19.05.2024

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Folge 20-23 vom 19. Mai 2023 / Literatur / Ein nationales Ausrufezeichen / Vor 150 Jahren starb Italiens Nationaldichter Alessandro Manzoni – Weltliteratur mit „Die Verlobten“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-23 vom 19. Mai 2023

Literatur
Ein nationales Ausrufezeichen
Vor 150 Jahren starb Italiens Nationaldichter Alessandro Manzoni – Weltliteratur mit „Die Verlobten“
H. Tews

Im Zentrum Mailands führt der nördliche Ausgang der großen Einkaufsgalerie Vittorio Emanuele II links zum Platz vor dem Opernhaus Scala und rechts zum Platz vor der Kirche San Fedele. Mitten auf dieser Piazza befindet sich ein Monument zum Andenken an den Mailänder Schriftsteller Alessandro Manzoni, den ein tragisches Schicksal mit diesem Ort verbindet. Nach dem Besuch eines Gottesdienstes in San Fedele stürzte er vor der Kirche so unglücklich auf den Kopf, dass er fünf Monate später, am 22. Mai 1873, an den Folgen des Sturzes im Alter von 88 Jahren verstarb.

In Italien gilt Manzoni als Nationalheiliger, einen vergleichbaren Status haben nur noch Dante Alighieri und Verdi. Das „Requiem“ des Opernkomponisten Verdi ist aus Anlass des Todes von Manzoni entstanden und erklang erstmals zu dessen erstem Todestag in Mailand.

Manzonis Ruhm gründet sich auf ein einziges Werk, das Verdi wegen seines humanistischen Ansatzes „einen Trost für die Menschheit“ nannte: der von Walter Scotts inspirierte historische Roman „Die Verlobten“, der auch unter dem Titel „Die Brautleute“ bekannt ist. In dem 1827 erschienenen Werk schildert Manzoni die Liebe eines jungen lombardischen Paares, der sich ein Raubritter aus den Bergen entgegenstellt. Bevor die Liebesgeschichte ein Happy End findet, muss das Paar die große Mailänder Pest von 1630 überstehen. Die Schilderung dieser Epidemie gehört zum Stärksten, was die romantische Literatur hervorgebracht hat. So ergreifend und hautnah hat erst wieder Albert Camus im Roman „Die Pest“ den Ausbruch dieser Plage geschildert.

Weil Goethe, der seit seinen Italienreisen die Sprache beherrschte, zuvor eine Napoleon-Ode Manzonis ins Deutsche übersetzt hatte, schickte dieser eine Fassung von „Die Verlobten“ an den deutschen Dichterfürsten. Der würdigte zwar nicht die auf historischen Quellen basierende Pestgeschichte, den Rest aber schon, wie er im Gespräch mit Eckermann feststellte: Der Roman überflügele alles, „was wir in dieser Art kennen“. Unmittelbar nach dessen enthusiastischer Fürsprache erschienen gleich zwei Übersetzung ins Deutsche, denen bis heute über ein Dutzend weitere gefolgt sind.

Goethes Fassung der „Verlobten“ enthielt noch viel lombardischen Dialekt. Damit sein Werk in ganz Italien verstanden wurde, schuf Manzoni eine an das Toskanische angelehnte neue Fassung in einer Art italienischer Hochsprache. Er habe, hieß es, „die Wäsche im Arno nachgespült“. Während des Risorgimento, als die Italiener nach einem geeinten Staat strebten, galt Manzonis Bemühung um eine einheitliche, landesweit verständliche Literatursprache als nationales Ausrufezeichen. Die Tatsache, dass die Leser das 1815 auf dem Wiener Kongress gebildete und von den Österreichern regierte Königreich Lombardo-Venetien in der im Roman beschriebenen spanischen Fremdherrschaft des Herzogtums Mailand gespiegelt sahen, trug mit dazu bei, dass man in Manzoni eine Leitfigur des Risorgimento sah. So wurde der Autor im neugebildeten Königreich Italien zum Senator ernannt. Für weitere literarische Werke fehlte dem Nationaldichter danach jedoch der geeignete Stoff.