18.05.2024

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Folge 12-23 vom 24. März 2023 / Kolumne / Nur Chinas ist größer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-23 vom 24. März 2023

Kolumne
Nur Chinas ist größer
Florian Stumfall

Deutschland hat das zweitgrößte Parlament weltweit, übertroffen nur vom chinesischen Volkskongress, wenn man diesen denn als ein Parlament bezeichnen wollte, da er doch nur eine kolossale Versammlung von Funktionären der Kommunistischen Partei darstellt. Sogar das Europäische Parlament in Straßburg ist kleiner.

Das Ergebnis des deutschen parlamentarischen Wucherungs-Problems liegt zu einem guten Teil darin, dass man panisch darauf bedacht ist, Gerechtigkeit bis zur dritten Stelle hinterm Komma angedeihen zu lassen, insofern, als kein Votum, auch nicht das geringste, unberücksichtigt bleiben solle. Das führt zu Überhang- und Ausgleichsmandaten und einer immer größeren Aufblähung des Bundestages. Jetzt also soll das alles anders werden, aber mit dem Ende der Ausnahmeregelung der drei Direktmandate bei der Fünf-Prozent-Klausel ist auch nicht mehr Gerechtigkeit geschaffen, wenn – um das brennende Beispiel zu nehmen – bei einer nur geringen Änderung des Wahlergebnisses mit einem Mal in Bayern alle bürgerlichen Stimmen unberücksichtigt blieben.

Dennoch ist die Einsicht zutreffend, dass der Bundestag schrumpfen sollte. Sein derzeit monströses Ausmaß ist lächerlich, teuer und unzweckmäßig. Denn vor allem in der Politik gilt die Regel: Je größer ein Gremium, in umso kleineren, verschwiegeneren Zirkeln fallen im Dämmerlicht der Hinterzimmer und Salons die Entscheidungen. Deshalb stimmt es nicht, dass in einem größeren Parlament der Wählerwille besser zum Ausdruck komme – das Gegenteil trifft zu.

Die Parteien üben ein Monopol aus

Der Gedanke der Verkleinerung also ist richtig, der Weg allerdings falsch. Denn das Grundproblem, noch vor der Frage nach dem Wahlrecht, ist der Umstand, dass sich die Parteien komplett des Staates bemächtigt haben. Der Artikel 21 des Grundgesetzes bestimmt: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Das ist soweit in Ordnung, doch kann von „Mitwirkung“ überhaupt keine Rede sein. Denn die Parteien üben über den gesamten Politikbetrieb ein unangefochtenes Monopol aus. Das zeigt sich am auffälligsten bei Wahlen. Vom ersten Anbringen eines Plakats bis zur Auszählung der letzten Stimme sind es ausschließlich die Parteien und ihre Beauftragten, die das Geschäft betreiben.

Die Parteien aber haben ein Interesse daran, möglichst viele Stimmen zu sammeln, nicht nur, um gegebenenfalls Regierungspfründe einzunehmen, sondern auch, um den Betrieb ihrer eigenen Organisation aufrechterhalten zu können. Denn der Staat finanziert die Parteien je nach der Anzahl von Wählervoten, die sie bekommen. Das ist für die Parteien ein Geschäft von existentieller Bedeutung. Ohne die staatlichen Gelder müsste man den Betrieb schließen, die Mitgliedsbeiträge decken nur einen kleinen Teil der Kosten, und die Spenden sind eine sehr unzuverlässige Größenordnung.

Das ist der Hauptgrund, aus dem vonseiten der Politik niemals die Überlegung dahingehend laut werden kann, dass man sich des Artikels 21 GG besänne und sich tatsächlich in Sachen politischer Willensbildung auf eine „Mitwirkung“ beschränkte. Denn das schlösse ein, dass sich andere Akteure ebenfalls auf diesem Feld tummeln und die Finanzierung gefährden oder jedenfalls mindern könnten. Dabei ist es ganz einfach, als Gedankenspiel eine Regelung zu entwerfen, welche die Rolle der Parteien auf die Mitwirkung beschränken und so dem Grundgesetz mehr entsprechen könnte, als das heute der Fall ist.

Um einmal so eine Skizze zu zeichnen, tut es not, bereits bei der Aufstellung der Kandidaten zu beginnen. Auch die befindet sich ja ausschließlich in Parteihänden, und niemand erklärt, warum das so sein muss. Man könnte auch folgendermaßen vorgehen: Jeder stimmberechtigte Bürger bekommt von der Gemeinde einen Wahlzettel zugesandt, auf den er den Namen derjenigen Person schreibt, den er als Kandidaten haben möchte. Die Parteien wirken dabei insofern mit, als sie sich durch ihre Mitglieder Gehör verschaffen und Einfluss ausüben können.

Vorschlag für eine Wahlrechtsreform

In den Wahlkreisen, um das Spiel weiterzuführen, wird gesichtet und eine Liste mit den drei Namen veröffentlicht, die am meisten Stimmen auf sich vereint haben. Das also sind dann die Kandidaten für die Wahl. Die freilich läuft nach dem Mehrheitsprinzip ab, das heißt, wer am meisten Stimmen in einem Wahlkreis hat, zieht ins Parlament ein. So ungeheuerlich wäre das auch in Deutschland nicht. In den Absprachen zur Großen Koalition 1966 war verabredet, das Grundgesetz zu ändern und das Mehrheitswahlrecht einzuführen. Damals schon haben weitblickende Politiker die Vorteile erkannt und einen Bedarf gesehen. Gescheitert ist das Vorhaben dann am Wortbruch der SPD.

Mit einer derartigen Lösung wäre tatsächlich eine umfassende Beteiligung der Bürger bei der Willensbildung gewährleistet. Es gäbe nicht mehr den Verdruss der Bürger, die sich bevormundet fühlen, weil sie sich mit Kandidaten abfinden müssen, ohne vorher gefragt worden zu sein. Wer aber allzu lang immer nur das geringere Übel hat wählen können, der zweifelt irgendwann am System insgesamt. Das zeigt sich im dramatischen und zur Gefahr werdenden Rückgang der Wahlbeteiligung.

Das ist der formale Aspekt. Es gibt aber noch den inhaltlichen. Parlamentarier, die auf Grund des Vertrauens ihrer Mitbürger bereits als Kandidaten gesetzt worden sind, und nicht von Gnaden einer Partei, haben auch in Sachentscheidungen freie Hand. Sie sind nicht an Parteiprogramme gebunden und können sich Mehrheiten suchen nach den sachlichen Gegebenheiten. Solche Mehrheiten würden im Parlament von Abgeordneten gebildet, nicht von Fraktionen. Und dann kommt noch der staatspolitische Gesichtspunkt. Tatsächlich kontrollieren die Parlamente nicht mehr die Regierungen, wie es ihre Aufgabe wäre. Diese Aufgabe nimmt immer nur die Opposition wahr. Die Regierungsparteien, wie schon ihr Name sagt, stützen die Regierung, egal, was geschieht. Auch dieses verfassungsrechtliche Übel wäre mit dem beschriebenen Modell beseitigt.

Und das Parlament wäre nur mehr halb so groß.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.