18.05.2024

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Folge 14-23 vom 06. April 2023 / Volkstum / „Darf ich bitten?“ / Eine Kennerin über ostpreußische Volkstänze, die Spaß, Musik, Gesellschaft und Kopfarbeit vereinen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-23 vom 06. April 2023

Volkstum
„Darf ich bitten?“
Eine Kennerin über ostpreußische Volkstänze, die Spaß, Musik, Gesellschaft und Kopfarbeit vereinen
Jutta Starosta

Nach der Definition im Dancilla Wiki, einer online-Volkstanzplattform, sind „Volkstänze überlieferte Tänze oder Tänze im überlieferten Stil.“ Volkstänze wurden und werden zu traditionellen Festen getanzt. Sie kommen praktisch in allen Kulturen vor und bilden zusammen mit der Volksmusik eine Einheit. Im Gegensatz zu Standardtänzen sind die Bewegungsabläufe nicht strikt festgelegt und weisen regionale Variationen auf. Die zum Tanz getragene Tracht unterscheidet sich je nach Region durch die Stoffe, die Machart und die Ausschmückung deutlich von der Alltagskleidung. Heute werden Volkstänze vor allem in regionalen (Volks-)Tanzgruppen oder bei speziellen Veranstaltungen, zum Beispiel bei Brauchtumsveranstaltungen und der Europeade, getanzt. 

Generell kann unterschieden werden zwischen echten, das heißt: überlieferten und im Volk aufgezeichneten Volkstänzen, die in Noten und Beschreibungen aus alten Zeiten stammen, Jugendtänzen, die in der Zeit der Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, und sogenannten folkloristischen Tänzen, denen eine moderne Choreographie zugrunde liegt, die häufig mit Elementen aus dem Ballett arrangiert ist und viel Theatralik beinhaltet. Aber auch die sogenannten echten Volkstänze sind zum überwiegenden Teil Modetänze früherer Generationen, meist aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Genaueres ist nicht erforscht. Aber tauchte irgendwann irgendwo ein „Modetanz“ auf, wurde dieser nach einiger Zeit auch im kleinsten Dorf getanzt und konnte dort als „echter deutscher Volkstanz“ aufgezeichnet werden. Ein Beispiel dafür ist die Kuckuckspolka, deren Melodie ein in Hamburg 1893 komponierter Schlager ist.

Aenne Goldschmidt schrieb das „Handbuch des deutschen Volkstanzes“, sie unterteilte die Volkstänze in folgende Hauptgruppen: Gruppentänze, Paartänze, Trioformen.

Viele Tänze erzählen eine Geschichte, die von alltäglichen Dingen wie Arbeit, Handwerksberufe, Brautschau oder Brautwerbung handelt. Manche Volkstänze lassen sich nur zu einer bestimmten Melodie tanzen, wie die Schusterpolka. Weit mehr Tänze sind zu vielen Melodien der gleichen Rhythmusgruppe tanzbar und wurden und werden zu verschiedensten Melodien getanzt, wie die Bayrisch-Polka. Häufig hat ihnen die Volkstanzpflege jedoch eine bestimmte Kennmelodie zugeordnet.

Bei den Volkstänzen erfolgte die Weitergabe zu Anfang sicherlich durch Zusehen und Mitmachen. Ein Teil der Tänze wurde durch Musikanten verbreitet. Es gab schon immer Berufsmusiker, die von Ort zu Ort zogen, und diese nahmen natürlich ihre Tänze und auch die im Dorf gesehenen Tänze mit. Da viele dieser Musiker ohne Noten spielten oder auch gar keine Noten kannten, entstanden so verschiedene Varianten in der Musik und in der Beschreibung, denn verschriftlicht wurden Musik und Tanz zunächst nicht.

Die ostpreußischen Volkstänze 

In Ostpreußen gab es die einfachen Tänze, die zu Liedern getanzt wurden, die jeder kannte. „Wenn hier e Topp met Bohne stalht“, „Herr Schmedt, Herr Schmedt, Herr Schmedt, wat kregt de Jule met?“, „Siste woll, doa kemmt er“, „Et schient de leewe Mond so hell“, „Lott es dot“ oder „Hei, Hacke, Spetze, Hacke“ waren kleine Singtänze, mit denen man überall vertraut war. Diese Tanzlieder werden meist als Paartänze getanzt und auch „kleine Bunte“ oder Rundtänze genannt. Es tanzen beliebig viele Paare auf der Umzugsbahn. Normalerweise wechselt eine Tanzfigur mit einem Rundtanz wie beim Schottisch, Walzer oder der Polka. Daher der Name „kleine Bunte“ im Gegensatz zu den Vierpaartänzen, den „großen Bunten“, die aus drei, vier und mehr verschiedenen Teilen, die man Kehren nennt, bestehen. Obligatorisch war bei allen Tänzen die höfliche Begrüßung der Tanzpartner während des Vorspiels. Dauerte die Einleitung länger, wurde die Reverenz zuerst dem eigenen, dann dem fremden und zuletzt wieder dem eigenen Partner erwiesen.  

