19.05.2024

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Folge 20-23 vom 19. Mai 2023 / Östlich von Oder und Neiße / In Gnadenfeld hat Nieskys Geschichte einen Ehrenplatz / Vor 140 Jahren: Diakonissinnen verlegten ihren Sitz an einen Ort westlich der Lausitzer Neiße

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-23 vom 19. Mai 2023

Östlich von Oder und Neiße
In Gnadenfeld hat Nieskys Geschichte einen Ehrenplatz
Vor 140 Jahren: Diakonissinnen verlegten ihren Sitz an einen Ort westlich der Lausitzer Neiße
Chris W. Wagner

Vor 140 Jahren wurde der Sitz der Diakonissenanstalt „Heinrichstift“ der Herrnhuter Brüder-Unität von Gnadenfeld [Pawłowiczki] in Oberschlesien an den westlichen Rand Schlesiens verlegt. An dieses Ereignis erinnerten die Schwestern der Diakonissenanstalt Emmaus in Niesky in der Oberlausitz mit einem Ausflug in die Geschichte des Hauses. Damit die Mitarbeiter im heute zum Freistaat Sachsen gehörenden Niesky Kenntnis über ihre Wurzeln haben, sagte Oberin Sonja Rönsch. 

Sie hatte im Vorfeld zwei Reisen nach Oberschlesien organisiert. „So haben wir uns den Ort Gnadenfeld mit allem, was darum herum ist, angeschaut. Die Herrnhuter Archivarin der Brüderunität, Claudia Mai, hat uns dabei begleitet und wir konnten uns das erste ‚Haus Emmaus‘ in Gnadenfeld anschauen.“ Vorgefunden haben die Nieskyerinnen nur noch einige Pflanzen des einstigen Erlenhains, den Studenten des damaligen Predigerseminars als Park angelegt hatten. „Wir haben auch Häuser entdeckt, die damals schon standen. Wenn man weiß, wonach man schauen soll, entdeckt man viel mehr, als man vielleicht denkt. Auch das zweite Haus Emmaus gibt es in Gnadenfeld immer noch. Es ist jetzt ein Wohnhaus“, freut sich die Oberin. Sie war bereits vor 15 Jahren in Gnadenfeld, damals stand noch das allererste Heinrichstift. Spätestens, wenn es neue Mitarbeiter in Niesky gibt, will Rönsch wieder einen Ausflug nach Oberschlesien organisieren.

Gnadenfeld ist die einzige Niederlassung der weltweit durch ihre Mission bekannten Herrnhuter Brüderunität in Oberschlesien. Und Herrnhut ist nur 

37 Kilometer von Niesky entfernt, wo auch die ersten „Herrnhuter Sterne“ entstanden. 1766 hatte Ernst Julius von Seidlitz für seinen Sohn Friedrich das Dominium Pawlowitzke unweit von Cosel gekauft und ließ dort eine Siedlung für die Herrnhuter Glaubensbrüder gründen.

1821 erblickte in Gnadenfeld Hermann Plitt das Licht der Welt. Der spätere Pfarrer und Leiter des Theologischen Seminars in Gnadenfeld war von Diakonissen-Anstalten der evangelischen Kirche begeistert und wollte diese auch in der Gnadenfelder Brüdergemeine einrichten. Er  träumte von einem Krankenhaus in Gnadenfeld. Die Not in Oberschlesien war groß, berichtet Pfarrerin Angela Koppehl, die sich mit der Geschichte der Emmaus-Häuser beschäftigt. „Der Handlungsspielraum in einer überwiegend katholischen Umgebung, in der die barmherzigen Brüder und Schwestern mit ihrer Mildtätigkeit die evangelischen Gemeinden oft beschämten, war nicht allzu groß. Bei einem Versuch, eine Kinderschule in Gnadenfeld einzurichten, hatte sich die katholische Kirche der Aufnahme katholischer Kinder widersetzt. Gegen mancherlei Bedenken und Schwierigkeiten, schließlich waren die Bewohner der Gegend nicht nur katholisch, sondern sprachen auch Polnisch, war nach dem ersten kleinen Anfang 1870 sogar ein neues Haus gebaut worden“, berichtet sie über die Entstehung des ersten Heinrichsstift in Gnadenfeld. Zwei Schwestern hatten die Aufgaben im Stift übernommen: Auguste Tichy, die aus der Umgebung stammte, und Luise Trespe aus Siegroth [Dobrzenice], Kreis Nimptsch [Niemcza] in Niederschlesien. „Beide hatten 1870 in Gnadenfeld und Umgebung schon manches geleistet, hatten Kranke versorgt – besonders in der großen Choleraepedimie 1866/67 –, hatten eine Strickschule begonnen, Waisenkinder aufgenommen, einigen Alten ein Stübchen eingerichtet“, so Koppehl.

1880 endete die Zeit Hermann Plitts in Gnadenfeld. Ärzte rieten ihm dringend zu einem südlicheren Wohnort. Als seine Frau verstarb, ging er mit den Kindern nach Cannstatt (heute Stuttgart-Bad Canstatt) in Württemberg. „Da auch die übrigen Vorstandsmitglieder in Gnadenfeld aus Altersgründen die Arbeit eher niederlegen wollten und dazu die leitende Schwester Auguste Tichy sich keiner robusten Gesundheit erfreute, geriet die Existenz des Heinrichstifts in Gefahr“, berichtet die Pfarrerin. Dagegen wollte Plitt ankämpfen. Er durfte zwar nicht nach Gnadenfeld zurück, das wäre gegen die Bestimmungen der Brüdergemeine, aber er ging nach Niesky, von wo er hoffte, die Leitung des Heinrichstifts in Gnadenfeld wieder zu übernehmen. 1883 kaufte er ein neues Haus am Rande von Niesky und richtete dort das neue Emmaus-Mutterhaus ein. Damit wurde das Heinrichstift in Gnadenfeld zur Filiale.