18.05.2024

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Folge 17-23 vom 28. April 2023 / Landespolitik / Risse in der märkischen SPD / Der Rücktritt von Scholz-Gattin Britta Ernst deutet auf ein innerparteiliches Zerwürfnis hin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-23 vom 28. April 2023

Landespolitik
Risse in der märkischen SPD
Der Rücktritt von Scholz-Gattin Britta Ernst deutet auf ein innerparteiliches Zerwürfnis hin
Hermann Müller

Seit 1990 haben die Sozialdemokraten im Land Brandenburg jede Landtagswahl gewonnen und ununterbrochen den Ministerpräsidenten gestellt. Auch wenn es um ein Bundestagsmandat geht, konnten sich SPD-Spitzenpolitiker wie in der Vergangenheit Frank-Walter Steinmeier oder Olaf Scholz bei der jüngsten Bundestagswahl darauf verlassen, ein gutes Wahlergebnis einzufahren, wenn sie in einem Wahlkreis in der Mark Brandenburg antraten. 

Diese jahrzehntelange Erfolgsgeschichte war getragen durch die große Geschlossenheit unter den märkischen Genossen. Mit der Einigkeit in der Partei scheint es nun allerdings erst einmal vorbei zu sein. Gut anderthalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl läuft das bislang perfekt funktionierende Machtsystem der SPD nicht mehr rund. Ein deutliches Zeichen dieser Entwicklung ist der Rücktritt von Britta Ernst. 

Nach sechs Jahren als Landesbildungsministerin hat Ernst am 17. April völlig überraschend hingeschmissen. Zur Begründung verwies die Ehefrau von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf eine fehlende Unterstützung ihrer Pläne durch die SPD-Landtagsfraktion. Die anstehenden Herausforderungen im Bildungsbereich könnten aber „nur mit maximaler Geschlossenheit“ bewältigt werden“, so die 62-Jährige. Ernst stellte fest: „Diese Geschlossenheit ist nicht mehr gegeben.“ 

Ministerin hinterlässt Trümmerfeld

Unmittelbarer Anlass für Ernsts Rücktritt war anhaltende Kritik an ihrem Vorhaben, Geld, das im Etat für 200 Lehrerplanstellen vorgesehen ist, für Verwaltungskräfte und Schulsozialarbeiter auszugeben. Damit kapitulierte sie faktisch vor dem Problem, überhaupt alle Planstellen für Lehrer besetzen zu können. Auf massive Kritik war zudem der Plan von Ernst gestoßen, zur Bekämpfung des Lehrermangels sogar Quereinsteiger zu verbeamten, die nur einen Bachelor-Abschluss vorweisen können. 

Der Lehrermangel in Brandenburg ist mittlerweile so groß, dass im ländlichen Raum durch Unterrichtsausfall sogar Schulabschlüsse in Gefahr sind. Auch die sogenannte Inklusion muss durch den massiven Mangel an Lehrkräften unterdessen als weitgehend gescheitertes Projekt angesehen werden. 

Insgesamt hinterlässt Ernst ihrem Amtsnachfolger ein bildungspolitisches Trümmerfeld: Beim bundesweiten IQB-Bildungsvergleich der Viertklässler schnitten die märkischen Grundschüler im Jahr 2022 besonders schlecht ab. Etwa 45 Prozent der Grundschüler in der Mark erreichten nicht einmal Mindeststandards in der Rechtschreibung. 

Auch im Rechnen war der Leistungsabfall alarmierend. Brandenburg ist damit auf dem Niveau der bildungspolitischen Schlusslichter Berlin und Bremen angekommen. Ankreiden müssen sich die Sozialdemokraten diese schlechte Bilanz ausgerechnet auf einem Politikfeld, das bei vielen Wählern eine hohe Bedeutung hat. 

Ernsts Nachfolger, ihr bisheriger Staatssekretär Steffen Freiberg, kann schwerlich als Neuanfang gesehen werden. Freiberg hat die Politik der gescheiterten Ministerin bislang mitgetragen, zum Teil selbst mitentwickelt. 

Woidkes Stellung in Gefahr?

Abzuwarten bleibt, wie sich das Scheitern von Ernst langfristig auf die Machtposition von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke auswirkt. Einige Kommentatoren haben den Rücktritt der Bildungsministerin bereits als Zeichen der Schwäche Woidkes gewertet. Der Regierungschef und SPD-Landesvorsitzenden hat entweder nicht bemerkt, was sich in der SPD-Fraktion unter dem immer selbstbewusster auftretenden Fraktionschef Daniel Keller zusammenbraute, oder ihm ist es nicht gelungen, die Genossen im Landtag auf Linie zu bringen. 

Das Vergraulen der Kanzlergattin durch die SPD-Landtagsfraktion kann sogar als ein Affront gewertet werden, den Woidke offensichtlich nicht verhindern konnten. Für die märkische Sozialdemokratie sind dies Vorgänge, die bislang unbekannt waren. Die SPD hat mit Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und Dietmar Woidke seit 1990 immer die Regierungschefs im Land Brandenburg gestellt. Dabei waren die Ministerpräsidenten stets das eindeutige Machtzentrum. Der SPD-Landesverband und auch die Landtagsfraktion ordneten sich bislang immer unter. Schon seit einiger Zeit ist nun allerdings zu beobachten, wie Keller immer öfter eigene politische Akzente setzt. 

Seit dem Rücktritt von Ernst muss die SPD-Landtagsfraktion als ein zweites Machtzentrum neben Woidke angesehen werden. Mittlerweile halten es Beobachter sogar für möglich, dass Fraktionschef Keller gegen Woidke antreten wird, wenn es um die Frage geht, wer für die SPD bei der Landtagswahl im kommenden Jahr als Spitzenkandidat antritt.