19.05.2024

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Folge 15-23 vom 14. April 2023 / Landvolk im Zorn / Seit gut einem Vierteljahrhundert ist der Wolf in Deutschland wieder heimisch. Was anfangs – vor allem bei Großstädtern – für Begeisterung sorgte, wird – vor allem für die Landbevölkerung – zunehmend zu einer ernsthaften Bedrohung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-23 vom 14. April 2023

Landvolk im Zorn
Seit gut einem Vierteljahrhundert ist der Wolf in Deutschland wieder heimisch. Was anfangs – vor allem bei Großstädtern – für Begeisterung sorgte, wird – vor allem für die Landbevölkerung – zunehmend zu einer ernsthaften Bedrohung
Bernhard Knapstein

Tief klaffte die Wunde in der Hüfte des Trakehners „Ritchie“. Der sechsjährige Wallach auf dem Hötzinger Eggers-Hof bei Soltau hat seine schwere Verletzung nach einem Angriff eines einzelnen Wolfs Ende des vergangenen Jahres überlebt. Der Prädatorenangriff auf das hochwertige Pferd mit dem beachtlichen Stockmaß von 173 Zentimetern wirft allerdings Fragen im Umgang mit Canis lupus auf, wie der Wolf im Biologenlatein heißt.

Seit der Rückkehr des Wolfs nach Deutschland im Jahr 1996 über die Lausitz hat sich viel getan. Die Ausbreitung des Raubtieres, das in deutschen Wäldern bislang noch reichlich Nahrung gefunden hat und sich über Sachsen und Brandenburg nach Niedersachsen ausbreitete, trug noch zu Beginn der 2000er-Jahre zu einer gewissen Begeisterung bei. Mittlerweile ist die Bevölkerung mit Blick auf den Wolf allerdings in zwei geradezu feindlich gegenüberstehende Lager von radikalen Wolfsfanatikern auf der einen und harten Verfechtern des Schutzes der traditionellen Viehwirtschaft und Weidetierhaltung auf der anderen Seite geteilt. Die sich ausbreitende Skepsis gegenüber dem strengen Schutz des Wolfs hat vor allem mit der Veränderung seines Beuteverhaltens zu tun.

Änderung des Jagdverhaltens

Hat sich der Canide in den ersten Jahren vor allem von Rehen und Schwarzkitteln ernährt, gerieten schon bald Schafherden in seinen Fokus, wo sich Wölfe über den Fressbedarf hinaus in einen regelrechten Blutrausch begeben können. Bis zu 70 gerissene Schafe in einer Herde sind drastische, aber auch sehr reale Zeugnisse.

Mit seiner Ausbreitung nach Niedersachsen geriet der Wolf unter anderem in die Göhrde, wo nach mehr als hundert Jahren das 1903 dort angesiedelte Muffelwild heimisch geworden war. Seit 2017 gilt das Mufflon dort allerdings als ausgestorben. Das Mufflon ist eigentlich ein Bergschaf, das über kurze Distanzen zu seinem Schutz auf einen erhöhten Punkt sprintet. In den Wäldern des niedersächsischen Flachlands hatte es dem Wolf nichts entgegenzusetzen, sprintete es dem Prädatoren zwar zunächst davon, blieb dann allerdings bereits nach rund 100 Metern seiner Natur nach einfach stehen, um sich dort töten zu lassen. Der Wolf gilt als intelligent und extrem lernfähig, auf das Mufflon haben sich die Rudel in der Göhrde schnell eingestellt, nur um sich schon nach wenigen Jahren aufgrund des vollständig gerissenen Bestands neu orientieren zu müssen.

Hieß es ursprünglich seitens der Behörden und Naturschutzverbände, der Wolf gehe zwar auf Schafe, nicht aber auf Großtiere wie Pferde und Rinder, gilt auch dieses Credo längst nicht mehr. Ab 2008 machte ein Wolfsrudel auf sich aufmerksam, das gelernt hatte, Kühe auf der Weide im Cuxhavener Land in Entwässerungsgräben zu treiben und dort zu reißen. Nachdem die Behörden keine Abhilfe schufen, verschwand das Rudel binnen kurzer Zeit restlos. Da die Jagdstrategie im Revier des Rudels funktionierte, scheidet eine Abwanderung aus, weshalb von einer illegalen, aber höchst erfolgreichen Bejagung des Rudels ausgegangen werden kann.

