18.05.2024

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Folge 17-23 vom 28. April 2023 / Ludo Palos / Vom Landwirt zum Löwenbändiger / Wie aus Gerhard Ludwig aus Wormditt im Ermland ein gefeierter Zirkuskünstler der DDR wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-23 vom 28. April 2023

Ludo Palos
Vom Landwirt zum Löwenbändiger
Wie aus Gerhard Ludwig aus Wormditt im Ermland ein gefeierter Zirkuskünstler der DDR wurde
Bettina Müller

Flensburg, Ende der 1940er Jahre. Der ermländische Landwirtssohn Gerhard Ludwig, geboren 1928 in Wormditt-Abbau, ist nach seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft in die Fußstapfen seines Vaters Anton Ludwig getreten. Er hat in Flensburg eine Lehre zum Landwirt absolviert und dort kurze Zeit als Verwalter gearbeitet. Doch auf einmal ist Gerhard spurlos verschwunden. Er hat einfach seinen Koffer gepackt, auf sein Fahrrad geschnallt und ist losgefahren. Dem Abenteuer entgegen. Seit er als Zehnjähriger in Wormditt einen durchreisenden Zirkus besucht hat, ist es sein Traum, mit Raubtieren zu arbeiten, sie zu beherrschen, zu dressieren: „So einer wirst du auch einmal sein!“, ahnte er schon damals, als der Zirkus in Wormditt im Ermland gastierte, und: „Plötzlich wusste ich, was aus mir werden sollte“, schrieb er in seinen Erinnerungen, die im Ermlandbuch 1969 veröffentlicht wurden. 

Ludwig ist der Spross einer kinderreichen Familie, das legendäre „ermländische Dutzend“, das damals keine Seltenheit war. Ludwig, der Zweitälteste, dessen Onkel, Pfarrer Franz Ludwig aus Santoppen, von Soldaten der Roten Armee erschossen wurde, muss bis Gelsenkirchen radeln, bis er einen Zirkus findet, der ihn als Zeltarbeiter beschäftigt. 

Ein innerer Drang

Es ist der Beginn der erstaunlichen Karriere eines Mannes, der den eisernen Willen dazu hatte: „In meinem Inneren war ein Drang, der mir keine Ruhe ließ.“ Er arbeitet sich tatsächlich sukzessive hoch bis hin zum Tierpfleger, dabei beobachtet er die Dompteure und deren Tiere sehr genau. Er schaut sich Tricks ab, bildet sich seine eigene Philosophie und Taktik, wie man mit den unter Umständen reißenden Bestien umgehen muss. Sentimentalitäten sind für ihn tabu, es sind schließlich wilde Tiere, und das sollen sie auch bleiben. Eher sollen sie vor ihm zittern. Tiger und Panther sind seine bevorzugten Tiere, 1953 muss er sich aber erst einmal noch mit den grauen Riesen begnügen, als er in Leipzig beim Zirkus Paula Busch als Elefantenpfleger arbeitet, vorher hatte er fünf Tiger betreut. Als der berühmte Dompteur Gilbert Houcke nach Filmaufnahmen auf Ceylon erschöpft nach Urlaub schreit, lehnt Busch das vehement ab. Ludwig reagiert sofort und bietet sich als Ersatzdompteur an. Er bekommt diese große Chance und arbeitet sehr intensiv mit den Tieren, unterstützt von Houckes Tierpfleger und dem Zirkusdirektor. Es läuft zur Zufriedenheit aller, bis sich einer der acht Tiger in der Generalprobe auf einmal als äußerst unkooperativ erweist. Das Tier greift Ludwig an und kann nur mit Mühe mit einem Fleischbrocken abgelenkt werden, nachdem er Ludwig aber bereits ein Stück seines Handballens abgebissen hatte. 

Chance beim Zirkus Aeros

Noch im Krankenhaus wird Ludwig vom Direktor des Zirkus Aeros besucht, der ihm anbietet, seine acht Eisbären zu dressieren, um sie dann bei ihm vorzuführen. Aus Gerhard Ludwig wird so „Ludó Paloś“ mit seinen „8 Riesen aus dem Polarkreis“, die Truppe wird auf Werbeplakaten als Teil der „Großen Aeros-Raubtier-Symphonie“ angepriesen. 

