18.05.2024

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Folge 14-23 vom 06. April 2023 / Für Sie gelesen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-23 vom 06. April 2023

Für Sie gelesen

Alles aufs Spiel gesetzt

Marina Owsjannikowas Buch „Zwischen Gut und Böse. Wie ich mich endlich der Kreml-Propaganda entgegenstellte“ liest sich, als hätte man ein Déjà-vu. Ihr Bericht über die Folgen ihrer Aktion vom 14. März vergangenen Jahres, als sie während der Hauptsendezeit im russischen Fernsehen beim Sender Erster Kanal ein Anti-Kriegsplakat hochhielt, gleicht den Erlebnissen vieler Dissidenten der 80er Jahre. Man gewinnt den Eindruck, das heutige Russland habe sich wieder in die Sowjetunion zurückverwandelt. 

Die Methoden bei der Verfolgung politischer Gegner scheinen dieselben zu sein wie früher, mit dem Unterschied, dass das Regime sich heute moderner Technik bedienen kann. Eine flächendeckende Kameraüberwachung mit Gesichtserkennung sowie Handyortung oder elektronische Fußfesseln gab es damals nicht. 

Owsjannikowa war bewusst, dass  sie mit der Aktion ihr sorgenfreies Leben aufs Spiel setzen würde. Dennoch entschied sie sich dazu, nicht länger zu schweigen, den Krieg in der Ukraine offen als solchen zu bezeichnen und die Propagandalügen des Kreml anzuprangern. Ausschlaggebend war der Bericht eines Ukrainers, der kurz zum Brotholen das Haus verlassen hatte. Bei seiner Rückkehr lag das Haus, in dem er seine Frau und seine kleine Tochter zurückgelassen hatte, in Schutt und Asche.

Die Journalistin hat eigene Kriegserlebnisse. Sie lebte mit ihrer Mutter in Grosnij, als der Tschetschenienkrieg losging. Sie schildert ihr Leben dort als ruhig und schön, sie war beliebt. Doch von einem Tag auf den anderen wurde sie als Feindin stigmatisiert. Die Mutter verließ schließlich Tschetschenien mit ihrer Tochter. Seit diesen Tagen hasst Owsjannikowa den Krieg.

Nach ihrer TV-Aktion konnte die mutige Frau  nach Berlin fliehen, wo die „Welt“ ihr eine Stelle angeboten hatte. Sie wollte über die Ukraine berichten und scheute nicht davor zurück, ins Kriegsgebiet zu reisen. Bevor sie jedoch anfangen konnte zu arbeiten, ging im Internet eine Hasstirade los, die Ow-sjannikowa schier verzweifeln ließ und sie zutiefst verängstigte. Von russischer Seite wurde ihr vorgeworfen, eine ausländische Agentin zu sein, von ukrainischer Seite hieß es, ihre Aktion sei eine konzertierte Aktion des Kreml gewesen, dessen Propagandistin sie sei. Schließlich arbeitete sie für den staatlichen Fernsehsender Erster Kanal. Daraufhin kündigte ihr die „Welt“. 

Da sie im Westen nichts ausrichten konnte und sie ohne ihre Tochter nicht leben wollte, kehrte Owsjannikowa nach Moskau zurück. Sofort verfolgten sie die Behörden und stellten sie unter Hausarrest. Ihr Sohn wandte sich von ihr ab und zog zu seinem Vater, der für den Propaganda-Sender Russia Today arbeitet. 

Owsjannikowa erwartete in Russland eine langjährige Haftstrafe. Mit Hilfe von „Reporter ohne Grenzen“ gelang ihr gemeinsam mit ihrer Tochter eine abenteuerliche Flucht, über die sie noch keine Einzelheiten veröffentlichen möchte.Manuela Rosenthal-Kappi

Marina Owsjannikowa: „Zwischen Gut und Böse. Wie ich mich endlich der Kreml-Propaganda entgegenstellte“, LangenMüller Verlag, München 2023, broschiert, 207 Seiten, 20 Euro