Als Beispiel für die sogenannten Kleinen Bunten möchte ich den Tanz „Lott es dot“ ausführlicher beschreiben, denn dieser gehört zu den Tänzen, die sehr weit verbreitet sind. Im gesamten niederdeutschen Raum sowie in den Niederlanden und Skandinavien findet man seine Variationen. Dabei gibt es bei Melodie und Tanzbeschreibung nur kleine Unterschiede, während die Liedtexte variieren. Die Paare stellen sich in beliebiger Zahl auf der Kreisbahn auf. In gewöhnlicher Fassung oder in Zweihandfassung geht es mit vier langsamen Nachstellschritten in Tanzrichtung. Die nachgestellten Füße schleifen etwas. Manchmal werden die Nachstellschritte nicht in Tanzrichtung, sondern zur Kreismitte gegangen. Geübtere Tänzer bewegen bei dieser Variante mit Zweihandfassung die gefassten Arme mit jedem Schritt etwas nach oben, sodass am Endes des vierten Taktes die Arme waagerecht sind. Mit acht schnellen Galoppschritten geht es dann zurück zur Ausgangsposition. Diese Figur wird wiederholt. Anschließend folgt ein Polkarundtanz. Danach beginnt das Ganze von vorne. Eine Aufnahme dieses Tanzes findet sich unter https://www.youtube.com/watch?v=mJXqGKiLthk

Zu den sogenannten Großen Bunten gehören die Vierpaartänze wie das Insterburger Viergespann oder die Tangermünder Quadrille. Beim Insterburger Viergespann handelt es sich jedoch nicht um einen der alten ostpreußischen Fischertänze, sondern um einen neu choreografierten Jugendtanz. Diese Quadrille ist somit in erster Linie kein ostpreußischer Volkstanz, sondern ein Volkstanz, der in Ostpreußen entstanden ist. Der ursprüngliche Tanz wurde dem Insterburger Tanzkreis 1932 gewidmet. Beim Insterburger Viergespann stellen sich vier Paare im Kreuz auf, also in einem Viereck. Mit Geh- und Laufschritten geht es durch die Kehren. Begonnen wird, wie in vielen Volkstänzen mit einem Anfangskreis, der zur ersten der vier Kehren gehört. Danach begehen alle Paare die vier Seiten des Vierecks mit je vier Schritten, durch den Kreis in offener Fassung, die Außenseiten einzeln über die Ecken. Diese Figur wird bei jeder Kehre wiederholt. Zum Abschluss des ersten Teils wird in Paarkreisfassung je einmal Hacke-Spitze links und rechts mit Anhüpfen des Standfußes getanzt, der Platz in vier Gehschritten links herum gewechselt und das Ganze wiederholt. 

Die zweite und dritte Kehre sind der Torumlauf. Zuerst ziehen die Tänzer des ersten und zweiten Paares ihre jeweilige Tänzerin in Schubkarre rechts ausweichend auf den Gegenplatz, stellen sie in der Kreismitte Rücken an Rücken und heben die gefassten Hände zum Tor. Die Tänzer der Paare drei und vier ziehen in Schubkarre durch die Tore zum Gegenplatz, dann weiter durch das linke Tor, stellen die Tänzerin in der Kreismitte ab und bilden selbst ein Tor. Nun durchziehen Paar eins und zwei das Tor, und alle gehen auf den Ausgangsplatz zurück. Danach werden das Viereckgehen und das Hacke-Spitze wiederholt. Die dritte Kehre wird wie die zweite Kehre getanzt, nur beginnen nun die Paare drei und vier. Wieder folgt der sich wiederholende Teil. Die schwierigste Figur, die Mühle, eröffnet die vierte Kehre. Die Tänzer klatschen einmal in die Hände, laufen in der Mitte eine rechtshändige Mühle und kehren zur eigenen Tänzerin auf den Platz zurück. Die Tänzerinnen klatschen ebenso einmal in die Hände, formieren sich mit Laufschritten zu einer linkshändigen Mühle, laufen in der Mitte einmal herum und gehen an der linken Seite des eigenen Tänzers auf ihren Platz zurück. Nach der Wiederholung dieser Figur folgen wieder Viereck und Hacke-Spitze. Der Tanz endet nach einem Vierpaarkreis links und rechts in der Anfangsaufstellung.

Die dritte Gruppe der ostpreußischen Volkstänze sind die Trioletts wie die Allemande, der Ostpreußische Fischertanz. Bei den Trioletts tanzen immer drei Personen zusammen, üblicherweise ein Bursche rechts und links flankiert von je einem Mädchen. Trioletts treten sowohl als Kolonnen- und Kreistänze als auch als Qua-drillen auf wie zum Beispiel das Große Triolett. Man nimmt an, dass diese Tanzformation sich aus dem Männermangel nach den Kriegen entwickelt hat. Allemande heißt eigentlich „Deutscher Tanz“. Der Name wird schon im 16. Jahrhundert erwähnt, ist aber wohl ein Überbegriff für den geraden Takt im Deutschen Tanz. Die Version mit vier Dreiergruppen im Kreuz stammt aus Ostpreußen. Es gibt auch eine Variante als Zweier-Reihentanz, also immer zwei Trios einander gegenüber.

