08.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 11-23 vom 17. März 2023 / Kulturlandschaft / Logis mit antiken Nymphen / Das zum Unesco-Welterbe gehörende Gartenreich Dessau-Wörlitz feiert in diesem Jahr gleich drei Jubiläen – Eines davon ist der Einzug der Fürstenfamilie in das Schloss Wörlitz vor 250 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-23 vom 17. März 2023

Kulturlandschaft
Logis mit antiken Nymphen
Das zum Unesco-Welterbe gehörende Gartenreich Dessau-Wörlitz feiert in diesem Jahr gleich drei Jubiläen – Eines davon ist der Einzug der Fürstenfamilie in das Schloss Wörlitz vor 250 Jahren
Veit-Mario Thiede

In antiker Verkleidung feierten am 22. März 1773 Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) und seine Gemahlin Luise von Brandenburg-Schwedt (1750–1811) mit ihren Gästen den Einzug ins Schloss Wörlitz. Es gilt als Erstlingsbau des deutschen Klassizismus. Im selben Jahr begann der von seinen 35.000 Untertanen „Vater Franz“ genannte Fürst auf der gegenüberliegenden Seite des Wörlitzer Sees mit dem Bau des Gotischen Hauses. Bei seinen Bauwerken und Landschaftsgärten war er bestrebt, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. 

Das dritte Jubiläum verdankt das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Gartenreich Dessau-Wörlitz der Urgroßmutter von Fürst Franz: Henriette Catharina von Oranien-Nassau (1637–1708). Sie gab vor 350 Jahren ihren nicht weit von Wörlitz gelegenen Besitzungen den Namen Oranienbaum.

Reisen bildet, wie uns Schloss Wörlitz veranschaulicht. Die neoklassizistische Bauweise lernte Fürst Franz mit seinem Freund und Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800) bei Reisen durch England kennen. Die Innenausstattung wiederum geht auf Italienreisen zurück. In Rom machte der Archäologe Johann Joachim Winckelmann die beiden mit den Altertümern der Stadt vertraut. In Neapel nahm sich der britische Diplomat und Vesuv-Forscher Sir William Hamilton ihrer an und besuchte mit ihnen die Ausgrabungen von Pompeji und Herkulaneum. Reminiszenzen davon finden sich im Schloss zuhauf.

Während heutige Besucher das Schloss durch das Souterrain betreten, schritten die Gäste früher die Freitreppe hinauf und standen sodann in der Vorhalle vor der Kopie der berühmten Skulptur des „Apoll von Belvedere“. Das Schloss ist um einen Lichthof herum gebaut. In den aus Wohn- und Schlafzimmer bestehenden Appartements des zweiten Stocks logierten die Brüder des Fürsten, der Erbprinz und Erdmannsdorff, dessen Räume mit Ansichten von Venedig geschmückt sind. 

Im ersten Stock liegen die Repräsentationsräume sowie die Gemächer von Fürst Franz und Gattin Luise. Die Räume sind mit Abgüssen und originalen antiken Skulpturen und Büsten, auf die Decken gemalten musizierenden Faunen und schwebenden Nymphen nach dem Vorbild pompejanischer Wandmalereien sowie Keramiken der englischen Manufaktur Wedgwood geschmückt, die antike Vasen aus der Kunstsammlung Hamiltons kopieren.

Sowohl die Architektur als auch die Ausstattung des Schlosses waren seinerzeit ungeheuer modern. Um Platz zu sparen, ist das Schloss mit unter den Fenstern platzierten Klappbetten ausgestattet. In den mit Bildern bemalten Wänden stecken Schlüssel, die uns verraten, dass sich dahinter Wandschränke befinden. Im Speisesaal gibt es fließendes Wasser und im Postament einer Ganymed-Statue befindet sich ein Eisschrank. Der Kamin im Schlafzimmer des Fürsten entpuppt sich als frühe Heißluftheizung, und sein Schlaflager ist so konstruiert, dass es sich zum Doppelbett ausziehen lässt.

