05.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 10-23 vom 10. März 2023 / Königstein / Ein Ort der Spiritualität und Nachrichtenbörse / Wie das „Vaterhaus der Vertriebenen“ zum Erinnerungsort wurde – Gräber von Kaller, Kindermann und van Straaten bei der Pfarrkirche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-23 vom 10. März 2023

Königstein
Ein Ort der Spiritualität und Nachrichtenbörse
Wie das „Vaterhaus der Vertriebenen“ zum Erinnerungsort wurde – Gräber von Kaller, Kindermann und van Straaten bei der Pfarrkirche
Norbert Matern

Es gab im Nachkriegsdeutschland wohl kaum einen Vertriebenen, in Osteuropa kaum einen katholischen Priester und im Ostblock kaum einen politischen Journalisten, der nicht den Namen „Königstein“ kannte. Das kleine Städtchen im Taunus war Sitz der „Königsteiner Anstalten“ mit Gymnasium, Theologischer Hochschule und „Haus der Begegnung“, geschaffen von drei Prälaten, deren Denkmal heute auf dem zum Erinnerungsort gewordenen Gelände steht und deren Gräber sich hinter der Pfarrkirche befinden: des ermländischen Bischofs Maximilian Kaller, des sudetendeutschen Professor Weihbischof Adolf Kindermann und des belgischen Prämonstratenser-Paters  Werenfried van Straaten, – Speckpater genannt. Die Hochschule sollte die verlorenen Seminare in Breslau, Prag, Leitmeritz und Braunsberg ersetzen.

Papst Pius XII. begleitete das Werk mit mehr Sympathie und Verständnis als die meisten deutschen Bischöfe, die keine Parallelseelsorge wünschten, sondern Priester und Gläubige so schnell wie möglich in ihre Bistümer integrieren wollten. Die Heimatvertriebenen aber hingen an ihren einstigen Geistlichen mit den Formen ihrer eigenen Volksfrömmigkeit, ihren Liedern und Wallfahrten, die zugleich Stätten des Wiedersehens der über ganz Deutschland verstreuten Flüchtlinge wurden. Bekannt wurde Königstein auch durch die von dort ausgesandten Kapellenwagen.

Kostengünstig zum Abitur

Das Gymnasium mit Konvikt – kurzzeitiger Missbrauch wurde durch Entlassung des Erziehers sofort unterbunden – bot den aus ihren Schulen herausgerissenen Jungen die Möglichkeit, kostengünstig zum Abitur zu kommen und dann vielleicht Theologie zu studieren. Tatsächlich kamen von der Hochschule mehr als 

400 Priester, von denen viele in die spätere DDR gingen. Das „Haus der Begegnung“ wurde Stätte der jährlichen Kongresse „Kirche in Not“, der besten Informationsbörse über die Christenverfolgung im Ostblock. Was dort gesagt und dann gedruckt wurde, brachte linientreue kommunistische Journalisten zum Schäumen. Das betraf vor allem die jährlichen Länderberichte über die Lage der katholischen Kirche in Polen und der Tschechoslowakei, der unierten Kirche in der 

Ukraine, deren Exilbischöfe des Öfteren in Königstein waren, aber auch der verfolgten Kirche in Russland oder der Protestanten in Lettland. Der vatikanischen Ostpolitik stand man kritisch gegenüber.

Wie wichtig Königstein war, beweist die nun schon zweite wissenschaftliche Arbeit über die kurzzeitig blühende Bildungsstätte. Finanziert wurde das neue Buch aus dem Verkaufserlös der Gebäude in den 90er Jahren. Nach Rainer Bendels „Hochschule und Priesterseminar Königstein“ aus dem Jahre 2014 hat nun die Professorin Monika  Wienfort von der Universität Potsdam im Rahmen der Bonner „Kommission für Zeitgeschichte“ ein weit über Bendel hinausgehendes Werk über den Katholizismus im Kalten Krieg am Beispiel Königsteins in der Zeit von 1945 bis 1996 vorgelegt. Ihr geht es neben dem Wirken der „Königsteiner Anstalten“ um deren gesellschaftliche Einordnung in den Kontext der Geschichte der Bundesrepublik und der Kirche. Dabei äußert sie sich in mehreren Kapiteln kritisch zu den damals konservativ gepflegten Ritualen des Glaubens, kirchlichen Strukturen und vor allem der Stellung der Frau, die auch in Königstein in erster Linie dem vertrauten traditionellen Familienbild zugeordnet wurde. Widerstand gegen die Regeln der Priesterausbildung kamen ab 1968 von den Studenten selbst. 

Königstein war für Wienfort, wie sie mehrmals betont, ein Männerbund mit Männerherzen, während den Frauen nur eine dienende Funktion zugeordnet wurde. Völlig daneben liegt Wienfort allerdings, wenn sie die ermländischen Katharinenschwestern in die Nähe der Hausmädchen rückt. Kathrinchen meint nicht „wenig Bedeutung“, sondern ist eine besonders liebevolle Bezeichnung. Pater Werenfried nennt in seinen Erinnerungen nicht einmal die Namen der Königsteiner Oberinnen. 

Der Rezensent hat eine Predigt des einstigen Königsteiner Schülers Weihbischof Pieschl gehört, in der er die Kathrinchen in höchsten Tönen lobte, die für die immer hungrigen Jungen etwas zum Essen besorgten und sich mütterlich um sie kümmerten.

Vertriebene hatten Traumata

Aus Sicht der Autorin waren die fehlende Beschäftigung mit der NS-Zeit und dem Holocaust die großen Defizite. Von heute aus gesehen hat sie recht. In den ersten Nachkriegsjahren aber hatten die Vertriebenen ihre eigenen Traumata zu bewältigen.

1945 war die Kirche „Siegerin in Trümmern“. In den 70er Jahren sank die Zahl der Priesterberufungen und stieg die Zahl der Kirchenaustritte. Während ständiger Geldnöte suchte der Vorstand des „Vater- und bald Mutterhauses“ der Vertriebenen nach neuen Betätigungsfeldern. Es gab vermehrt Priesteramtskandidaten aus dem Ausland, Treffen von Exilgruppen, Exerzitien, und die wissenschaftliche Forschung wurde auf China ausgedehnt. Alles vergeblich, die hohen Betriebskosten erzwangen die Schließung.

„Politisch“, so das Fazit  Wienforts, „vertraten die Königsteiner einen theologischen wie lebensweltlichen Konservativismus, der ein katholisches Aggiornamento bei den Gläubigen zumindest nicht förderte. Das Ende des kalten Krieges verschob die Nachkriegszeit der katholischen Vertriebenen endgültig in die Erinnerungskultur.“

Geblieben ist das Gymnasium, die Bischof-Neumann-Schule. Sie hat heute mehr Anmeldungen von Schülern und Schülerinnen aus Familien in Königstein und Umgebung, als sie aufnehmen kann. Die Kollegkirche mit der Schutzmantelmadonna wurde gerade renoviert.

Monika Wienfort: „Katholizismus im Kalten Krieg. Vertriebene in Königstein 1945–1996“, Verlag Brill/Schoeningh, Paderborn 2023, 311 Seiten, 79 Euro