19.05.2024

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Folge 15-23 vom 14. April 2023 / Polizeistudie / Stressfaktoren nehmen zu / Beamte beklagen schlechte Rahmenbedingungen – Kritik an Justiz wird laut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-23 vom 14. April 2023

Polizeistudie
Stressfaktoren nehmen zu
Beamte beklagen schlechte Rahmenbedingungen – Kritik an Justiz wird laut
Peter Entinger

Wer darauf gewartet hatte, das Papier würde weitreichende Erkenntnisse zu Vorurteilen von Beamten gegenüber Migranten liefern, der dürfte enttäuscht sein. Darauf weisen die Autoren der Studie „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten“, die in der vergangenen Woche vom Bundesinnenministerium vorgestellt wurde, gleich in ihrer Einleitung hin: „Der Titel macht deutlich, dass ganzheitlich Erkenntnisse zum Berufsalltag von Polizeibeamten in den unterschiedlichsten Verwendungen generiert werden sollen. Insofern handelt es sich nicht um die von der Öffentlichkeit geforderte sogenannte Rassismusstudie.“ 

Dennoch überwogen an den Tagen nach der Veröffentlichung Schlagzeilen wie „Polizisten haben laut Studie häufiger Vorurteile gegen Obdachlose und Muslime“. Das mag auch daran liegen, dass die Studie noch unter dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Deutschen Hochschule der Polizei in Auftrag gegeben wurde, nachdem sich Verdachtsfälle von Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden gehäuft hätten.

Keine Rassismusstudie

Insgesamt lässt sich feststellen, dass häufiger strukturelle Rahmenbedingungen (wie beispielsweise die Personalstärke oder zunehmende Bürokratie) als Stressfaktoren benannt wurden denn der Umgang mit Gewalt und Leid. Wenn die Rahmenbedingungen stimmten, wurde häufig argumentiert, könne mit den inhaltlich belastenden Aspekten (Gewalterlebnisse, Konfrontation mit Leid et cetera) gut umgegangen werden. 

Als belastend wird der Kontakt mit Opfern insbesondere dann erlebt, wenn es sich dabei um Kinder handelt oder um Menschen, die den Angehörigen der Polizei zuvor bekannt waren. „Unzufriedenheit mit dem Justizsystem, insbesondere im Hinblick auf die Strafverfolgung“, wurde aus allen befragten Einheiten berichtet. Mit Spannung erwartet wurden die Ergebnisse im Hinblick auf angebliche rassistische Vorurteile. Hier zeigt sich, dass es sich bei der Polizei offenbar um einen Querschnitt der Gesamtbevölkerung handelt. „Menschenfeindliche Positionen lassen sich wie in der Gesamtbevölkerung auch in der Polizei feststellen.  Allerdings sind bei fast 30 Prozent der Befragten Tendenzen sichtbar, Asylsuchende abzuwerten. Knapp zehn Prozent lassen in ihren Antworten Muslimfeindlichkeit erkennen. Fast jeder Fünfte unterstützt chauvinistische Einstellungen oder äußert sich nicht eindeutig ablehnend“, heißt es. Etwas stärker als in der Gesamtbevölkerung finden sich bei der Polizei laut der Erhebung Vorurteile gegenüber Wohnungslosen sowie muslimfeindliche Einstellungen.

Interessant ist die Feststellung, dass sich die Einstellungen im Laufe der Dienstjahre offenbar verändern. Sind die „Vorbehalte“ bei jüngeren Beamten eher weniger ausgeprägt, so steigen sie mit zunehmendem Alter. Ob dabei eine Vielzahl negativer Erfahrungen eine Rolle spielt, lässt die Studie allerdings unbeantwortet. Diese Frage müsse Gegenstand künftiger Untersuchungen sein. Laut Studie stimmen immerhin 14 Prozent der Aussage zu, es gebe „geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“. Etwa jeder fünfte Befragte glaubt, dass Demonstrationen oft nur ein Deckmantel für Menschen seien, „die Krawall machen wollen“. 

Niedrige Teilnahmequote

Darüber, ob die Studie samt ihrer Ergebnisse repräsentativ sei, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Denn die Teilnahme fand online, anonym und freiwillig statt. Die Rücksendequote lag zwischen sechs und etwa 30 Prozent, aus Baden-Württemberg und Hamburg konnten aufgrund geringer Teilnahmebereitschaft keine repräsentativen Erhebungen stattfinden. 

Obwohl die Autoren wie geschildert ausdrücklich darauf hinweisen, dass es keine „Rassismusstudie“ sei, sprang Innenministerin Nancy Faeser (SPD) in einer ersten Stellungnahme gleich über dieses Stöckchen. Sie forderte als Konsequenz aus den Ergebnissen eine Überprüfung der Aus- und Fortbildung der Beamten. „Es gibt null Toleranz gegenüber Rechtsextremismus, Rassismus und anderen Formen von Menschenfeindlichkeit“, betonte Faeser und fügte hinzu: „Jeder derartige Vorfall muss deutliche Konsequenzen haben“.

Der Kriminologe Tobias Singelnstein, der zum wissenschaftlichen Beirat gehört, der die Studie begleitet, beklagte in einem Interview mit der „Tagesschau“ indirekt eine mangelnde Kooperationsbereitschaft: „Niemand hat große Lust, sich im beruflichen Kontext kontrollieren zu lassen. Das gilt für die Polizei in besonderer Weise, denn viele Polizisten fühlen sich ohnehin schon kontrolliert. In der Polizei müsste noch viel stärker das Selbstverständnis verankert werden, dass es bei einer Organisation, die über so große exekutive Befugnisse verfügt, auch entsprechende gesellschaftliche Kontrolle braucht.“