18.05.2024

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Folge 14-23 vom 06. April 2023 / Krisenjahr 1875 / „Ist Krieg in Sicht?“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-23 vom 06. April 2023

Krisenjahr 1875
„Ist Krieg in Sicht?“
Manuel Ruoff

Spätestens seit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 waren die deutsch-französischen Beziehungen schlecht. Vor anderthalb Jahrhunderten wurden sie noch schlechter. Gerüchte machten die Runde, Frankreich kaufe in großem Umfange militärisch wichtige Pferde in Deutschland auf. Die deutsche Seite reagierte darauf am 4. März 1875 mit einem Verbot des Pferdeverkaufs an Frankreich. Acht Tage später hat Paris ein Kadergesetz zur Heeresvermehrung beschlossen. Es roch nach Kriegsvorbereitung. In diese Lage platzte am 8. April 1875 der Zeitungsartikel „Ist Krieg in Sicht?“, in dem Frankreich mit einem Präventivkrieg für den Fall einer weiteren Aufrüstung gedroht wurde.

Weder die Zeitung, „Die Post“, noch der Autor, Constantin Rößler, waren Unbekannte. Die „Post“ galt als Organ der Bismarck-freundlichen, linkskonservativen Deutschen Reichspartei. Und Rößler zählte zu Bismarcks sogenannten Pressbanditen. Da lag es nahe, hinter dem Artikel die Regierung in Berlin zu vermuten. Neuerdings wird – von Johannes Janorschke – die Ansicht vertreten, der Vortragende Rat und Pressechef des Auswärtigen Amts Ludwig Aegidi habe hinter dem Artikel gesteckt. Bis dahin wurde Otto von Bismarck selbst als Urheber vermutet. Eine endgültige Klärung steht noch aus.

Wichtiger als die Frage, wer konkret hinter der Veröffentlichung stand, ist die Tatsache, dass Bismarcks Zeitgenossen im In- wie Ausland davon ausgingen, er stecke dahinter, und wie das Ausland auf das vermeintliche deutsche Säbelrasseln reagierte. Die mächtigen Flügelmächte boten Deutschland weder ihre Unterstützung oder zumindest wohlwollende Neutralität in einem erneuten deutsch-französischen Waffengang an noch übten sie erkennbaren Einfluss auf Paris aus, auf weitere Provokationen Richtung Berlin zu verzichten. Stattdessen gaben Großbritannien wie Russland Bismarck unmissverständlich zu verstehen, dass sie eine weitere Machtverschiebung von Paris Richtung Berlin als Folge eines erneuten von Deutschland gewonnenen Krieges gegen Frankreich nicht akzeptieren würden.

Sofern er es nicht schon vorher gewusst hatte, musste der Reichskanzler spätestens nun zur Kenntnis nehmen, dass er und das von ihm geschaffene Reich sich auf ganz dünnem Eis bewegten und es keine vernünftige Alternative dazu gab, sich „saturiert“ zu geben und das auch zu bekunden. Das Reich konnte bei einem Krieg viel verlieren, aber nichts gewinnen. 

Einst hatte Preußen als jüngste und kleinste der fünf europäischen Großmächte das Wohlwollen der europäischen Gleichgewichtspolitiker genossen. Nun wurde Preußen-Deutschland als die größte der Großmächte von den Gleichgewichtspolitikern mit Argusaugen beobachtet. 

Entsprechend vorsichtig und zurückhaltend versuchte Bismarck fürderhin, auf internationalem Parkett zu agieren. Es war ein Drahtseilakt: Einerseits galt es zu verhindern, dass andere europäische Großmächte sich gegen Deutschland verbündeten. Zum anderen sollten sich diese Mächten unter einander auch nicht derart verfeinden, dass sie in einen Krieg gegen einander gerieten. Denn in einen solchen wäre Deutschland als Macht in der Mitte mit hoher Wahrscheinlichkeit hineingezogen worden.