29.04.2024

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Folge 08-23 vom 24. Februar 2023 / Brauchtum / Zeit der Buße und des Verzichts / Fasten dient in vielen Kulturen der Reinigung – Christen suchten die Versöhnung mit dem zornigen Gott

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-23 vom 24. Februar 2023

Brauchtum
Zeit der Buße und des Verzichts
Fasten dient in vielen Kulturen der Reinigung – Christen suchten die Versöhnung mit dem zornigen Gott
Bärbel Beutner

Der März ist im Jahr 2023 der Fastenmonat. Karneval fiel auf den 20./21. Februar, nach Rosenmontag und Fastnachtsdienstag kommt der Aschermittwoch, und dann beginnt die Fastenzeit bis zum Sonnabend vor Ostern. So war es jedenfalls früher. Man sollte sich so auf das Osterfest vorbereiten, mit einer Zeit der Buße und des Verzichts.

Die Fastenzeit vor Ostern fällt in unseren Breiten in eine Zeit, in der die Wintervorräte früher allmählich zur Neige gingen. Da war das Fasten naheliegend, denn es wuchs draußen noch nichts. Christine Brückner lässt in ihrem Buch „Wenn du geredet hättest, Desdemona. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ Katharina von Bora zu Wort kommen, Luthers Frau Käthe, die ehemalige Nonne, die Luther viele Kinder gebar und ihm einen großen Haushalt mit täglich an die dreißig Tischgästen führte. „Es ist gut eingerichtet“, sagt sie, „daß die Fastenzeit ins frühe Jahr fällt, wo nichts im Garten wächst. Wenn die Würste gegessen sind. Im Sommer und Herbst, wenn alles reift und geerntet wird, da hätte keiner von euch das Fasten eingehalten. Vor leeren Tischen ist gut fasten. Und Ostern legen die Hennen ja auch wieder, da sprießt der Kohl noch mal, da werden die Zicklein geboren.“

Wintervorräte gingen zur Neige

So war es früher. In unserer Welt heute ist zu jeder Jahreszeit alles zu haben. In unserem Schlaraffenland gibt es Sommer wie Winter Obst und Feldfrüchte, Fleisch und hundert Brotsorten, Zuckerwaren und Delikatessen aller Art – wenn man das nötige Kleingeld hat. Ende August kann man bereits Lebkuchen, Zimtsterne und Dominosteine kaufen, und gleich nach Neujahr erscheinen die ersten Schoko-Hasen und Eier aus Krokant und Marzipan. Kein Fest wird in Ruhe abgewartet.

Das war nicht immer so. In unserer Kindheit wurden Süßigkeiten vor Weihnachten frühestens vom Nikolaus gebracht, vielleicht auch schon zum 1. Advent, und vor Ostern gab es eine richtige Fastenzeit. In den 50er und 60er Jahren wurden in den katholischen Kirchen die Fastengebote verlesen. Erwachsene sollten nur einmal täglich eine sättigende Mahlzeit zu sich nehmen, ansonsten nur kleine Stärkungen. 

Fleischgenuss war drastisch einzuschränken. Auf Tabak, Alkohol, Bohnenkaffee sollten die Erwachsenen verzichten, die Kinder auf Süßigkeiten. Genüsse wie Torte und Eis waren tabu (Eis gab es sowieso erst wieder im Sommer). Feste waren zu vermeiden, auf Vergnügungen wie Kino, Theater, Zirkus sollte man verzichten. Zusätzlich sollte sich jeder noch ein persönliches „Fastenopfer“ überlegen; für Kinder konnte das bedeuten, dass sie in der Fastenzeit mit einem Lieblingsspielzeug nicht spielten, denn „wir sollen uns abtöten“, wie eine Schülerin brav in der „Christenlehre“ zitierte. 

Auch gab es in der katholischen Kirche das Gebot der absoluten Nüchternheit, also des Fastens vor der Kommunion. Manch einer machte sich ein schweres Gewissen, wenn er einen Schluck Wasser getrunken hatte, vielleicht beim Zähneputzen, und essen durfte man auf keinen Fall. 

