29.04.2024

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Folge 08-23 vom 24. Februar 2023 / Weiße Rose / Das große Wagnis der Freiheit / Vor 80 Jahren wurden Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst ermordet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-23 vom 24. Februar 2023

Weiße Rose
Das große Wagnis der Freiheit
Vor 80 Jahren wurden Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst ermordet
Klaus-Rüdiger Mai

Sophie Scholl war keine Linke, Hans Scholl kein Linker. Ihr Widerstand erwuchs aus der Liebe zur Freiheit, aus einem tiefen Christentum, aus aufgeklärter Bürgerlichkeit. 

Wie ihre Geschwister begeisterte sich Sophie Scholl 1933 zunächst im Gegensatz, bald auch schon im Widerstreit mit ihren Eltern für die Nationalsozialisten. 1933 war Sophie Scholl zwölf Jahre, Hans Scholl 15 Jahre alt. Vier Jahre später begannen die Geschwister die Lügen und die Inhumanität des Nationalsozialismus zu durchschauen und entschlossen sich schließlich, aktiven Widerstand zu leisten. Diesem Prozess, wie sie sich aus der Indoktrination lösten, wie und warum sie sich entschlossen haben, Widerstand zu leisten, wird in diesem Artikel nachgegangen, weil das Mündig-werden zu allen Zeiten das Wichtigste für jede menschliche Gesellschaft ist. 

Weder Sophie noch Hans Scholl oder ihre Freunde machten sich auch nur die geringste Illusion über die tödlichen Konsequenzen ihres widerständigen Handelns, darüber, was ihnen widerfahren würde, wenn die Gestapo ihnen auf die Spur käme. Sie wussten, dass sie einen Kampf auf Leben und Tod aus Verantwortung für Deutschland begonnen hatten. 

Ihre Erfahrung lehrte sie, dass es eines inneren Prozesses der Reinigung bedurfte. „Obgleich wir wissen, dass die nationalsozialistische Macht militärisch gebrochen werden muss, suchen wir eine Erneuerung des schwerverwundeten deutschen Geistes von innen her zu erreichen. Dieser Wiedergeburt muss aber die klare Erkenntnis aller Schuld, die das deutsche Volk auf sich geladen hat, und ein rücksichtsloser Kampf gegen Hitler und seine allzu vielen Helfershelfer, Parteimitglieder, Quislinge usw. vorausgehen.“ So stand es im vierten auf einem ihrer sechs Flugblätter, die sie unter Lebensgefahr verteilten. 

Im Verhör durch die Gestapo sagte Sophie Scholl schnörkellos: „Als weiteren und schließlich als hauptsächlichen Grund für meine Abneigung gegen die Bewegung möchte ich anführen, dass nach meiner Auffassung die geistige Freiheit des Menschen in einer Weise eingeschränkt wird, die meinem inneren Wesen widerspricht. Zusammenfassend möchte ich die Erklärung abgeben, dass ich für meine Person mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben will.“ 

Vergleich mit der „Gruppe Belter“

Wie aktuell Sophie Scholls Eintreten für die geistige Freiheit und gegen die Diktatur ist, belegt in unseren Tagen ein gratismutiger Autor, der sich offenkundig in kommunistischer Tradition sieht, der Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Sophie Scholl auf Twitter in einem Tweet als „ideologisch fragwürdige Leute“ diffamiert, deren Widerstand man „abfeiert“. Ihm dürfte entgangen sein, dass sieben Jahre, nachdem die Studenten Sophie Scholl, Hans Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell und Willy Graf sowie der Philosoph und Hochschullehrer Kurt Huber von den Nationalsozialisten ermordet worden waren, neun Leipziger Studenten und ein Tischlergeselle in der jungen, kommunistisch regierten DDR festgenommen worden sind. Die jungen Männer, die sich teils gut, teils lose, teils gar nicht kannten, fasste seiner Gewohnheit nach der sowjetische Staatssicherheitsdienst zu einer Gruppe, zur Gruppe Belter zusammen und stellte sie im Januar 1951 in Dresden vor ein sowjetisches Gericht. Einige von ihnen hatten verbotene Literatur und Flugblätter verteilt, weil sie sich gegen die Umwandlung der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) in eine kommunistische Diktatur wandten. 

Herbert Belter äußerte in der Gerichtsverhandlung, dass er sich „illegal“ betätigt habe, weil er „unzufrieden war mit der Situation an der Leipziger Universität: „Wir hatten keine Gewissensfreiheit, keine Redefreiheit und keine Pressefreiheit. Die Leipziger Universität ist eine Volksuniversität, ist Teil der DDR, und wenn die Studenten keine Freiheiten hatten, waren wir unzufrieden mit der Situation in der DDR. Wir kämpften für die Verfassungsrechte an der Universität, da die Universität eine Festung der Wissenschaft in der DDR ist.“ Die Studenten empörten sich darüber, dass die für 1949 versprochenen freien Wahlen um ein Jahr verschoben wurden und dann auch nicht mehr als freie, sondern als Blockwahlen stattfanden. Dafür wurden sie zu zehn, zu 25 und zu zweimal 25 Jahren sowie Herbert Belter zum Tode verurteilt. 

