18.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 13-23 vom 31. März 2023 / Kommentar / Wenn das Schule macht – dann gute Nacht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-23 vom 31. März 2023

Kommentar
Wenn das Schule macht – dann gute Nacht
Harald Tews

Dass ein Roman von Wolfgang Koeppen mehr als 70 Jahre nach seinem Erscheinen zum Politikum wird, ist bezeichnend für die gegenwärtige Hysterie durch die multikulturelle „Cancel Culture“. In Baden-Württemberg wollte eine Deutschlehrerin per Petition verhindern, dass der Roman „Tauben im Gras“ zur Pflichtlektüre fürs Abitur wird. Grund ist das im Buch wiederholt auftauchende Wort „Neger“.

Abgesehen davon, dass es absurd ist, den Roman und den Autor, die beide für Toleranz und Verständigung stehen, unter Rassismusverdacht zu stellen, ist es ebenso unvernünftig, heutigen Schülern keine als „anrüchig“ empfundenen Ausdrücke zuzumuten. Unter Vermeidung eines Begriffs, der ihre Gefühlswelt verletze, spricht die Lehrerin selbst nur vom „N-Wort“. Dabei drückt diese semantische Spitzfindigkeit als Synonym für „Neger“ genau dasselbe aus. Ist es damit weniger rassistisch gemeint?

Als Koeppen das Wort in den frühen 1950er Jahren schrieb, war es ein gängiger Begriff, an dem selbst sensible Naturen keinen Anstoß nahmen. Man müsste die Bezeichnung für eine Gruppe von Menschen ganz abschaffen, wenn man sie nur auf eine einzige Eigenschaft reduzieren wollte. „Die Hessen“, „die Bayern“, „die Sachsen“ – ist das alles schon rassistisch gemeint, da es sich bei allen wie beim „Neger“ doch einzig und allein um Menschen handelt?

Beachtlich ist, dass Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schop­per an „Tauben im Gras“ als Pflichtlektüre festhalten will. Nach dieser Entscheidung hat sich die ihr unterstellte Lehrerin fürs nächste Schuljahr beurlauben lassen, weil ihr bei der – wohlgemerkt: grünen – Ministerin „das Verständnis und der Wille zur Veränderung“ fehle. Doch es geht hier nicht um die kultursensible Lehrerin mit Migrationshintergrund, die von einer „woken“ Ideologie geblendet ist und sich in ihrer Opferrolle gefällt. Es geht darum, dass dieser Fall im wahrsten, aber nicht im positiven Sinne Schule machen könnte.

Deutsches Kulturgut steht auf dem Spiel. Koeppen wäre um ein Haar das erste Opfer innerhalb der „weiß“ geprägten Mehrheitskultur geworden, welche bei den vermeintlichen Rassismusgegnern verhasst ist. Ausgerechnet Koeppen, sollte man betonen. Der in Greifswald geborene und in Masuren aufgewachsene Autor galt als große Hoffnung der Nachkriegsliteratur, größer noch als ein vergleichbarer „Trümmerliterat“ wie Heinrich Böll, der später den Literaturnobelpreis erhielt und nach dem die grüne Parteistiftung benannt ist. 

Eine geistige Büchervernichtung

Koeppen war innovativ und verwendete vor allem in „Tauben im Gras“ modernen Bewusstseinsstrom sowie literarische Montagetechnik. Den Roman, in dem zwei GIs mit dunkler Hautfarbe als sympathische Figuren auftreten, fasste er mit den rasch darauf entstandenen Romanen „Das Treibhaus“ und „Der Tod in Rom“ zu einer Trilogie zusammen. Der Suhrkamp Verlag hofierte Koep­pen wie keinen zweiten, in der Hoffnung, er würde den großen deutschen Roman schreiben. Doch bis zu seinem Tod 1996 brachte er außer der biographischen Skizze „Jugend“ sowie einigen kurzen Reisenotizen und Prosastücken nichts Nennenswertes mehr zustande.

Da sich Koeppen politisch nicht einordnen lässt, ist sein Werk tatsächlich der ideale Abitur-Stoff, der Interpretationen nach allen Seiten hin offenlässt. Aber gerade diese Unschärfe macht ihn angreifbar. Anders als Böll oder Günter Grass gehörte er nie richtig zur Gruppe 47. Allein das macht ihn verdächtig. Individualisten wie Arno Schmidt oder Gottfried Benn, die sich ebenso dieser Gruppe entzogen, dürften demnächst auf ähnliche Weise „entsorgt“ werden.

Schon mit der Säuberung „anstößiger“ Stellen in der Jugendliteratur (PAZ vom 17. März) deutet sich eine geistige Bücher- und Bildervernichtung an, wie man sie nur von totalitären Regimen her kennt. Weit hergeholt? Von wegen! Kürzlich wurde in den USA eine Lehrerin suspendiert, weil sie Schülern Bilder von Michelangelos (nackter) David-Statue zeigte. Absurder Vorwurf: Verbreitung von Pornographie. Wenn solches – wie bei Koep­pen – vom historischen Kontext losgelöstes Kunstverständnis Schule macht, dann steht alles auf dem Spiel, was westliche Kultur ausmacht.