Während ihres dreijährigen Aufenthalts in Deutschland hat die chinesische Studentin Yan Bian ihre Erlebnisse und Beobachtungen in wohlwollend-höflichen oder auch freundlich-kritischen Skizzen festgehalten, die in dem schmalen Band „Land der Tugend. Eine junge Chinesin erlebt Deutschland“ zusammengefasst sind. Ihr Deutschlehrer hat sie zur Veröffentlichung ihrer scharfsinnigen Betrachtungen überredet. Er hat das Buch ausgezeichnet lektoriert und überarbeitet.
Oftmals fügt die Autorin der von ihr wahrgenommenen Sicht der Deutschen auf China eine Richtigstellung hinzu. Manchmal schweift ihr Blick vergleichend über andere Länder in Europa und der ganzen Welt. Einige der Kapitel enthalten Bezüge, die auf nicht altersgemäßen Welt- und Geschichtskenntnissen beruhen, sodass Zweifel daran aufkommen, ob Bian wirklich die einzige Autorin ist.
Von den schwer erträglichen Grausamkeiten der Tiermärkte in China lenkt sie mittels einer harmlosen Anekdote ab, die auch noch als „Touristenlatein“ bezeichnet wird. Zu Recht betont sie die Notwendigkeit von strengeren Strafen in Deutschland etwa für Vandalismus in Bahnhöfen oder an Bushaltestellen und plädiert für strengere Schulen. Zu Recht moniert sie auch, dass Deutschland den eingewanderten Jugendlichen zu viele Straftaten durchgehen lässt. Dagegen würden in China derlei Taten hart sanktioniert und die Familien der Täter würden sich dafür schämen.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem Heimatland verteidigt Bian gegen elementare Kritik. Probleme durch Umweltverschmutzung spielt sie herunter. China sei groß genug, „um irgendwann jeden Chinesen glücklich machen zu können. Deswegen tun wir den Teufel und zetteln einen Krieg mit Taiwan an, geschweige denn mit den USA.“ Ihr Wort in Gottes Ohr! Nach einigen Doppel-Lobeshymnen („Kant und Konfuzius, vereinigt euch!“) kommt eine Zielsetzung des Buches zum Vorschein: „China ist eh schon auf dem Weg zur dominierenden Weltmacht, allerdings mit freundlicher Schützenhilfe des Westens, der seine alten Tugenden und Wettbewerbsvorteile aufgibt.“ Denn das gute alte Europa gebe „auch China ein schlechtes Beispiel, aus dem es ganz gewiss lernen wird – nur so als Tipp!“
Es bleibt mysteriös, wer der Co-Autor und Ghostwriter ist, der sich zuletzt recht deutlich als Chinese zu erkennen gibt. Und es ist zu vermuten, dass dieser überwiegend kurzweilige kleine Band in chinesischer Übersetzung auch im Heimatland der Autorin verkauft werden soll.
Yan Bian: „Land der Tugend. Eine junge Chinesin erlebt Deutschland“, Sprachenstadt Verlag, Bonn 2022, broschiert, 129 Seiten, 9,95 Euro