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Folge 18-23 vom 05. Mai 2023 / Und führe uns staunend in Versuchung / Liebe und Glaube – Das Diözesanmuseum Freising ist nach neun Jahren wieder eröffnet und widmet sich der „Verdammten Lust“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-23 vom 05. Mai 2023

Und führe uns staunend in Versuchung
Liebe und Glaube – Das Diözesanmuseum Freising ist nach neun Jahren wieder eröffnet und widmet sich der „Verdammten Lust“
Veit-Mario Thiede

Eine der bedeutendsten religionsgeschichtlichen Sammlungen der Welt hütet das Diözesanmuseum Freising. Wegen mangelhaften Brandschutzes war es seit 2013 geschlossen. Die Sanierung des Hauses finanzierte die Erzdiözese München-Freising mit 73,8 Millionen Euro. Für die Modernisierung des spätklassizistischen Gebäudes sorgte das Architekturbüro Brückner & Brückner. Markante Neuerung sind die bis zum Fußboden herabgezogenen Rundbogenfenster, die wie verglaste Arkaden aussehen. 

Das Arkadenmotiv setzt sich im Erdgeschoss fort, das somit aus einer offenen Raumfolge besteht. Zentraler Veranstaltungsort ist der Innenhof. Dessen dunkle Holzdecke wurde beseitigt. Durch die neue Glasdecke fällt nun reichlich Licht von oben ins Haus.

Die Schausammlung ist im ersten Stock eingerichtet. Die Präsentation vereint Werke des frühen Christentums bis hin zur Gegenwartskunst. Museumsdirektor Christoph Kürzeder erläutert: „Wir stellen in unserer Schausammlung die Geschichte, das Leben und die Wirkung der beiden wichtigsten Figuren für das Christentum dar: Jesus und Maria. An ihnen zeigt sich ja, was Menschsein ist.“

Im ersten Saal steht das Wunder der Geburt im Mittelpunkt. Stolz präsentiert die Holzfigur der „Mondsichelmadonna“ (Ulm, um 1510) das auf ihrem rechten Unterarm sitzende Jesuskind. Beide blicken nachdenklich – als sähen sie die Jesus bevorstehende Leidensgeschichte zur Erlösung der Menschheit voraus. An diese wird im nächsten Saal mit der lebensgroßen Sitzfigur des arg geschundenen Christus erinnert. Unter den Arbeiten, die sich auf die Nachfolge Christi beziehen, fesselt ein Hauptwerk Jan Pollacks: „Sturz des Simon Magus“ (um 1490/95). Petrus kniet im Freien und blickt grimmig zum schwebenden Simon Magus auf. Petrus betet zu Gott, dass er den falschen Propheten zu Fall bringen möge. Kleine Dämonen versuchen, Simon Magus festzuhalten, doch sein Absturz steht kurz bevor.

Der Rundgang endet mit den „letzten Dingen: Erlösung oder Verdammnis“. Blickfang ist die golden funkelnde „Rosenkranztafel“ (1536). Hans Ostendorfer malte sie für den bayerischen Herzog Wilhelm IV., der am unteren Bildrand mit Frau und Kindern Maria mit ihrem toten Sohn im Schoß anbetet. Über ihnen erhebt sich ein riesiger Rosenkranz mit Darstellungen der zehn Gebote. Mittelpunkt des vom Rosenkranz umschlossenen Bildfeldes ist der gekreuzigte Jesus. Gottvater, die Taube des Heiligen Geistes und Maria mit dem Jesuskind sowie die Gemeinschaft aller Heiligen treten hinzu. Das Prachtwerk ist einer der wichtigsten Kunstschätze des Diözesanmuseums. 

In der neuen Sonderausstellung des Museums geht es noch bis Ende des Monats um Sexualität und christliche Religion im Spiegel der Kunst. Museumschef Kürzeder hat sich des Themas auf Vorschlag von Reinhard Kardinal Marx angenommen. Der Erzbischof des Bistums München-Freising beurteilt die Thematik als „höchst aktuell und brisant, da die derzeitige Diskussion um den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche nicht nur systemimmanente Probleme, wie Klerikalismus und Machtmissbrauch, offenlegt, sondern vor allem auch eine entscheidende Grundproblematik, nämlich die oft sehr belastete Beziehung vieler Menschen in unserer Kirche zu Körperlichkeit und Sexualität“.

Die Schau bietet über 150 Werke aus den letzten 2000 Jahren auf. Skulpturen des lüsternen Pan sowie mit erotischen Szenen dekorierte Öllampen aus der römischen Antike schwelgen in unbeschwerter Sinnenfreude. Die Mehrheit der Exponate aber ist christlichen Themen gewidmet. Sie stammen aus dem späten Mittelalter bis hin zum frühen 

19. Jahrhundert, denn „die im Bild geführten Körperdiskurse sind in diesem Zeitraum klar von religiösen Ideen dominiert“, so Kürzeder. Die damalige christliche Sexuallehre gilt in der katholischen Kirche noch heute: Geschlechtsverkehr ist nur zwischen Ehepartnern erlaubt und hat das Ziel, Nachwuchs zu zeugen. Kardinal Marx hält das für von der Lebensrealität längst überholt und daher einen Diskurs über die katholische Sexuallehre für dringend geboten.

Die mit Lucas Cranachs Gemälde „Adam und Eva“ (nach 1537) beginnende Schau stellt den Menschen als sexuelles Wesen einem theologischen Ideal gegenüber: die unreine fleischliche Begierde der reinen Hingabe an Gott. Als Vorbilder der Keuschheit treten die heilige Jungfrau Maria und ihr Sohn Jesus Christus auf.

Nach „Versuchungen“ fahndenden Besuchern seien die Gemälde der Heiligen Sebastian und Maria Magdalena empfohlen. Die auch bei vielen anderen Exponaten zu bemerkende Mehrdeutigkeit ist bei ihnen besonders offensichtlich. Die körperliche Schönheit als Ausweis des Glaubenshelden bekommt in Luca di Paolos Gemälde „Der heilige Sebastian mit Angehörigen einer Laienbruderschaft“ (1470–1475) eine frivole Note. Denn der von Pfeilen durchbohrte athletische Märtyrer ist bis auf seine roten Stiefel und sein zur Transparenz neigendes Lendentuch nackt. Die von Guido Cagnacci gemalte „Büßende Maria Magdalena“ (1626/27) hält eine Geißel und einen Totenschädel in den Händen. Blickfang aber ist ihr entblößter Oberkörper. Ihr Mund steht offen, ihre Augen sind geschlossen. Sie scheint außer sich. Ihre Buße wird zum lustvollen Akt.

Bis 29. Mai im Diözesanmuseum Freising, Domberg 21, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 8 Euro. Der im Hirmer Verlag erschienene Katalog kostet 49,90 Euro, der Essayband 39,90 Euro, beide zusammen 80 Euro. www.dimu-freising.de