18.05.2024

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Folge 17-23 vom 28. April 2023 / Deutsches Schützenwesen Schützengilden haben vor allem im ländlichen Raum eine wichtige Funktion für den gesellschaftlichen Verkehr der Deutschen und bilden eine kulturelle Nische für Heimat- und Traditionsbewusste / „Gut Ziel!“, „Gut Schuß!“ oder „Gut Wehr!“ / Nach der Corona-Pandemie geht es wieder los – Das deutsche Schützenwesen hat viele Wurzeln und eine lange Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-23 vom 28. April 2023

Deutsches Schützenwesen Schützengilden haben vor allem im ländlichen Raum eine wichtige Funktion für den gesellschaftlichen Verkehr der Deutschen und bilden eine kulturelle Nische für Heimat- und Traditionsbewusste
„Gut Ziel!“, „Gut Schuß!“ oder „Gut Wehr!“
Nach der Corona-Pandemie geht es wieder los – Das deutsche Schützenwesen hat viele Wurzeln und eine lange Geschichte
Bernhard Knapstein

Am kommenden Wochenende findet im niedersächsischen Heidekreis nach pandemiebedingter langjähriger Pause wieder ein Deutscher Schützentag statt. Treffsichere Grünröcke aus der ganzen Bundesrepublik werden aufmarschieren und ihrer althergebrachten Tradition huldigen.

Aufmärsche der Schützen werden meist mit einem gewissen Ernst betrieben – zumindest bis zum Bierzelt. Kommt es zum Wettstreit an der Fadenkreuzscheibe, geben die Waffenbrüder und -schwestern alles. Doch bei seit Jahren sinkenden Mitgliederzahlen stellt sich die Frage, ob das uniformierte und bewaffnete Personal mit ausgeprägtem Traditionsbewusstsein in einem seiner eigenen Geschichte abholden Deutschland nur noch einen kulturellen Anachronismus darstellt.

Das deutsche Schützenwesen hat viele Ursprünge. Das vergleichende Schießen von Jägern mit Pfeil und Bogen, nur um der Ehre des Sieges willen, geht vermutlich auf den ostfränkischen König Heinrich I., „den Vogler“, zurück. Der Liudolfinger herrschte von 919 bis 936, wobei der Beiname erst ab dem 12. Jahrhundert bekannt ist. Ob bereits zu dieser Zeit oder später, mag dahinstehen: Zum Schutze des Reiches gegen Slawenaufstände und Heerzüge der Ungarn entstanden Burgen und Städte, deren Bürger waffenpflichtig wurden. Die Schutz-Bürger sind der Nukleus der Schützengilden. 1139 wird erstmals urkundlich eine Schützengilde in Gymnich (Rhein-Erft-Kreis) erwähnt, 1190 eine weitere für Düsseldorf, zwei Jahre darauf entsteht eine Gilde im holsteinischen Oldenburg.

Sportlicher Wettstreit

Das Schützenwesen hält sich durch das Mittelalter. Partiell erstarkt es sogar als Machtfaktor freien Bürgertums – vor allem in den Städten als Abgrenzung zu den Adelszirkeln. Ab Ende des 15. Jahrhunderts setzt sich die Büchse beim Vogelschießen durch, während in einigen brandenburgischen Städten noch bis Ende des 18. Jahrhunderts die Armbrust vorherrscht.

Im Spätmittelalter dominieren die Gelage zum Schützenfest. Wenige Jahre nach der letzten bekannten mittelalterlichen Ritterschlacht 1519 nahe der niedersächsischen Stadt Soltau (Soltauer Schlacht) erlässt der Herzog von Braunschweig-Lüneburg 1564 eine polizeilich eingeschränkte Gestattung des Schützen- und Pfingstgildeschießens. Das Dokument deutet bereits an, was bis heute zum „guten Ton“ jedes Schützenfests gehört. Die Schützen sollten spätestens „um neun uhren ein jeder wiederumb zu hauß gehen, und keine längere Zeche, auch durchauß keine Tänze dabey“ haben. 1710 dokumentiert ein Schreiben des Kurfürsten von Hannover ein Verbot des Schützenfests, „um Gesöf und anderen liederlichen Handeln“ vorzubeugen.

Die Tradition hatte mit der Neuzeit das Wehrhaftigkeitsprinzip überlagert. Das Darniederliegen der Gilden muss zeitweise sehr ausgeprägt gewesen sein. Immerhin beschloss der absolutistische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. in Preußen 1722 den Verfall aller Schützengilden und zog deren Vermögen kurzerhand ein. Erst der Vertreter des aufgeklärten Absolutismus Friedrich II. erkennt 1750 mit einem Freibrief die Schützenfeste wieder an. Obwohl die Schützengilden zu Paraden und Wachdiensten hier und da noch auf den Stadtmauern herangezogen werden, dümpeln die Vereinigungen vor sich hin. Zu sehr hatte bereits der Dreißigjährige Krieg den Gilden und Bruderschaften zugesetzt.

