Der russische Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan haben nach Angaben ihrer Büros miteinander telefoniert, bevor die beiden Länder die Einweihung des ersten türkischen Atomreaktors feierten. Das Atomkraftwerk steht in der Stadt Akkuyu in der südtürkischen Provinz Mersin, nicht weit entfernt von dem Erdbebengebiet, in dem im Februar dieses Jahres 50.000 Menschen bei einem Beben ums Leben kamen. Allein deswegen war zur Einweihung kein großes Fest geplant. Das AKW wurde von der staatlichen russischen Atomenergiegesellschaft Ros-atom gebaut.
Erdoğan dankte Putin für dessen Hilfe beim Bau des Kraftwerks. Beide Staatschefs sprachen auch über die Schwarzmeer-Getreide-Initiative und die Situation in der Ukraine. Putin sagte, sie seien übereingekommen, die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Landwirtschaft zu vertiefen. Die beiden Länder arbeiteten an einer Initiative Erdoğans, aus russischem Getreide hergestelltes Mehl in Länder zu schicken, die es benötigten.
Beide Präsidenten nahmen virtuell an einer Zeremonie teil, bei der der Kernbrennstoff in den ersten Kraftwerksblock in Akkuyu geladen wurde. Das 20-Milliarden-Dollar-Projekt zum Bau von vier Reaktoren mit einer Leistung von 4800 Megawatt wird es der Türkei ermöglichen, dem Klub der wieder wachsenden Länder mit ziviler Kernenergie beizutreten, dem Deutschland, entgegen dem Trend seit einigen Wochen nicht mehr angehört. Im Jahr 2025 soll die Anlage physisch ans Netz gehen, um Strom zu produzieren, so Andrej Lichatschow, Leiter von Rosatom. Ankara hofft, dass die Anlage die Abhängigkeit der Türkei von Energieimporten aus Kohlenwasserstoffen verringern wird.
Erdoğan möchte eigene Atombombe
Der Bau der Akkuyu-Anlage wurde durch die Sanktionen des Westens erschwert. „Ja, wir haben gewisse logistische Probleme“, sagte der Direktor des Werks Akkuyu, Sergej Buzkich, am Vorabend des Starts gegenüber Reportern.
Die Türkei ist der einzige NATO-Staat, der gute Beziehungen zum russischen Präsidenten pflegt. Sie weigert sich, die westlichen Sanktionen gegen Russland zu unterzeichnen und versucht, ein Ende des Krieges zu vermitteln. Allerdings ist die Türkei unter Erdoğan auch eine „Ein-Mann“ Autokratie geworden und verfolgt mit dem Projekt der Wiederherstellung eines neo-osmanischen Reiches eine ähnliche Politik wie Putin, der ein neues imperiales großrussisches Reich wiederherstellen möchte. Erdoğan hat wiederholt angedeutet, dass er beabsichtigt, eine eigene türkische Atombombe zu bauen.
Der türkische Präsident nahm per Videoschaltung an der Zeremonie teil, da er wegen eines Gesundheitsproblems Veranstaltungen absagen musste. Am 14. Mai stehen in der Türkei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, deren Ausgang auch über die zukünftige politische Ausrichtung des Landes entscheiden wird.