Fischertanz – die Allemande

Der ostpreußische Fischertanz, die Allemande, vereint höfische Elemente des Menuetts mit Bewegungen aus der Lebenswirklichkeit der Fischer. Im Wechsel sind die Begrüßungstour, die Drehtour und das Flaggenschwenken zu beobachten. Die Dreiergruppen nehmen mit Tüchern im Kreuz Aufstellung. Bei den einzelnen Kehren führt der Herr seine Damen mithilfe der Tücher durch die Figuren. Nach dem Anfangskreis stellen sich die Dreiergruppen mit dem Herrn in der Mitte im Kreuz auf. Abwechselnd begrüßen sich die Trios gegenseitig. Gruppe eins schreitet mit vier Gehschritten auf die gegenüberliegende Gruppe zu, begrüßt diese und geht rückwärts wieder zu ihrem Platz. Es folgen die Gruppen zwei, dann drei, dann vier. Danach folgt die Drehtour. Die jeweils rechte Tänzerin jeder Dreiergruppe dreht sich zuerst mit zwei mal vier Schritten unter dem Arm ihres Tänzers nach innen und danach ebenfalls mit zwei mal vier Schritten von ihm weg. Danach wiederholt die linke Tänzerin die Figur. Dabei halten sie jeweils einen Tuchzipfel. Es folgt wieder die Begrüßungstour. Jetzt geht es ans Flaggenschwenken. Die Tänzer heben die Arme und die Tänzerinnen umrunden den Tänzer zweimal mit jeweils acht Schritten. Dabei begegnen sich die Tänzerinnen vorne und hinten, wobei sie abwechselnd durch das von Tänzer, Tanzpartnerin und Tuch gebildete Tor schlüpfen. Nach der Besuchstour werden die Drehtour und das Flaggenschwenken noch einmal wiederholt. Der Tanz endet nach dem Schlusskreis in der Anfangsaufstellung.  

Europeade der Volkskulturen

Dass der Volkstanz sich großer Beliebtheit erfreut, kann man heuer wieder vom 12. bis 16. Juli in Gotha, Thüringen, bei der 58. Europeade der Volkskulturen hautnah erleben. Die Europeade ist das größte jährlich stattfindende europäische Trachten- und Folklorefestival, dessen Veranstaltungsorte überall in Europa liegen. Diese Großveranstaltung kehrt nach der 50. Ausgabe zurück nach Gotha. Die maximale Teilnehmerzahl von 4000 Besuchern ist überschritten, weshalb keine weiteren Anmeldungen für diese Veranstaltung mehr angenommen werden. Die Volkstänzer werden aus mehr als 20 Ländern Europas anreisen und die Straßen und Plätze fast rund um die Uhr mit ihren bunten Trachten, Tänzen und Konzerten beleben.

Wie aktuell die Ostpreußischen Volkstänze immer noch sind, zeigte sich im Jahr 2020, als die 57. Europeade 2020 in Memel aufgrund der weltweiten Corona-Krise abgesagt werden musste. Mario Hecker, Mitglied im Vorstand des DGV und der LAG Tanz Hessen aus Oberursel, schrieb für die Europeade 2020 in Memel den Tanz „Europa-Gespann“. Es ist ein Tanz für zwölf Paare, so viele Paare wie Sterne auf der Europafahne. Als Vorlage diente das „Insterburger Viergespann“, nach der Choreographie und Musik Hermann Huffzigers. 

Wem die Tanzbeschreibungen Lust auf mehr gemacht haben, der kann sich auf Youtube die Tänze „live“ anschauen. Noch besser ist es natürlich, selbst das Tanzbein zu schwingen und sich einer der vielen Volkstanzgruppen anzuschließen, die es in ganz Deutschland gibt.





Zur Person

Jutta Starosta, hier beim Ostpreußischen Fischertanz, leitet seit über 30 Jahren die Volkstanzgruppe in Hof. Die Gruppe tanzt Volkstänze aus den Vertreibungsgebieten und aus ganz Europa. Bei Auftritten tragen die Tänzer je nach Anlass beziehungsweise Wunsch der Gastgeber entweder die Ermländer Festtagstracht oder eine schlesische Riesengebirgstracht. 

In Aktion kann man die Gruppe im Internet beim Fischertanz und Tangermünder Quadrille ab Minute 28 unter https://www.youtube.com/watch?v=bweGkNRlo38 sehen oder bei der 58. Europeade der Volkskulturen, 12. bis 16. Juli in Gotha.