18.05.2024

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Folge 21-23 vom 26. Mai 2023 / Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung / Es soll nicht nur an Corona und Zuwanderung liegen / Rund ein Viertel der Viertklässler in Deutschland kann der jüngsten IGLU-Studie zufolge nicht richtig lesen. Das sind sechs Punkte mehr als 2017

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-23 vom 26. Mai 2023

Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung
Es soll nicht nur an Corona und Zuwanderung liegen
Rund ein Viertel der Viertklässler in Deutschland kann der jüngsten IGLU-Studie zufolge nicht richtig lesen. Das sind sechs Punkte mehr als 2017
Peter Entinger

Die Resultate sind erschreckend. Jeder vierte Viertklässler in Deutschland kann einer Studie zufolge nicht richtig lesen. Wie aus der vorletzten Dienstag in Berlin vorgestellten Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) hervorgeht, erreicht ein Viertel der Kinder in dieser Altersstufe nicht das Mindestniveau beim Textverständnis, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre. Bei der letzten IGLU-Erhebung, die Ende 2017 veröffentlicht wurde, lag der Anteil dieser Gruppe noch bei 19 Prozent. 

Die IGLU-Tests werden seit 2001 im Fünf-Jahres-Rhythmus durchgeführt. Verantwortlich ist das Institut für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund. Gefördert wird die Untersuchung unter anderem von der Kultusministerkonferenz und dem Bildungsministerium. 

Die niederschmetternden Resultate haben Ursachen. „Zu leugnen, dass sie mit der Zuwanderung zusammenhängen, wäre absurd“, kommentierte die Tageszeitung „Die Welt“. 37 Prozent der heutigen Viertklässler haben einen Immigrationshintergrund. Den Studienergebnissen nach kommen viele der Kinder, die schlecht lesen können, aus Familien, die nicht oder nur selten Deutsch sprechen. 

 Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „Bildungsferne über Generationen vererbt wird“. Kinder aus privilegierten Elternhäusern hätten hingegen größere Chancen auf Bildungserfolg als andere. Die Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft seien fatal. Ein Bildungssystem, das massenhaft „Verlierer“ produziere, liefere der einheimischen Wirtschaft nicht die Fachkräfte, die diese dringend benötige. Die Fehler lägen im System und nicht nur in der Tatsache, dass überdurchschnittlich viele Kinder aus Einwanderer-Familien hinten runterfielen. 

Auch die Gymnasien schwächeln

Neben den Problemen in der Grundschule gibt es Studien, die zu dem Schluss kommen, dass auch die Inhalte am Gymnasium nicht immer zielführend seien. So ist Wirtschaft im Zentralabitur schwächer verankert als andere Nebenfächer wie Sport oder Chemie. Dies zeigt die Studie „Ökonomische Bildung im Zentralabitur“, die das Institut für Ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg erstellt hat. 

Dieser Mangel könnte langfristig zu einem Standortnachteil werden. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Bildungsleistungen der Bevölkerung, wie sie etwa als Kompetenzen in internationalen Schülertests gemessen werden, der wohl wichtigste Bestimmungsfaktor für das langfristige volkswirtschaftliche Wachstum sind. Die bekannten PISA-Studien, die seit gut zwei Jahrzehnten von der OECD durchgeführt werden, sowie Daten aus noch früheren Zeiträumen liefern erstaunliche Erkenntnisse. Für die 50 Länder, für die neben den Schülerleistungsdaten auch international vergleichbare Wirtschaftsdaten vorliegen, gilt folgende Schlussfolgerung: Je besser die Leistungen in den PISA-Vorgängertests, desto höher ist das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf seit 1960. 

Hilmar Schneider, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn, hat schon vor einigen Jahren erklärt: „Die Zeit der harten körperlichen Arbeit ist im Grunde vorbei. Wir verrichten immer mehr geistige Arbeit oder Wissensarbeit.“ Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es ohne Bildung künftig noch schwieriger wird. 

Es wäre unfair, die Schuld nur bei den Kindern zu suchen. Denn die IGLU-Studie zeigt erstaunlicherweise auch, dass die Bildungsmotivation in Deutschland hoch ist. 

Erfreulich hohe Bildungsmotivation

Erhoben wurden die Zahlen der aktuellen Auswertung im Jahr 2021, einem Jahr, das noch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie stand. Hier wurden die großen Defizite Deutschlands im internationalen Vergleich deutlich. Digitaler Unterricht war in vielen deutschen Schulen gar nicht oder nur eingeschränkt möglich. Besonders betroffen waren hiervon abermals die Kinder aus eher prekären Verhältnissen. 

Doch die Autoren stellen deutlich klar, dass die aktuellen Zahlen nur bedingt mit der Pandemie zu tun haben. Im 20-Jahre-Trend zeige sich weder eine Verstärkung noch Reduzierung dieses Problems. Es habe sich im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit „praktisch nichts verändert“, so das Fazit der Wissenschaftler. 

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) stufte die Ergebnisse als „alarmierend“ ein. „Gut lesen zu können, ist eine der wichtigsten Grundkompetenzen und das Fundament für Bildungserfolg. Die IGLU-Studie zeigt, dass wir dringend eine bildungspolitische Trendwende benötigen“, erklärte sie. Und kann sich im bitteren Fazit der Studien-Autoren bestätigt finden: „Die betroffenen Kinder müssen dementsprechend mit großen Schwierigkeiten im weiteren Verlauf der Schul- und Berufszeit rechnen.“