Der Zirkus Aeros war eine Gründung des verwegenen Sensationsartisten „Cliff Aeros“ aus Hamburg, der eigentlich Julius Jäger hieß, und der auch als Dompteur und Artist glänzte. Als Aeros 1952 hoch verschuldet verstarb, hatte die Stadt Leipzig die kommunale Verwaltung des Zirkus übernommen. 1961 sollte er in den „Volkseigenen Betrieb Zentral-Zirkus“ eingegliedert werden, dem bereits Zirkus Barlay und Busch angehörten.

1954 führt die Zirkustournee Ludó Paloś, der mittlerweile mit einer gemischten Tiergruppe arbeitet, auch nach Reichenbach im Vogtland, wo er eines Abends die Frau trifft, die einmal „Frau Paloś“ sein würde. Anneliese Meichsner besucht mit ihrem kleinen Bruder den Zirkus. Ein großer und kräftiger Mann spricht sie an, sie unterhalten sich angeregt, verabreden sich. 

Dass er der Löwendompteur ist, ahnt sie nicht, während ihr kleiner Bruder mehr weiß und bereits in Ehrfurcht verstummt ist. Dann geht alles sehr schnell. Ludó Paloś geht zunächst noch auf Tournee, nach seiner Rückkehr verlobt sich das Paar und heiratet schon bald. Anneliese ist nun Teil der Zirkustruppe und geht mit ihrem Mann mit auf Tournee, die sie vor allem nach Osteuropa führt, aber auch durch die DDR. 1957 macht der Zirkus Aeros unter anderem in Ost-Berlin Station. 

Die „Aktuelle Kamera“ ist hautnah mit dabei, als Elefanten an einem heißen Sommertag aus dem Zug durch die Stadt zum Alexanderplatz geführt werden, wo der Zirkus gerade sein Zelt aufschlägt. Ein Kraftakt für die Arbeiter, die in der Hitze die Pflöcke für die Zelte in die Erde schlagen müssen. Große Kinderaugen, Faszination, Jungen in Badehosen, die den Elefanten hinterherlaufen, die unterwegs mit Wasser versorgt werden müssen, damit sie nicht kollabieren. Pferde freuen sich ungestüm über die kurze Freiheit. Hechelnde Eisbären, traurige Löwen hinter Gittern, die vom Dschungel träumen, während Menschen sie bestaunen. Der Zirkus ist in der Stadt!

Karriere oder Familie

Es folgen für das Paar noch mehrere Tourneen durch Osteuropa. Polenaufenthalte verbindet der sehr heimatverbundene Ludwig auch immer mit Besuchen seiner Heimatstadt Wormditt und Umgebung. Das Paar bekommt zwei Söhne. In der DDR lebt die Familie im Zirkus in einer Art „Stadt in der Stadt“, wo sie einige Annehmlichkeiten genießt. Doch die schulische Ausbildung der Kinder erscheint den Eltern zu unregelmäßig und unzureichend, sie möchten für sie ein geregeltes Leben, das ihnen der Zirkus nicht bieten kann, zumal Gerhard eben oft länger auf Tournee ist. 

Als sich erneut Nachwuchs ankündigt, diesmal eine Tochter, entschließen sich Gerhard und Anneliese Ludwig, das Zirkusleben aufzugeben und in den Westen zu gehen. Ludó Paloś tauscht schließlich seine geliebten Löwen, Panther und Tiger gegen Milchkühe und wird wieder zu Gerhard Ludwig. Das Ehepaar übernimmt den Hof der Eltern Ludwigs im Ahrtal. 1970 ziehen sie in den Westerwald auf den Hof „Ludwigshagen“ in der Nähe von Elsoff. 

2007 ist Gerhard Ludwig, der einmal Ludó Paloś war, dort gestorben. Ein westdeutscher Landwirt, der einmal Teil der DDR-Zirkusgeschichte war und in Vergessenheit geriet, weil er seine Karriere zugunsten des Familienlebens und der Landwirtschaft aufgegeben hat.