05.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 10-23 vom 10. März 2023 / Die stillen Reserven im eigenen Land / Die demographische Entwicklung und der Bedarf an Fachkräften dienen der deutschen Politik regelmäßig zur Begründung ihrer Migrationspolitik. Dabei schlummern hierzulande Potentiale, mit denen der Mangel auch so behoben werden kann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-23 vom 10. März 2023

Die stillen Reserven im eigenen Land
Die demographische Entwicklung und der Bedarf an Fachkräften dienen der deutschen Politik regelmäßig zur Begründung ihrer Migrationspolitik. Dabei schlummern hierzulande Potentiale, mit denen der Mangel auch so behoben werden kann
Josef Kraus

Wenn es um den Bedarf an Fachkräften qua Zuwanderung geht, schwirren gigantische Zahlen durch die Öffentlichkeit. Nach Angaben des von 2017 bis 2022 amtierenden Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele (SPD), braucht Deutschland mindestens 400.000 Zuwanderer pro Jahr. Manche „Arbeitsmarktforscher“ meinen gar, pro Jahr sei eine Million zugewanderter Fachkräfte notwendig.

Diese Zahlen dürften regierungsfreundlich überhöht sein, um die Zuwanderungspolitik der „Ampel“ zu legitimieren. Tatsache ist: Der Geburten-/Sterbesaldo gibt diese Zahlen nicht her. In den Jahren von 2017 bis 2022 gab es einen Sterbeüberschuss zwischen jährlich 147.000 (2017) und 228.000 (2021, ein Corona-Jahr). 1971 gab es in Deutschland (West und Ost zusammen) zum letzten Mal einen positiven Bevölkerungssaldo. Damals wurden 47.773 mehr Geburten als Sterbefälle registriert. Auch die sogenannte Überalterung darf man nicht dramatisieren. In der Alterskohorte der jungen Erwachsenen zwischen 20 und 25 Jahren gibt es pro Geburtsjahr rund 65.000 Personen weniger als in den einzelnen Geburtsjahrgängen der Alterskohorte zwischen 60 und 65 Jahren. Um das auszugleichen, braucht man keine 400.000 oder gar eine Million Zuwanderer pro Jahr. 

Eine ernüchternde Bilanz

Tatsächlich wurden noch nie auch nur die 400.000 erreicht, und sie sind auch nicht nötig. 2021 konnten die altersbedingten Abgänge aus sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nur zu rund 56 Prozent durch Zugewanderte aus EU- und Drittstaaten ersetzt werden. Das heißt: Die Bilanz des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes von 2020 ist ernüchternd: 2021 sind über Programme der Bundesagentur für Arbeit nur 3200 Fachkräfte aus dem Ausland auf dem deutschen Arbeitsmarkt vermittelt worden. Nicht einmal Vereinbarungen mit Ländern wie Indonesien, Mexiko oder Kolumbien halfen großartig weiter, als explizit um Handwerker und Pflegekräfte geworben wurde. 

Insgesamt lebten – unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltstitel – im Jahr 2021 knapp 2,72 Millionen Menschen in Deutschland, die wegen der Arbeit zugewandert sind. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Ausländer von außerhalb der Europäischen Union (EU), die befristet zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sind, seit 2011 zwar deutlich gestiegen. Ende 2021 waren 295.000 Menschen im Ausländerzentralregister erfasst, die eine befristete Aufenthaltserlaubnis für eine Erwerbstätigkeit hatten. 2011 waren es noch 90.500 Menschen mit einem solchen Aufenthaltstitel. Ausländer aus Nicht-EU-Ländern hatten 2021 am häufigsten die indische Staatsangehörigkeit: elf Prozent (33.900). Knapp ein Viertel (24 Prozent) der ausländischen Arbeitskräfte waren Ende 2021 akademische Fachkräfte mit der 2012 EU-weit eingeführten „Blue Card“ – also mit einem Hochschulabschluss.

Die aktionistischen Fachkräfte-„Einkaufs“-Touren führender Politiker blieben gleichwohl ohne großen Erfolg, und sie werden vermutlich ohne nennenswerten Erfolg bleiben. Das gilt für die Initiative des Ex-Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der 2019 nach Mexiko reiste, um Pflegekräfte anzuwerben. Die fünf Top-Herkunftsländer der in Deutschland tätigen ausländischen Pflegekräfte waren zu diesem Zeitpunkt Polen, Bosnien und Herzegowina, die Türkei, Kroatien sowie Rumänien. Corona mit den Reisebeschränkungen machte Minister Spahn indes einen Strich durch die Rechnung. 

