19.05.2024

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Folge 15-23 vom 14. April 2023 / Königsberger Gelehrten Gesellschaft / Stärkung des Wissenschaftsstandorts Ostpreußen / Nach dem Ersten Weltkrieg: Wissenschaftler schlossen sich anlässlich des 200. Geburtstags von Immanuel Kant zusammen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-23 vom 14. April 2023

Königsberger Gelehrten Gesellschaft
Stärkung des Wissenschaftsstandorts Ostpreußen
Nach dem Ersten Weltkrieg: Wissenschaftler schlossen sich anlässlich des 200. Geburtstags von Immanuel Kant zusammen
Wolfgang Kaufmann

Königsberg zählte zu den Hochburgen der Gelehrsamkeit in Preußen. Das resultierte in erster Linie aus der Existenz der Albertus-Universität, die am 20. Juli 1544 durch ein Edikt des vormaligen Hochmeisters des Deutschen Ordens und nunmehrigen Herzogs Albrecht von Preußen gegründet worden war. Allerdings litt der Wissenschaftsstandort Königsberg nach dem Ersten Weltkrieg unter der im Versailler Diktat verfügten Abtrennung Ostpreußens vom deutschen Kernland. 

Daraus resultierte die Idee einer Aufwertung durch die Schaffung einer speziellen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Diese wurde vor allem von drei Persönlichkeiten propagiert: Dem renommierten Staats- und Völkerrechtler Herbert Kraus, dem Theologen und Kirchenrechtler Erich Seeberg sowie dem Bodenkundler Eilhard Alfred Mitscherlich, dem die ostpreußische Landwirtschaft entscheidende Impulse zu verdanken hatte.

Die formelle Etablierung der Königsberger Gelehrten Gesellschaft (KGG) erfolgte im Rahmen der Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag des Philosophen Immanuel Kant, die vom 19. bis zum 24. April 1924 währten und nach der Krönung von Wilhelm I. das gesellschaftlich bedeutendste Ereignis in der ostpreußischen Provinzialhauptstadt waren. Hierzu schrieb der Historiker und Bibliothekar sowie Professor für Deutsche Bildungs- und Geistesgeschichte Götz von Selle in seiner „Geschichte der Albertus-Universität“: „Der Sinn dieser Gründung war, in der abgeschnürten Provinz alle geistige Arbeit zu einem festen Bollwerk germanischer Kultur zusammenzufassen, um zu erhalten, was wir besaßen, und zu erforschen, was noch von alter preußischer Kultur an ungehobenen Schätzen sich auf ostpreußischem Boden vorfindet.“

Herausgabe eigener Schriftenreihen

Sichtbarster Ausdruck derartiger Bemühungen waren zwei eigene Schriftreihen, die im Niemeyer-Verlag in Halle (Saale) erschienen und jeweils geistes- beziehungsweise naturwissenschaftlich ausgerichtet waren. Dabei herrschte kein Mangel an Autoren, weil die KGG über eine Vielzahl produktiver Mitglieder verfügte.

Zu diesen gehörte beispielsweise der Finanzsoziologe Fritz Karl Mann, der spätere Gründer des Instituts für internationale Finanzwirtschaft in Köln und Berater des US-Kriegsministeriums in Washington zwischen 1936 und 1944. Weitere Vertreter der KGG waren der Mediziner Helmut Vogt und der Archäologe Bernhard Schweitzer. Letzterer schrieb ein überaus geschätztes Standardwerk über die „Chronologie und Geschichte der geometrischen Stile Griechenlands“ und machte sich auch dadurch einen Namen innerhalb der Fachwelt, dass er die Erkenntnisse etlicher Nachbardisziplinen heranzog, um Ausgrabungsfunde besser einordnen zu können. 

Ebenso gehörte der Rechtswissenschaftler Siegfried Reicke der KGG an – er galt als Experte für Rechtsgeschichte und Kirchenrecht. Besondere Bekanntheit erlangte auch Wolfgang Krause. Das KGG-Mitglied erforschte die altgermanischen Runen und versuchte dabei, die Runologie als historische und sprachwissenschaftliche Disziplin zu etablieren. In diesem Zusammenhang gelang Krause das Kunststück, einerseits zum Leiter der Lehr- und Forschungsstätte für Runen- und Sinnbildkunde in der SS-Forschungsorganisation Deutsches Ahnenerbe zu avancieren, andererseits aber aus genau dieser Position heraus erfolgreich gegen das Vordringen der nationalsozialistischen Ideologie auf seinem Fachgebiet anzukämpfen.

Und auch ein bekannter Musikwissenschaftler fand zur KGG: Joseph Müller-Blattau, seines Zeichens akademischer Musikdirektor in Königsberg, Leiter des Instituts für Schul- und Kirchenmusik sowie musikalischer Berater der Ostmarken Rundfunk AG, trat der Gesellschaft 1930 bei. Der Experimentalphysiker Gerhard Hoffmann gehörte schon ab 1924 der KGG an. Sein fachliches Verdienst bestand in Präzisionsmessungen auf dem Gebiet der Radioaktivität beziehungsweise kosmischen Strahlung.

Gleichfalls erwähnenswert ist der Historiker und Experte für die Geschichte des Mittelalters Herbert Grundmann. Er war einer der wenigen Wissenschaftler, die zwischen 1933 und 1945 auf einen Lehrstuhl berufen wurden, ohne der NSDAP anzugehören. Das frühere KGG-Mitglied fungierte nach dem Zweiten Weltkrieg als Chefherausgeber des bereits seit 1819 laufenden Mammut-Editionsprojekts „Monumenta Germaniae Historica“. 

Bedeutender Verhaltensforscher 

Dann wäre da noch der bedeutende Zoologe und Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Tierpsychologie Otto 

Koehler. Er kam nach seiner Ernennung zum Direktor des Zoologischen Instituts und Museums der Universität Königsberg im Jahre 1925 zur KGG. Koehler gilt als vermutlich erster Verhaltensforscher der Welt, der systematisch Filmaufnahmen zur Protokollierung von Beobachtungen einsetzte. Die lagerten noch bis 2007 im inzwischen abgewickelten Institut für den wissenschaftlichen Film (IWF) in Göttingen. 

Koehler verließ das schon schwer gezeichnete Königsberg im Februar 1945. Zu diesem Zeitpunkt hatte die KGG ihre Aktivitäten längst eingestellt: Die letzte Ausgabe der „Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft“ erschien Mitte 1944.