischen gibt es zahlreiche literaturwissenschaftliche Beiträge, die sein Wirken mit realistischer Prosa, autobiographischen Bezügen und volkstümlicher Sprache untersuchen. Sein umfangreicher Nachlass gehört jetzt zum Bestand der Berliner Akademie der Künste.