Verteidigung der Heimat

Ab 1809 kommt mit dem Siegeszug Napoleons das Schützenwesen erneut zum Erliegen. Die Franzosen verbieten die Schützenbünde wegen der von ihnen ausgehenden militärischen Gefahr. Einen neuen Schub bekommt das Schützenwesen doch schon bald im Zuge der Befreiungskriege zur Überwindung des napoleonischen Jochs. Die Schützen werden zur Stütze des Widerstands. Nirgendwo wird das deutlicher als beim Aufstand der Tiroler Schützen um Andreas Hofer, die sich ortskundig gegen Napoleons Truppen und Bayern lange behaupten können. Entsprechend selbstbewusst treten die Tiroler Schützen bis zum heutigen Tage auf.

Preußen und die deutschen Staaten hatten sich auf ihre Freiwilligenverbände verlassen können. Die Stiftung des Eisernen Kreuzes 1813 als Auszeichnung, die jeder einfache Mann erringen konnte, zeugt von dieser königlichen Erhebung des Volks als Grundlage für jeden Abwehrkampf. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler verweist in diesem Zusammenhang auf das Lied Ernst Moritz Arndts: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte …“. So erfuhr ab 1815 das Schützenwesen, dem viele Veteranen der Befreiungskriege beitraten, eine neue Blüte. Die meisten der neuen Schützenvereine hatten allerdings nicht mehr das Üben für den Schutz- und Trutzfall auf der Agenda, sondern das vergleichende Schießen und die Pflege der Tradition.

Doch das ist nicht durchgängig der Fall, wie beispielsweise die Gilde Munster in der Lüneburger Heide belegt. Könige wurden am Truppenübungsplatz an der Örtze zwar ab 1901 ausgeschossen. Die allerdings erst nach dem Ersten Weltkrieg am 19. Juli 1920 gegründete „Bürger-Schützengilde des Kirchspiels Munster“ hatte primär zum Zweck, eine Selbstschutzorganisation zu sein, wie die Chronik der Gilde verlautet. Das war durchaus heikel, denn nach Artikel 177 des zwei Jahre zuvor geschlossenen Versailler Friedens durften sich Kriegervereine und Schützengilden „ohne Rücksicht auf das Alter der Mitglieder nicht mit militärischen Dingen befassen (…) ihre Mitglieder im Waffenhandwerk oder im Gebrauch von Kriegswaffen auszubilden (…) oder üben zu lassen“. Dennoch setzte sich die Auffassung durch, dass die Kleinkaliberbüchse als olympische Sportwaffe vom Friedensdiktat nicht erfasst werde.

Beitreten konnte man in Munster dem Schwarzen Korps oder dem Jäger-Korps. Die Gründung dieser Gilde dürfte vor dem Hintergrund der Revolutionsjahre 1918 bis 1920 erfolgt sein, unter dem Eindruck der Wirren der kommunistischen Aufstände an der Ruhr und in Hamburg sowie der staatlich nur bedingt kontrollierbaren Freikorps, die sich den Kommunisten entgegenstellten.

Geselligkeit und Tradition

Der bereits 1861 gegründete Deutsche Schützenbund löste sich im Zuge der NS-Gleichschaltung 1935 widerstandslos zugunsten des Deutschen Schützenverbands auf.

Die sich ab 1949 wieder versammelnden Schützen können den Deutschen Schützenbund (DSB) 1951 neu beleben. Im Zuge des Kalten Krieges gewinnen die Schützenvereine deutlich an Zulauf, sodass 1978 der DSB bereits mehr als eine Million Mitglieder aufweist. Seinen Zenit erreicht der fünftgrößte Sportverband der Republik allerdings erst deutlich nach der deutschen Vereinigung mit 1,5 Millionen Mitgliedern im Jahr 1997. Seither sinken die Mitgliederzahlen kontinuierlich.

Auch wenn den Vereinen die Ehrenamtlichen ausgehen, die Schützentradition dem Zeitgeist als zu anachronistisch erscheint, ist es deutlich zu früh, auf den tradierten Schützenverein – jenseits der reinen Schießsport-Clubs – einen Nachruf zu verfassen. Zwar hat der Lockdown während der Coronajahre die Mitgliederzahlen im DSB noch einmal deutlich stärker fallen lassen, gleichwohl gehören den deutschen Schützenvereinen aktuell noch immer 1,3 Millionen Mitglieder an. Vor allem im ländlichen Raum haben Schützengilden weiterhin eine wichtige Funktion für den gesellschaftlichen Verkehr der Deutschen und bilden eine kulturelle Nische für Heimat- und Traditionsbewusste, bei denen es in diesen Tagen wieder heißt: „Gut Ziel!“, „Gut Schuß!“ oder „Gut Wehr!“.