18.05.2024

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Folge 22-23 vom 02. Juni 2023 / Andorra / Ausländer sind das Oberhaupt des Staates

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-23 vom 02. Juni 2023

Andorra
Ausländer sind das Oberhaupt des Staates
Manuel Ruoff

Wer als Schüler in Deutsch besser war als in Erdkunde, mag bei Andorra eher an ein Theaterstück von Max Frisch denken als an ein Fürstentum. Aber es ist auch Letzteres. Der in den östlichen Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich gelegene flächengrößte der sechs europäischen Zwergstaaten ist der einzige Staat der Welt, in dem zwei ausländische Amtsträger gemeinsam die Funktion des Staatsoberhauptes wahrnehmen. Und das kam so:

Im Jahre 839 wurden die Gemeinden Andorras erstmals urkundlich als Lehen der katalanischen Grafen von Urgell erwähnt. 1133 verkaufte der damalige Graf von Urgell, Ermengol VI., seine Andorra bezüglichen Rechte an den Bischof von Urgell. Mit der Verteidigung von und Rechtsprechung in Andorra beauftragten die Bischöfe die Adelsfamilie Caboet, die dafür mit Gebieten im Tal von Andorra und Sant Joan belehnt wurden. Die letzte dieses Geschlechts, Arnau, heiratete 1185 einen Vizegrafen von Castelbon, der als überzeugter Katharer antiklerikal eingestellt war und die Lehensabhängigkeit vom Bischof beenden wollte. Dafür suchte er das Bündnis mit dem als Schutzherr der Katharer geltenden Grafen von Foix, Raimond Roger, und verheiratete 1202 seine Erbtochter Ermesende mit dem einzigen legitimen männlichen Nachkommen des Grafen, Roger Bernard II. Wie zuvor der Vizegraf von Castelbon lehnten es nun auch die Grafen von Foix ab, die Lehensherrschaft der Bischöfe von Urgell anzuerkennen. 

Zu einer Beilegung des Konflikts kam es mit zwei unter dem Namen „Pareatges“ bekannten Verträgen aus den Jahren 1278 und 1288 zwischen dem damaligen Bischof von Urgell, Pere d’Urtx, und dem seinerzeitigen Grafen von Foix, Roger Bernard III. In ihnen einigten sich die beiden Seiten auf ein Kondominat, eine gemeinschaftliche Herrschaft der jeweiligen Bischöfe und Grafen über Andorra.

1589 wurde der damalige Graf von Foix, Heinrich III., als Heinrich IV. König von Frankreich. Von da an übten fürs erste die französischen Könige die entsprechenden Rechte in Andorra aus.

Die französischen Revolutionäre von 1789 missachteten den Sonderstatus und die Privilegien von Andorra und schalteten es mit Frankreich gleich. Auf andorranisches Betreiben hin stellte der Kaiser der Franzosen Napoleon I. allerdings 1806 den status quo ante weitgehend wieder her. Allerdings gab es zu dem Zeitpunkt ja keinen französischen König mehr. Dessen Rechte nimmt seitdem das französische Staatsoberhaupt wahr.

Dieser Status währte, bis 1993 eine Verfassung in Kraft trat, die Andorra als eine souveräne parlamentarische Demokratie definierte und aus den beiden ausländischen Herrschern reine Repräsentanten machte. Von nicht unerheblicher Bedeutung war nun, wie die beiden Nachbarn Andorras und Heimatländer seiner beiden Staatsoberhäupter auf diese Teilentmachtung des Bischofs von Urgell und des französischen Staatspräsidenten reagieren würden. Sie akzeptierten sie. Vor 30 Jahren, am 3. Juni 1993, erkannten das Königreich Spanien und die Französische Republik die Souveränität des Fürstentums Andorra an.