18.05.2024

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Folge 19-23 vom 12. Mai 2023 / Vogelwelt II / Hämmern bis der Arzt kommt / Der Specht, der nervt – wenn er im Wohngebiet auf Laternen trommelt. Doch wie schafft er es, keine Kopfschmerzen zu bekommen?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-23 vom 12. Mai 2023

Vogelwelt II
Hämmern bis der Arzt kommt
Der Specht, der nervt – wenn er im Wohngebiet auf Laternen trommelt. Doch wie schafft er es, keine Kopfschmerzen zu bekommen?
Stephanie Sieckmann

Der Specht, der in einem Hamburger Wohngebiet die Anwohner früh morgens aus dem Schlaf trommelt, ist keineswegs verhaltensgestört, weil er auf einen Laternenpfahl einhackt. Im Gegenteil: Mit seinem lauten Hämmern auf das Blech will er ein Weibchen anlocken, mit dem er dann in seine Baumhöhle zieht.

Dass Spechte direkt mit dem Schnabel aufs Holz – oder Laternenblech – einhämmern, ohne Kopfschmerzen zu bekommen, verdanken sie einem ausgefeilten System, das perfekt mit der Anatomie abgestimmt ist. Rund 20 Schläge pro Sekunde und bis zu 12.000 Schläge am Tag kann der Specht mit seiner Methode ausführen. Damit lässt er jeden Handwerker weit hinter sich. Dazu kommt: Bei einem frontalen Aufprall erfolgt der Hammerschlag des Spechtes gegen den Baum mit einer beeindruckenden Geschwindigkeit von fast 25 Kilometern pro Stunde. Einen großen Teil der Arbeit am Baum erledigt der Specht jedoch mit seitlichen Streifhieben, die er deutlich leichter abfedern kann.

Die Natur hat den Specht für dessen Aufgabe bestens ausgerüstet. Das Gehirn dieses Vogels liegt nicht direkt hinter dem Schnabel, sondern ist etwas höher angeordnet. Außerdem hat es besonders wenig Bewegungsspielraum und bleibt so trotz des großen körperlichen Schnabel-Einsatzes an Ort und Stelle. Gehirnerschütterungen, wie sie beim Menschen auftreten, kann der Specht deshalb nicht erleiden.

Aber es gibt noch mehr Raffinessen der Natur, die dafür sorgen, dass der Specht Tag für Tag schlagkräftige Spitzenleistungen liefern kann. Die sehr starken Muskeln am Kopf sind so angeordnet, dass sie beim Hämmern angespannt werden und als Stoßdämpfer wirken. Außerdem ist der Knochen am Schädel an der Außenwand besonders robust, zugleich aber auf der Innenseite porös.

Mit seinem perfekten, natürlichen Schutzanzug hat diese Vogelart, von der es weltweit rund 300 Arten gibt, die Wissenschaftler zur Entwicklung von Ausrüstungsgegenständen inspiriert, die Sportler vor den Folgen von schweren Gehirnerschütterungen schützen sollen. So sind unter anderem Helme und ein Kragen für American-Football- und Eishockey-Spieler entwickelt worden, die das spezielle Specht-Schutz-System imitieren.

Die Gründe, warum der Specht – in Deutschland leben sieben verschiedene Arten – den ganzen Tag lang mit dem Schnabel auf Bäume einwirkt, sind vielfältig. Sportlicher Einsatz gehört nicht dazu. Die Nahrungsaufnahme macht nur einen Teil davon aus. Oft geht es darum, das Revier zu verteidigen, ein Nest zu bauen oder einem Weibchen zu imponieren wie bei dem Hamburger Laternenspecht.

Das ist bei manchem Heimwerker nicht anders. Wer hier groß herauskommen will, schmückt sich mit Profi-Ausrüstung wie Spezialhandschuhen, Schutzbrillen, extra großen Hämmern oder Äxten. Spechte sind da im Vorteil: Sie haben all das nicht nötig.