05.05.2024

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Folge 09-23 vom 03. März 2023 / Erziehung / Der dauergestresste Nachwuchs / Mehr als nur besorgte Helikopter-Eltern – JIWA-Eltern treiben vor allem in China ihre Kinder zu schulischen Bestleistungen an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-23 vom 03. März 2023

Erziehung
Der dauergestresste Nachwuchs
Mehr als nur besorgte Helikopter-Eltern – JIWA-Eltern treiben vor allem in China ihre Kinder zu schulischen Bestleistungen an
Stephanie Sieckmann

In China gibt es einen neuen, besorgniserregenden Trend. Eltern fördern ihren Nachwuchs bis über die Schmerzgrenze hinaus. Das Ziel ist klar definiert und lautet: die Zukunft des einzigen Kindes bestmöglich sichern. Doch bei dieser Entwicklung gibt es kaum Gewinner. Die Kinder werden um ihre Kindheit gebracht, die Eltern um ihr Vermögen. 

Die neue Art der Fürsorge für das Kind wird „JIWA-Parenting“ genannt. Benannt nach einer früheren chinesischen Therapieform ist dieser Trend denn auch im Reich der Mitte beheimatet. Lange Zeit hatte die Regierung mit der Ein-Kind-Politik das Bevölkerungswachstum regulieren wollen. Nun steht sie vor einem neuen Problem. Jetzt wünscht die Politik, dass Familien mehr Kinder bekommen. 

Doch ein großer Teil von Chinas Eltern gibt aktuell aufgrund ehrgeiziger Ziele 25 bis 50 Prozent des Einkommens für Ausbildung, Förderung und Nachhilfe seines einzigen Kindes aus. Ein zweites Kind kann sich da niemand leisten. Eine tragische Entwicklung. Die Kinder von JIWA-Eltern lernen von früh bis spät, viele Kinder gehen erst gegen Mitternacht schlafen, weil der Tag mit wichtigen, ernsthaften Terminen angefüllt ist. Das Kind-Sein bleibt auf der Strecke, Spielen und sich verabreden kennen diese Kinder nicht. 

Schon im Krabbelalter wird der Nachwuchs mit sinnvollen, ausgewählten Dingen beschäftigt. Die Förderung der Synapsenbildung ist schließlich Grundlage, und der zweibeinige Familien-Schatz wird schon in diesem Alter für Prüfungen des geplanten Studiums angemeldet. Lesen und Schreiben, Kalligraphie oder das Programmieren mit iPads stehen schon im Vorschulalter auf dem Plan. 

Das Erlernen von Sportarten und Musikinstrumenten gehört ebenso zur Förderung wie Sprachunterricht. Schon Fünfjährige verbringen ihre Nachmittage mit dem Lösen mathematischer Aufgaben.  Bei so viel Frühförderung ist klar, wohin die Reise geht. In der Schule wird darauf abgezielt, dass die Nachwuchshoffnung der Familie Bestnoten nachhause bringt. Nachhilfeunterricht boomt deshalb in China und hat sich zum Milliardengeschäft entwickelt. 

Nur wer ausgezeichnete Leistungen in der Schule bringt, hat anschließend die Möglichkeit, einen der begehrten Plätze auf einer Elite-Universität zu bekommen. Genau darin sehen die JIWA-Eltern die besten Chancen auf ein erfolgreiches und finanziell abgesichertes Leben. Dass den Kindern entscheidende Erfahrungen vorenthalten werden, ist ein Preis, den JIWA-Eltern in Kauf nehmen. Schließlich gehen sie selbst über ihre eigenen Grenzen hinaus. Viele Elternpaare verschulden sich für die Ausbildung des Kindes.

Wäre es noch erlaubt, würden einige von ihnen sogar die Anwendung von Hühnerblut in Betracht ziehen. Daher stammt auch der Name „JIWA-Eltern“. In den 1950er Jahren ist es in China vorgekommen, dass Kindern Hühnerblut gespritzt wurde, um sie auf diese Weise zum Lernen anzuregen. Die Maßnahme ist inzwischen längst verboten.  Nun ist der Trend der extremen Lernförderung zurück. Und wird wieder JIWA-Parenting genannt. Das alte Ziel zeigt sich in einer modernen Form.