Die gleiche Absicht hatten gerade erst Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil sowie Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD). Sie flogen im Februar 2023 nach Ghana und Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste). In Ghanas Hauptstadt Accra eröffnete Schulze das „Ghanaisch-Europäische Zentrum für Arbeitsplätze, Migration und Entwicklung“. Es soll Vorbild für acht weitere Zentren in Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Nigeria, Irak, Pakistan und Indonesien werden. 150 Millionen Euro will das Schulze-Ministerium dafür ausgeben. Ziel: Man will vor allem Pflegekräfte gewinnen. Trotz Kritik der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sagt, dass Ghana selbst einen kritischen Mangel an Pflegepersonal habe. Und Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bei seinem jüngsten Besuch im Februar 2023 in Indien die Anwerbung von IT-Fachkräften im Auge. Ob es sich bei all diesen Touren nicht um eine Form von kolonialismusähnlicher Ausbeutung handelt?

Deutsche in der Demographiefalle 

Nun ist seit 31. Dezember 2022 das „Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts“ in Kraft. Fragen wir uns dennoch: Brauchte man dieses Gesetz, und brauchen wir wirklich, wie Politik und Wirtschaftslobby insinuieren, massenhaft Zuwanderung? Die klare Antwort: Nein!

Klar: Die Deutschen sitzen in ihrer eigenen Demographiefalle. Gab es in den beiden Teilen Deutschlands 1960 noch 1,3 Millionen und 1970 – also nach dem „Pillenknick“ – noch 1,0 Millionen Geburten, so war diese Zahl 1980 auf 0,86 Millionen gesunken. 2021 gab es 0,79 Millionen Geburten, 2022 wohl deutlich weniger (die exakten Zahlen liegen noch nicht vor). Das Zeugungsverhalten der Deutschen ist also deutlich rückläufig. Pro gebärfähige Frau war die Zahl ihrer Kinder in der alten Bundesrepublik auf bis zu 1,28 (im Jahr 1985; heute ca. 1,50) gefallen, wo für eine ausgeglichene Alterspyramide doch 2,1 Kinder pro Frau notwendig wären. Eine erhebliche Rolle spielt dabei die Tatsache, dass es in Deutschland seit Ende der 1960er Jahre mindestens sechs Millionen Abtreibungen gab.

Die Bevölkerung Deutschlands ist gleichwohl von 79,75 Millionen (1990) auf 84,3 Millionen (Januar 2023) gestiegen. Es dürfte aufgrund dieses Zuwachses zumal von Zuwanderern jüngeren Alters (das durchschnittliche Einreisealter lag 2021 bei 24,8 Jahren) also keinen Fachkräftemangel geben. 

Ungenutzte Potentiale

Zudem schlummern innerdeutsch nicht unerhebliche Potentiale: Jedes Jahr bleiben rund 100.000 junge Leute ohne Bildungs- und Berufsabschluss. Ein Drittel der derzeit 2,9 Millionen Studenten wird vermutlich ohne Abschluss bleiben. Das Alter der Hochschulabsolventen mit Masterabschluss hat sich bei knapp über 27 Jahre eingependelt. Das heißt: Viele Hochschulabsolventen kommen recht spät auf den Arbeitsmarkt. Die deutschen Hochschulen installieren zudem immer mehr Studiengänge, die nichts zum Sozialprodukt beitragen – siehe die Studiengänge in Genderforschung, kritischer Weißseins-Forschung, postkolonialer Forschung …

Zuwanderung hin oder her: Damit allein ist es schon deshalb nicht getan, weil die Zugewanderten oder deren auch in Deutschland geborene Kinder bei Schulleistungstests oft ein bis zwei Schuljahre hinterherhinken. Das hat sich in allen Schulleistungsstudien seit dem Jahr 2000 bestätigt – soweit die Autoren von PISA, IGLU oder IQB-Studien diese Tatsache nicht unter den Tisch fallen ließen oder verschleierten. Nur wenige mutige Forscher bringen es auf den Punkt: Der Chemnitzer Psychologieprofessor Heiner Rindermann stellte 2015 fest: Ingenieure, die aus dem Nahen Osten nach Deutschland kommen, haben Realschulniveau. Das vergleichsweise niedrige Bildungsniveau Zugewanderter (hier im Alter von 25 bis 34) wird auch von „Eurostat“ bestätigt. Danach sind 29,2 Prozent „Niedrigqualifizierte“, das heißt, sie haben keine Berufsausbildung und keinen höheren Schulabschuss (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft). 