Gebot der Nüchternheit

Dieses Gebot wirkte, wie Agnes Miegel schildert, noch lange bei den Salzburger Protestanten nach. In der Erzählung „Der Geburtstag“, die vierte der „Geschichten aus Alt-Preußen“, wird der 90. Geburtstag des Besitzers Johann Eitersberger gefeiert, der als Neunjähriger an der Hand seiner Mutter aus dem Salzburger Land nach Preußen wanderte. Haus und Hof mussten die Ausgewiesenen zurücklassen. Jetzt nach acht Jahrzehnten gehört man in der Gumbinner Gegend zu der angesehenen Oberschicht. Der Superintendent kommt in das Haus des Jubilars, um ihm das Abendmahl zu bringen, in einer feierlichen Zeremonie. 

Und da fällt dem gebrechlichen alten Herrn mit Schrecken ein, dass er gefrühstückt hat! Mine Krupat, seine litauische Pflegerin, hat ihn mit frischer Milch und mit weißem Brot versorgt, auf Anordnung seiner Schwiegertochter. Zwischen ihm und der Krupatschen entsteht ein für den Leser aufschlussreiches Gespräch. „Ich hab ja gegessen!“ Der alte Herr ist ganz entsetzt, als ihm das einfällt. Die Krupatsche beruft sich auf ihre Chefin, auf die „ochgeehrte Frau“, die gesagt hat: „Sieh zu, daß der Vater was ißt, sonst verschwacht er!“ Das Geburtstagskind kann sich nicht beruhigen. „Wenn das die Mutter wüßt ... Die ganze Nacht haben wir aufgesessen und gebetet, wenn wir in Budwethen zur Kommunion gingen.“ Die Krupatsche sieht die Dinge einfacher und praktischer, wie alle Frauen bei Agnes Miegel. „War ja nich Kuchen!“, beschwichtigt sie. 

Die katholischen Fastengebote wurden 1966 nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) durch eine neue „Bußordnung“ geändert. Aber das Fasten gibt es in allen Religionen und Kulturen. Allein der Brockhaus füllt zwei Spalten mit diesem Thema. Fasten dient der inneren Reinigung, der Versöhnung mit dem zornigen Gott, der Begegnung mit dem göttlichen Geist in der Ekstase, es gehört zu bestimmten Ritualen und Feiertagen. In unserer offenen Gesellschaft erleben alle den islamischen Ramadan mit und begehen das Fastenbrechen oft gemeinsam mit den muslimischen Mitbürgern. Muslimische Kinder ab acht Jahren, die gerade anfangen zu fasten, erhalten besondere Zuwendung. Man geht mit ihnen in die Stadt oder in den Zoo, sie bekommen kleine Geschenke, um sie abzulenken und ihnen die Stunden des Hungerns zu erleichtern. Bei Einbruch der Dunkelheit werden sie mit Spezialitäten der orientalischen Konfekt-Tradition belohnt.

Fastenzeit in anderen Religionen

Auch der höchste jüdische Feiertag, das Versöhnungsfest Jom Kippur, gehört wieder zu unserem Jahresrhythmus, mit einem strengen 24-stündigen Fasten. Was bewegt die Menschen, sich im Verzicht zu üben und sich Opfer aufzuerlegen? Als Vorbereitung zu den großen Festen – die Adventszeit war früher ebenfalls eine Buß- und Fastenzeit – erhöhte sich dadurch die Freude des Feierns. Nach der Zeit des Verzichts ließ es sich mit gutem Gewissen schwelgen, die entbehrten Genüsse waren nun etwas Glanzvolles, das Belohnungssystem im Gehirn lief auf Hochtouren.

Doch auch heute besinnen sich die Menschen wieder auf die Fastenzeit. „Sieben Wochen ohne“, heißt die Losung. Da gibt es eine große Auswahl. Es müssen nicht Nahrung und Genussmittel sein. Starke Naturen lassen sieben Wochen das Auto stehen, schalten den Fernseher ab oder verzichten sogar – wenn es im Alltag möglich ist – auf das Smartphone. 

Warum? Der Mensch will wissen, was er schaffen und durchhalten kann. Er will austesten, wie weit er von irgendetwas unabhängig werden kann. Letztlich geht es ihm um seinen freien Willen, um seine Freiheit. Interessant zu beobachten, dass er sich gerade dann freiwillig etwas auferlegt, wenn die Vorschriften gelockert oder sogar abgeschafft werden.