Ein wertgeschätzter Preußenkönig

Sehenswert ist auch die Bibliothek, deren Wände mit Porträts von Persönlichkeiten bemalt sind, die der Fürst schätzte. Da treten Moses und Luther auf, antike Philosophen, Winckelmann, Hamilton und Friedrich der Große, der die Heirat von Fürst Franz mit Luise einfädelte.

Vater Franz hatte Liebschaften. Eine war Luise Schoch, die Tochter seines Gärtners. Sie hatte mit dem Fürsten drei Kinder. Die Familie lebte im Gotischen Haus. Es entstand von 1773 bis 1813 in vier Bauphasen. Nach dem Nauener Tor von Potsdam ist es das zweitälteste neugotische Bauwerk Deutschlands. Die auf den Landschaftsgarten ausgerichtete, aus rotem Backstein und weißem Maßwerk bestehende Fassade orientiert sich am Erscheinungsbild des englischen Landsitzes Strawberry Hill, an dessen Einweihung Fürst Franz 1764 teilgenommen hatte. Die zum Wolfskanal ausgerichtete Fassade aber zitiert in verkleinerter Form die venezianische Kirche Madonna dell’Orto.

Die Kabinette des Gotischen Hauses beherbergen die Kunstsammlungen des Fürsten. Der Vermittlung durch den Schriftsteller und Theologen Johann Kaspar Lavater verdankte er den Erwerb zahlreicher Glasbilder des 16. bis 18. Jahrhunderts, die in viele Fenster des Hauses eingesetzt sind. Sie zeigen Wappen oder Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Die im „Kriegerischen Kabinett“ warten mit Szenen aus den Schweizerischen Freiheitskriegen gegen die Habsburger sowie der Darstellung des Rütli-Schwurs auf. Fürst Franz war einer der ersten Sammler altdeutscher Malerei. Besonders Werke von Lucas Cranach dem Älteren und dem Jüngeren sowie ihrer Werkstattmitarbeiter sind reich vertreten, wie etwa das der Reformation gewidmete „Geistliche Kabinett“ zeigt. Die nicht mehr vorhandenen Stücke seiner Gemäldesammlung sind durch Schwarz-Weiß-Reproduktionen ersetzt. Auch Porträts seiner Ahnen hängen an den Wänden. Beachtenswert sind die eigens für das Haus angefertigten neugotischen Möbel.

Oranienbaum feiert das 350. Jubiläum seiner Namensgebung. Die ab 1683 errichteten Schlossbauten, der Park und die rasterförmig um den quadratischen Marktplatz angelegten zwölf ältesten Wohnquartiere bilden ein in Deutschland einzigartiges barockes Ensemble nach holländischem Vorbild. Eine schnurgerade Straße teilt das vom Baumeister Cornelis Ryckwaert entworfene Ensemble in zwei symmetrische Hälften. Mitten auf dem Marktplatz steht das Wahrzeichen der Stadt: ein schmiedeeiserner Orangenbaum mit vergoldeten Früchten.

Zunächst nutzte Henriette Catharina das Schloss als Landhaus. Nach dem Tod ihres Ehegatten Johann Georg II. ließ sie es zu ihrem Witwensitz ausbauen. Von der ehemaligen luxuriösen Ausstattung ist nichts mehr vorhanden, da sie die an ihre Töchter vererbte. Ihre Tochter Amalie ist die Stammmutter des heutigen niederländischen Königshauses. Ihr Sohn Leopold ist als „Alter Dessauer“ in Erinnerung geblieben. 

Attraktion des Schlosses ist der mit blau-weißen Delfter Fliesen geschmückte Sommerspeisesaal. Ein anderer Saal ist mit Goldledertapeten ausgestattet. Fürst Franz ließ sie anbringen. Auf ihn gehen auch die Stofftapeten in drei anderen Räumen zurück, die er von einem Dessauer Tapetenmaler mit chinesischen Motiven und Szenen aus dem Leben von Konfuzius bemalen ließ.