Außerdem: Jährlich verlassen mehrere hunderttausend Deutsche das Land, viele für einige Jahre, viele auf Dauer – meist junge, akademisch oder anderweitig gut qualifizierte Leute. Viele aus beruflichen Gründen, viele wegen andernorts besserer Verdienstmöglichkeiten, viele wegen des deutschen Steuersystems und wegen hoher Lebenshaltungskosten in Deutschland. Viele auch wegen des politisch stickigen Klimas in Deutschland. Seit 1991 etwa sind 1,3 Millionen Deutsche ausgewandert und nicht zurückgekehrt.

Obendrein gab es in Deutschland im Januar 2023 2,6 Millionen Arbeitslose. Und ein Drittel (exakt 32,1 Prozent) davon ist jünger als 35 Jahre. Das bedeutet: Zuletzt waren/sind fast 900.000 Arbeitslose jünger als 35, also fähig für eine Ausbildung oder eine Umschulung, die auf längere Sicht trägt.

Hinzu kommen gewisse Mentalitätswandlungen: Der deutsche Michel macht in immer größerer Zahl auf „Work-Life-Balance“ und in der Folge auf Vier-Tage-Woche. Damit fällt ein Fünftel seiner bisherigen Arbeitszeit aus. Und: Die „Ampel“ hat ein Bürgergeld installiert, das man gegebenenfalls ab dem 15. Lebensjahr haben kann und das so manchen Bezieher dieser Wohltat zumindest ebenso gut dastehen lässt, wie wenn er einem Vollzeitjob nachginge. Der Deutsche Handwerksverband kritisierte nicht ganz zu Unrecht, dass das Bürgergeld Geringverdiener antriebslos mache: „Die Verbesserungen für die Bezieher beim Schonvermögen, der Wegfall von Sanktionen, die deutliche Anhebung des Regelsatzes, die komplette Übernahme der stark gestiegenen Heizkosten – all das wird dazu führen, dass sich für mehr Menschen als bisher das Nicht-Arbeiten mehr lohnt als das Arbeiten.“

Lösungsansätze

Die demographische Entwicklung lässt sich nicht umkehren. Aber es gibt Möglichkeiten, mit dem Fachkräftemangel mit Binnenkräften und auch ohne hohe Zahlen an Zuwanderern klarzukommen. Es muss erstens gelingen, die Zahl der Bildungs-, Ausbildungs- und Studienabbrecher wenigstens zu halbieren, dann stehen pro Jahr 200.000 bis 300.000 Fachkräfte zusätzlich zur Verfügung. Es muss zweitens gelingen, das jüngere Drittel der Arbeitslosen zu qualifizieren oder umzuschulen, dann steht eine halbe Million Arbeitskräfte mehr zur Verfügung. Es muss drittens gelingen, die Zahl der Auswanderer zu halbieren, dann stehen sofort ein- bis zweihunderttausend Hochqualifizierte zur Verfügung. Es muss viertens gelingen, das Rentenalter anzuheben, dann steht mindestens eine halbe Million Fachkräfte mehr zur Verfügung. Eine unsoziale Maßnahme wäre das nicht, es wäre dies ein Beitrag zu einem ausgeglichenen Generationenvertrag. Denn die Lebenserwartung steigt unvermindert an. Konkret: In Deutschland betrug die Lebenserwartung von Frauen im Jahr 2021 im Schnitt 83,4 Jahre, bei Männern im Schnitt 78,5 Jahre.

Deutschland hätte auch ohne Zuwanderung eine „stille Reserve“ an mindestens zwei bis drei Millionen Fachkräften. Das schließt das Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland nicht völlig aus. Aber dann eben nicht als Anwerben ins deutsche Sozialsystem, sondern ins deutsche Beschäftigungssystem. Es muss um ein Modell gehen, wie es etwa Kanada, Australien und Neuseeland praktizieren. Von hundert Zuwanderern, die man dort aufnimmt, werden 80 aufgrund ihrer Qualifikation aufgenommen, zehn Prozent aus Gründen der Familienzusammenführung und zehn Prozent aus humanitären Gründen.

Josef Kraus war bis zur Pensionierung 2015 Gymnasialdirektor in Niederbayern und von 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Zu seinen Büchern gehören „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (Herbig 2017) und „Der deutsche Untertan. Vom Verlust des eigenen Denkens“ (Langen Müller 2021).