18.05.2024

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Folge 16-23 vom 21. April 2023 / Gesichtspflege / Ein echter Schaumschläger / Seit 275 Jahren gibt es den Rasierpinsel für den Mann – Einst totgesagt, erlebt er aktuell eine Retrowelle

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-23 vom 21. April 2023

Gesichtspflege
Ein echter Schaumschläger
Seit 275 Jahren gibt es den Rasierpinsel für den Mann – Einst totgesagt, erlebt er aktuell eine Retrowelle
Alexander Glück

Das Werbevideo für eine Rasierseife: Sie enthält „fair“ gehandelte Kakaobutter, und man trägt sie am besten mit einem Dachshaarpinsel auf. Worin liegt der innere Widerspruch? Dachshaar kommt ausschließlich aus chinesischen Tierfabriken, und dort gibt es keinen Tierschutz.

Rasierpinsel vom Dachs, namentlich die höchste Qualität „Silberspitz“, gelten noch immer als die besten. Mit ihrer penetranten Weichlichkeit kommen sie auch der Sanftheitsattitüde des neuen Mannes entgegen. Die echten Kerle, mit denen wir neuerdings konfrontiert sind, tragen hingegen lange Rauschebärte vor sich her. Mag es jeder halten, wie er will, jedenfalls gibt es unstrittig eine neue Bartkultur, die sich auch darin manifestiert, dass landauf, landab die Barbierläden aus dem Boden sprießen. Dort wird wieder richtig rasiert, mit heißem Tuch vorneweg und handgeschlagenem Seifenschaum. Das ist weit mehr Retro, als unsere Urgroßväter hätten ertragen wollen, als sie sich selbst rasierten. Und es ist die Absage an das seit den 1970er Jahren immer höher aufgeworfene Werbegeklingel vom immer besseren, schärferen und sanfteren Plastikrasierer.

Der Rasierpinsel geriet in den 50er Jahren aus der Mode, einerseits wegen des Sprühschaums, andererseits wegen der Elektrorasierer. Inzwischen gibt es wieder ein breites Angebot, vom hochwertigen Manufaktur-Pinsel bis zum handgedrechselten Liebhaberstück. Obwohl man schon vor vielen Jahrzehnten Pinsel mit Nylon besetzte, sind synthetische Haare heute der wichtigste und spannendste Entwicklungsbereich. Denn diese Kunstfasern werden zur Spitze hin unregelmäßig dünner. Sie sehen aus und fühlen sich fast so an wie ihr natürliches Vorbild. Außerdem nehmen sie das Wasser genauso gut auf, sind aber hygienischer und haltbarer. 

Wurde einst der Pinsel des kleinen Mannes aus Schweineborsten oder Pferdehaar gefertigt, bietet heute jeder Hersteller auch hochwertige Kunstfasern an. Das ist ein würdiges Geschenk zum 275. Geburtstag, den der Rasierpinsel jetzt begeht, wenn es nach Allen Peterkin geht, der sich mit der Erforschung der Bartkultur beschäftigt. Er datiert die Einführung des Pinsels auf das Jahr 1748.

Einem Buch aus dem Jahr 1815 zufolge blieb jedoch das Aufschäumen mit der Hand in London bis 1756 üblich. Und Jean-Jacques Perrets Anleitung zur Selbstrasur erwähnt sogar noch 1770 nichts von der Pinselei. Unterdessen breitete sich die Selbstrasur aus und damit auch Pinsel und Seifennapf. Ihre Blütezeit reichte bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die Sicherheitsrasierer (Hobel) schon lange die Messer verdrängt hatten.

Ab 1968 galten diese Utensilien als großväterlich, altbacken und reaktionär. Doch schon das Rasieren selbst konnte in bestimmten Kreisen verdächtig sein. Heute erfolgt der nostalgische Rückgriff in die Rasiergeschichte ohne politischen Impetus, dafür ausdrücklich nachhaltig. Klingenrasierer machen weniger Plastikmüll, Seife und Pinsel werden als vegan beworben. Nun muss nur noch das Dachsleid beendet werden.