19.05.2024

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Folge 15-23 vom 14. April 2023 / Hintergrund / Moskaus treue Freunde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-23 vom 14. April 2023

Hintergrund
Moskaus treue Freunde
Josef Kraus

War die deutsche Politik blind gegenüber der zunehmend aggressiveren Politik Russlands in den vergangenen Jahren? Dieser Frage geht ein Buch der FAZ-Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner nach. 

Eine zentrale Rolle spielt dabei Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Minutiös zeigen die Autoren auf, dass der SPD-Politiker schon in seinen Göttinger Juso-Jahren mit Nähe zum „Stamokap“-Flügel eher mit Moskau als mit Washington liebäugelte und ab 1990 eine Hannover-Connection um sich scharte, die den Mythos der SPD-Entspannungspolitik der 1970er Jahre fortführen wollte – und dabei sozialistischen Antikapitalismus mit Antiamerikanismus verband. Die Hoffnung auf die deutsche Einheit bezeichnete Schröder 1987 übrigens als „Lebenslüge“, was den „elastischen Pragmatiker“ (Bingener/Wehner) nicht daran hinderte, elfmal die DDR zu besuchen. Überhaupt reiste er gern zu Autokraten, zum Beispiel auch nach Kuba. Laut wetterte er gegen den NATO-Doppelbeschluss von 1979, und noch 2021 forderte er in einem Buch die Auflösung der NATO. 

Ein Freund Moskaus seit den 70ern

Ab 1978 war Schröder regelmäßig in Moskau, seine erste Auslandsreise als niedersächsischer Ministerpräsident führte ihn 1991 ebenfalls dorthin. Während seiner siebenjährigen Kanzlerschaft 1998 bis 2005 gab es mehr als vierzig, oft auch sehr private Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin, womit dessen „Operation Schröder“ sehr konkrete Formen annahm. 

Aber Schröder gab nicht den Solisten. Sehr wohl als dessen Alphatier, schuf er ein Netzwerk, das sich zu großen Teilen wie ein „Who ist Who“ der SPD liest, vor allem – aber nicht nur – der Niedersachsen-SPD, dem aber auch Nicht-Genossen angehörten: Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Stephan Weil, SPD-Strippenzieher Heino Wiese, dazu Brigitte Zypries, Erwin Sellering, Henning Voscherau, Ex-SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, Manuela Schwesig, AWD-Gründer und Schröder-Buch-Sponsor Carsten Maschmeyer, Bauunternehmer wie Günter Papenburg, Ex-Stasi-Major Matthias Warnig, EnBw-Chef Utz Claasen, VW-Vorstand Peter Hartz, Preussag-Chef Michael Frenzel, Wurst-Magnat Clemens Tönnies (bis 2020 Chef von Schalke 04 mit dessen Hauptsponsor Gazprom von 2005 bis 2022). „Frogs“ hießen beziehungsweise heißen sie: „Friends of Gerhard Schröder“.

Von den Folgen dieser „Moskau-Connection“ und der stetig anschwellenden Aggressivität Russlands gegenüber dem Westen und Deutschland wollte man dort und will man auch heute nicht allzu viel wissen. Die Autoren schreiben denn nicht zu Unrecht: „Im Ergebnis lässt im Bundestag eine All-Parteien-Koalition die Vergangenheit lieber ruhen.“ Das gilt auch für die Post-Merkel-CDU. 

Kollektiv stellten sich die „Frogs“ selbst dann noch blind und taub gegenüber Russland, als dort schon bald nach der Machtübernahme Wladimir Putins ein revanchistischer Wind wehte. Dabei hätte man Putin besser kennen können. Etwa seine Petersburger Doktorarbeit mit dem bezeichnenden Titel: „Strategische Planung bei der Nutzung der Rohstoffbasis einer Region in Zeiten der Entstehung von Marktmechanismen“. Auch was 1999 im Zweiten Tschetschenienkrieg und 2008 in Georgien geschah, wurde verdrängt. Falsch verstanden hat man auch Putins Bundestagsrede vom 25. September 2001, als dieser seinen Plan, den Westen spalten zu wollen, andeutete. Nicht ernstgenommen hat man Putins Aussage von 2005, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ sei, und dass der russische Präsident weiter von einer „russischen Welt“ und „russischer Erde“ träumte – und dass er diesen Traum mit der Annexion der Krim und von Teilen der Ostukraine 2014 umzusetzen begann. 

