18.05.2024

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Folge 13-23 vom 31. März 2023 / Damals / Die „guten alten Zeiten“ – nicht alles war gut / Taufrische Nachrichten vor 130 Jahren im „Demminer Tageblatt“ – Vieles hat sich bis heute nicht geändert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-23 vom 31. März 2023

Damals
Die „guten alten Zeiten“ – nicht alles war gut
Taufrische Nachrichten vor 130 Jahren im „Demminer Tageblatt“ – Vieles hat sich bis heute nicht geändert
K.-H. Engel

So etwas nennt man heute wohl Rowdytum. Eine Gruppe von gut einem Dutzend streitsüchtigen jungen Männern hatte das vorpommersche Küstenstädtchen Barth schon des Öfteren unsicher gemacht. Doch in der Nacht vom 4. zum 5. November 1892 fand ihr Treiben einen Höhepunkt. Die Burschen zogen nach einer Tanzveranstaltung grölend durch die Straßen, warfen Fensterscheiben ein und suchten auch sonst irgendwie Händel. Zwei Ordnungswächter versuchten dem Treiben Einhalt zu gebieten, doch entspann sich daraus eine handfeste Keilerei, bei der die Gendarmen ziemlich lädiert den Kürzeren zogen.

Nachzulesen ist der viel Verwunderung erregende Vorfall im „Demminer Tageblatt“, das über seine Korrespondenten auch aus anderen Teilen Pommerns berichtete. Polizeibeamte verdroschen, Widerstand gegen die Staatsgewalt: Passierte so etwas denn auch im Kaiserreich, in dem die Obrigkeit auf die Einhaltung von Recht und Gesetz, Zucht, Ordnung und Sitte doch einen strengen Blick gelegt haben soll? Das nimmt man heute jedenfalls gemeinhin an. Und ob das der Fall war!

Widerstand im Kaiserreich?  

Die Barther Krawallnacht war kein Einzelfall. Das „Demminer Tageblatt“, obwohl als amtlicher Anzeiger keineswegs auf reißerische Themen aus, berichtete allenthalben ganz sachlich über Missetaten aller Art. So hatten die Amtsgerichte reichlich Arbeit mit kleineren Delikten wie Diebereien oder Lug und Trug. Die Landgerichte verhandelten indes nahezu täglich über schwerere Straftaten, darunter Mord, Raub und nicht selten Messerstechereien, wie auch Anfang 1894 in Augustwalde, 20 Kilometer östlich von Stettin, geschehen. Dort war die Gastwirtschaft Kant während eines Tanzvergnügens von prügelnden Raufbolden sozusagen in Kleinholz verwandelt worden. Als ein Polizeikommando eintraf, fand man einen der Randalier erstochen in seinem Blute liegend vor. Er starb. Dabei galt, wer zum Messer griff, damals – wie auch heute – als feige und hinterhältig. Mit einem solchen Typ hatte niemand gern etwas zu tun.

Dennoch war der Gebrauch von Stichwaffen in Mode gekommen. Meistens handelte es sich bei den Messerhelden jedoch um Personen mit Vorstrafen, denen ein guter Ruf egal war. Außerdem spielte häufig Trunkenheit eine Rolle. Öffentlich Bedienstete, so unterrichtete das Tageblatt seine Leser, erwiesen sich mitunter ebenfalls als Personen mit Fehl und Tadel. So wirtschaftete ein Chausseeaufseher aus dem Dorf Utzedel bei Demmin, immerhin ein Beamter, von 1890 bis 1892 durch Abrechnungstricks einen Teil der Einnahmen in die eigene Tasche. Dank geschickt geführter Verteidigung beließ es das Amtsgericht Demmin am Ende der Verhandlung schließlich bei 100 Mark Geldstrafe. Auf dem Posttransport von Gülzow nach Gollnow war Anfang der 1890er Jahre ein Paket im Wert von über 1900 Mark verloren gegangen. Nachforschungen führten die Polizei schließlich zu einem ehemaligen Postbeamten in Gollnow, der die Sendung für sich abgezweigt hatte. Über die Ahndung wurde nichts bekannt. 

Aber auch gute Nachrichten 

Überhaupt fielen die Strafen seinerzeit eher mäßig streng, ja sogar milde aus. So wurde der Rädelsführer in der Barther Krawallnacht, ein mehrfach wegen ähnlicher Rohheitsdelikte vorbestrafter Fischersohn, lediglich zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Und das, obwohl immerhin Widerstand gegen die Staatsgewalt in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung auf seinem Konto standen.

Aber das „Demminer Tageblatt“ verbreitete nicht nur schlechte Nachrichten, sondern ebenso zuversichtlich stimmende Kunde. Etwa die, dass Hermann Borgwardt, Oberlehrer am Gymnasium zu Neustettin, zum Professor ernannt wurde. In der Provinzhauptstadt Stettin waren zudem erneut deutlich mehr Kinder geboren worden als Menschen starben. Im Jahr 1893 erblickten 4605 Babys das Licht der Welt, 286 mehr als im Jahr davor. Die Zahl der Sterbefälle bezifferte das Stettiner Standesamt für 1893 auf 3595. Eine ähnlich positive Tendenz verzeichnete die Kreisstadt Demmin. In ihr zählte man 1893 immerhin 423 Neugeborene. Dem standen 344 Sterbefälle gegenüber.

Eine Erfolgsmeldung präsentierte das Blatt seinen Lesern auch aus Anklam. Die dortige Zuckerfabrik hatte während der 1893er Kampagne 997.350 Zentner Zuckerrüben verarbeitet. Ein beachtliche Leistung in Anbetracht der letztjährigen Saison mit 1,76 Millionen Tonnen in der heutigen Anklamer Fabrik, die im Übrigen in diesem Jahr ihr 140. Jubiläum begeht. 

Mit einem Blick über die pommerschen Grenzen hinaus, wartete das Demminer Blatt 1894 auch mit neuen statistischen Angaben zum Fleischverbrauch in der Reichshauptstadt auf. Die Berliner nebst den bis zu acht Kilometer jenseits der Stadtgrenze wohnenden Randberlinern verspeisten je Jahr 132.122.155 Kilogramm Fleisch. Pro Kopf bedeutete das 69 Kilogramm. Gegenwärtig liegt der Wert für die Bundesrepublik bei etwa 55 Kilogramm. Dabei wird doch laufend erklärt, dass in Deutschland nie soviel Fleisch verzehrt wurde wie heutzutage. Man muss eben hin und wieder alte Zeitungen lesen und der Statistik nicht alles glauben.