Das Dilemma der Tierhalter

Während einige Wolfsschützer noch die These vertreten, Angriffe auf Großvieh und Pferde blieben Ausnahmen, zeigt die offizielle Rissliste in Niedersachsen, dass die Angriffe auf Großtiere weiterhin zunehmen.

Dass sich die Weidetierhalter Sorgen um ihre Bestände machen, liegt allerdings noch an einem weiteren Umstand. Die deutsche Jägerschaft ist mit Blick auf die Afrikanische Schweinepest (ASP) gehalten, die Wildschweinbestände zu reduzieren. Der Abschuss der Schwarzkittel wird in einigen Landkreisen sogar dadurch gefördert, dass die kostspielige, aber veterinärrechtlich zwingend vorgeschriebene Fleischbeschau unentgeltlich durchgeführt wird. Die wegbrechenden Bestände lassen den Wolf zunehmend auch auf Weidetiere gehen. Da Naturschutzverbände die Stallhaltung regelmäßig scharf kritisieren, besteht hier ein Dilemma, das vor allem Naturschützern eine Entscheidung zwischen Tier- und Artenschutz abzwingt.

Eingang ins Jagdrecht

Bislang haben Naturschutzverbände und Behörden allerdings noch auf „wolfssicheren Schutz“ der Tiere gesetzt – und dabei bis heute immer wieder die Lernfähigkeit des Wolfs unterschätzt, wie die Entwicklung der Standards für „Wolfssicherheit“ belegt. Noch im Jahr 2015 galten 90 Zentimeter Elektrozaun als ausreichend zum Schutz von Weidetieren. Im Jahr darauf galt der Zaun und ein zusätzliches Flatterband als „wolfssicher“. 2017 wurde die Zaunhöhe auf 120 Zentimeter erweitert, 2018 bereits auf 160. Seit 2023 gelten als wirklich wolfssicher nur Weidetiere, die vom Elektrozaun und zusätzlichen Herdenschutzhunden gesichert werden. Doch letztere, das belegen bereits mehrere Vorkommnisse, stehen bisweilen ebenfalls auf dem Speisezettel des Wolfs. Darüberhinaus verhalten sich Herdenschutzhunde auch aggressiv gegenüber Spaziergängern. Dieser unerwünschte Nebeneffekt ist vor allem da relevant, wo viele Touristen den Weg in die Natur suchen, etwa in der Lüneburger Heide oder auf den Deichen des Elblands und der Nordsee.

Für Schäfer, die mit ihren Herden, die einerseits den Bewuchs auf den Deichen kurzhalten, andererseits, was kein Rasenmäher könnte, dort umherlaufend mit ihren Hufen gegen Erosion vorbeugen, sind sowohl Schutzhunde als auch hohe Zäune ein Problem, denn der Ärger mit den Touristen ist vorprogrammiert, das Wandern am Deich erfordert zudem ein ständiges Auf- und Abbauen der Umzäunung. Um seine Schafe zu schützen und zudem für seine vom Wolf bedrohte Branche einen Fortschritt zu erreichen, hatte zuletzt Schäfer Wendelin Schmücker aus dem Landkreis Harburg vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg auf Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis geklagt. Schmücker blieb zwar erfolglos, doch die Politik gerät angesichts immer neuer Rissgeschehen bei Nutztierhaltern zunehmend unter Druck.

Inzwischen ist der Wolf im Jagdrecht eingeführt. Doch den strengen Schutz verliert der Räuber erst dann, wenn die Politik anerkennt, dass die Population der Art einen „günstigen Erhaltungszustand“ hat, wie es das europäische Naturschutzrecht fordert. Inzwischen sind offiziell bundesweit zwar erst 226 Wolfsterritorien mit mehr als 500 geschlechtsreifen Wölfen belegt. Allerdings ist die Wolfspopulation in Deutschland genetisch zusammenhängend mit der polnischen. Experten gehen daher von einer weit mehr als 3000 Exemplare umfassenden Population aus, die damit weit größer ist als die Weltnaturschutzorganisdation IUNC mit 1000 Tieren fordert.