Man wollte auch nicht wissen, dass die Spuren des Abschusses der MH-17-Boeing über der Ostukraine am 17. Juli 2014 mit 298 Opfern nach Moskau zeigten. Man wollte die Hochrüstung Russlands, auch die Schaffung einer Cyber-Armee in fünfstelliger Personalstärke nicht wahrhaben. Man wollte die zunehmende Indoktrination der russischen Bevölkerung, die Ausschaltung von Opposition und freier Presse nicht wahrhaben. Ebenso wenig wie den Propaganda-Krieg über den Sender „Russia Today“ (RT). Und auch, dass die Spuren bei Morden und Mordanschlägen nach Moskau führten, wurde schnell verdrängt: 2006 der Giftanschlag in London auf Alexander Litwinenko, im August 2019 der Mord an Selimchan Changoschwili in Berlin („Tiergartenmord“) oder der Giftanschlag auf Alexej Nawalnyj im August 2020. Nawalnyj war es auch, der Schröder als Putins „Laufburschen“ bezeichnete.

Schröder war nicht allein  

Die Steinmeiers, Gabriels und Weils focht das alles nicht an. Steinmeier sprach im Zusammenhang mit Russlands Krieg in Georgien 2008 von westlicher „Scharfmacherei“ gegen Russland, in Bezug auf ein NATO-Manöver im Juni 2016, also nach Russlands Krim-Annexion, von „Säbelrasseln“ und „Kriegsgeheul“ des Westens. Sigmar Gabriel, unter Merkel Außen- und Wirtschaftsminister, habe sich, so die beiden Buchautoren, geradezu „liebedienerisch“ gegenüber Putin verhalten. Gabriel war es auch, der nach Russlands Annexion der Krim 2014 den Verkauf der deutschen Gasspeicher an Gazprom ermöglichte. Heute firmiert er übrigens als Vorsitzender der „Atlantik-Brücke“. Und der seit 2013 amtierende niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil gehörte zumindest zu den Weichzeichnern. Einst meinte er, der „demokratische Ansatz Russlands“ verdiene Respekt, und er kritisierte westliche Sanktionen gegen Russland. 

Nach und nach belegt das Buch „Die Moskau-Connection“, dass nicht wenige SPD-Spitzenpolitiker sich zu Putins Schachfiguren machen ließen. 

Allerdings suchten die Nähe zu Putin auch der Front National (Frankreich) und die Lega (Italien). In Österreich taten sich – bis 2022 oft mit gut dotierten Posten bei russischen Firmen – die ÖVP (Ex-Kanzler Schüssel), die SPÖ (die Ex-Kanzler Kern, Faymann und Gusenbauer) und die FPÖ hervor. Die damalige Außenministerin Kneissl (FPÖ) hatte bei ihrer Hochzeit im August 2018 Putin gar als Stargast dabei. Sie ist wie Schröder immer noch bei Rosneft beschäftigt. Ein CDU-Vize Armin Laschet übrigens warnte anlässlich der Krim-Annexion 2014 vor einem „Anti-Putin-Populismus“. Und Merkels Umgang mit Russland bedürfte eines eigenen Buches. 

Wahrscheinlich wird der eine oder andere neutrale Leser bemängeln, dass Deutschlands Energieprobleme überwiegend auf die Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie reduziert und US-Interessen zum Verkauf von LNG-Gas (Liquefied Natural Gas) nur am Rande erwähnt werden. Aber das mindert die Brisanz des Buches nicht. Es ist in jeder Hinsicht bestens recherchiert. Insofern dürfte es kaum Chancen auf Unterlassungsklagen, sondern allenfalls die Chance auf ein – bereits begonnenes - Totschweigen des Buches geben.





Debatte

Reinhard Bingener / Markus Wehner

Die Moskau Connection. 

Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit Beck München 2023, Gebunden, 304 Seiten, 18,00 Euro