Sophie Scholl zählte gerade einmal 21 Jahre, als sie noch am Tage des Prozesses auf Weisung nationalsozialistischer Richter durch das Fallbeil hingerichtet wurde. Auch Herbert Belter war 21 Jahre, als er nach zwei Monaten in der Todeszelle in Moskaus Butyrka, am 28. April 1951 im Keller des berüchtigten Gefängnisses auf Weisung eines kommunistischen Richters durch Genickschuss ermordet wurde. Der Leipziger Theologiestudent Werner Ihmels wurde am 11. September auf dem Leipziger Hauptbahnhof vom sowjetischen Staatssicherheitsdienst verhaftet, vom sowjetischen Militärgericht wegen „Spionage“ und „illegaler Gruppenbildung“ zu 25 Jahren verurteilt. Am 25. Juni 1949 starb Werner Ihmels an den Folgen der unmenschlichen Haftbedingungen durch einen fehlgeschlagenen medizinischen Eingriff an Lungentuberkulose. Die illegale Gruppenbildung bezog sich auf Ihmels Engagement in der christlichen Jugendarbeit. In einem Brief hatte er 1945 geschrieben: „Wir wollen eine deutsche Jugend unter Christus sein.“ 

Brief der Schwester an die FDJ

Als die Hochschulgruppe der Freien Deutschen Jugend (FDJ) an der Universität München sich fast zeitgleich den Namen „Geschwister Scholl“ gab, in dem Jahr, in dem man in Leipzig die neun Studenten und den Tischlergesellen verhaftet hatte, versuchte Inge Scholl, die älteste Schwester von Hans und Sophie Scholl, die Namensgebung rückgängig zu machen. Sie schrieb an die Münchener Hochschulgruppe der FDJ einen Brief, der 1951 in der Sendung „Studenten kommen zu Wort“ im Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) verlesen wurde und in dem sie deutlich formulierte: 

„Sie können mich nicht glauben machen, dass Ihre Gruppe nicht mit dem Regime in der Ostzone in Einklang steht. Ihre propagandistischen Schlagworte beweisen es zu Genüge … Selbst, wenn ich all das abstreichen würde, was über die politische Linie der FDJ in der westlichen Presse steht, würden mir die persönlichen Berichte von Freunden aus der Ostzone genügen, um festzustellen, dass der Name meiner Geschwister mit diesen Gruppen unvereinbar ist. Meine Geschwister waren Christen von einer tiefen, unerschütterlichen Überzeugung, dies wäre jedoch kein Grund, dass sich Andersdenkende ihnen verbunden fühlen könnten. Denn meine Geschwister waren sich bewusst, dass eine große Zahl von Überzeugungen und Meinungen in der heutigen Welt existieren und dass es uns auferlegt ist, in dieser Verschiedenheit zu leben, sie zu ertragen und zu achten. Sie waren Andersdenkenden gegenüber aufgeschlossen, suchten leidenschaftlich nach gemeinsamen Ansatzpunkten und achteten jede ehrliche und echte Überzeugung. Sie hatten in der tödlichen Gleichschaltung des Dritten Reiches eines begreifen gelernt, nämlich dass eine tiefe, wirkliche Toleranz allein das Leben in dieser Vielfalt von Meinungen möglich macht … Nur gegen etwas kannten sie keine Toleranz, gegen jede Art von totalitärem Regime, welcher Farbe, welcher Nation und welchen Programms es sich immer bediente. Sie sahen im Totalitarismus und in der Diktatur einen Feind des Lebens und die Bedrohung jeder lebendigen Entwicklung, sie misstrauten tief jeder Weltanschauung und jedem Staat, der um scheinbar höherer, gemeinschaftlicher Ziele Willen auch nur ein Menschenleben bewusst zerstört.“

Am 22. Februar 1943, vor achtzig Jahren, wurden Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst ermordet. Die Gefahr, dass eine Demokratie in eine Diktatur kippt, besonders, wenn es gilt, nicht „verhandelbare“ höhere Ziele zu verwirklichen, von denen das Überleben der Menschheit angeblich abhängt, ist latent. Nicht umsonst warnte Ernst-Wolfgang Böckenförde in dem berühmten Diktum: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Da man auch von beiden Seiten vom Pferd fallen kann, lautet Sophie Scholls und Hans Scholls Vermächtnis, wachsam gegen jede Art von Diktatur zu sein, in welchen Farben sie sich auch immer zeigen mag. 

Hans Scholl rief, bevor das Fallbeil ihn tötete: „Es lebe die Freiheit!“, Sophie Scholl hatte auf die Rückseite ihrer Anklageschrift zweimal das Wort Freiheit geschrieben. In einem Brief im August 1941 schrieb sie: „Manchmal schon, besonders in letzter Zeit, empfand ich es als bittere Ungerechtigkeit, in einer solchen von Weltgeschehen ganz ausgefüllten Zeit leben zu müssen. Aber das ist natürlich Unsinn, und vielleicht sind uns wirklich heute Aufgaben, nach außen und mit der Tat zu wirken, gestellt.“

Info

Dr. Klaus-Rüdiger Mai ist Schriftsteller und Publizist. Dieses Jahr erschien seine Monographie „Ich würde Hitler erschießen. Sophie Scholls Weg in den Widerstand“, Bonifatius Verlag, Paderborn 2023, Klappenbroschur, 192 Seiten, ISBN 978-3-98790-000-6.