Die Wut wächst – auf allen Seiten  

Dass der geballte Zorn bei der Landbevölkerung kurz vor der Entladung steht, zeigte sehr deutlich ein Treffen von 110 Weidetierhaltern vor einigen Tagen in dem Dorf Eilte, das zur niedersächsischen Samtgemeinde Ahlden gehört. Die Gereiztheit der Referenten und Teilnehmer sowie der dort auftretenden Landtagsabgeordneten Uwe Dornemann (CDU) und Alfred Dannenberg (AfD) beim Thema Wolf brachte Günther Winkelmann von der Uelzener Bürgerinitiative „Wolfsfreie Dörfer“ am kraftvollsten zum Ausdruck, als er von zwei aktuellen Rissgeschehen in Schafherden berichtete und regelrecht in den Versammlungssaal hinausschrie: „Wenn das nochmal passiert, kippe ich die toten Tiere auch in Hannover vors Ministerium – ich habe keine Angst.“ SPD und Grüne waren ebenfalls eingeladen, aber bewusst der Veranstaltung ferngeblieben.

Dass die Freunde eines radikalen Wolfsschutzes sogar die Grenzen der Legalität überschreiten, belegen Vorfälle rund um die Gemeinde Wriedel im Kreis Uelzen Ende 2021, wo im Zusammenhang mit einer Abschussgenehmigung des sogenannten Ebstorfer Rüden und eines weiteren Wolfs durch das niedersächsische Umweltministerium nach mehreren Rissen von Nutztieren gleich mehrere Jagdansitze abgefackelt worden waren. Im Vorfeld hatten Tierschutzorganisationen am Verwaltungsgericht Lüneburg vergeblich versucht, den Abschuss verbieten zu lassen (Az. 2 B 31/20 – 2 B 34/20). Als die beauftragten Wolfsjäger versehentlich eine Fähe statt des Rüden erlegten, eskalierte die Situation. Wie weit Wolfsschützer gehen, zeigen auch Todesdrohungen gegen den damaligen Landesumweltminister Olaf Lies (SPD) zu Jahresbeginn 2020 nach dessen Abschussverfügung gegen einen Wolfsrüden des Rodewalder Rudels (Kreis Nienburg).

Als vermittelnde Stimme ist vor allem der Gründer und Leiter des Wolfszentrums Dörverden, Frank Faß, wahrnehmbar. Er wirbt schon seit Längerem in den am stärksten von Wölfen besiedelten Bundesländern und denen mit den höchsten Zahlen gerissener Nutztiere für die Aufstellung spezialisierter Teams von Wolfsjägern. „Die müssen ja auch erst einmal eine Lernkurve durchmachen“, begründet Faß die geforderte Spezialeinheit. „Man bevorzugt in der Politik die heimischen Jäger, die aber dafür nicht ausgebildet sind.“ Auch wenn es noch keine ernsthaften Übergriffe auf Menschen in Deutschland gegeben habe, müsse das Land sich genau darauf vorbereiten. 

Aktuellster Hintergrund der Urangst vor einem Angriff auf Menschen ist ein Vorfall in Visselhövede, Kreis Rotenburg. Dort wurde eine Radfahrerin auf einer Landstraße von drei Wölfen verfolgt. Erst als die Radlerin angehalten, die Caniden angeschrien hatte und ein hupendes Auto die Abwehr unterstützte, zogen sich die Wölfe zurück.

Erste Menschenopfer in Europa 

Die These der Wolfsschützer, der Mensch gehöre nicht ins Beuteschema, stimmt nicht uneingeschränkt, wie bereits einige Menschenopfer in Europa belegen. Auf dem Kontinent hat es zwischen 1950 und 2020 nachweislich 127 Übergriffe gegeben. Die meisten Vorfälle hatten mit tollwütigen Tieren zu tun, es gab aber auch prädatorische Übergriffe, wo seltenes Beutefangverhalten gegenüber Menschen erkennbar war. Bei den 127 Übergriffen erlagen neun Menschen ihren Verletzungen, vier davon waren Kinder.

Der Konflikt ist insoweit programmiert. Je länger der günstige Erhaltungszustand der Wolfspopulation in Deutschland negiert wird, desto massiver wird der Druck auf die Politik seitens der Landbevölkerung zunehmen, die bereits mit ungleichen Lebensverhältnissen, dem Zwang zur Ausweisung von noch mehr Windparks, schlechterer klinischer Versorgung und unzureichendem ÖPNV zu kämpfen hat. Ob ein langes Zuwarten der Politik in der Causa Wolf sinnvoll ist, oder dies die gesellschaftlichen Risse weiter vertieft, wird die Zeit zeigen.