18.05.2024

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Folge 22-23 vom 02. Juni 2023 / Nikolaj Arsenjew / Das „Russenhaus“ in Königsberg / Ein russischer Religionsphilosoph an der Albertina – Beziehung zum Nationalsozialismus schadete seinem Ansehen nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-23 vom 02. Juni 2023

Nikolaj Arsenjew
Das „Russenhaus“ in Königsberg
Ein russischer Religionsphilosoph an der Albertina – Beziehung zum Nationalsozialismus schadete seinem Ansehen nicht
Bodo Bost

Der bekannteste Russe in Königsberg war Professor Nikolaj Arsenjew (1888–1977), der zum Kreis von Nikolaj Berdjajew und Iwan Iljin gehörte, die heute unter Putin zu Staatsphilosophen avanciert sind. Deshalb schadet es seinem Ruf auch kaum, dass Arsenjew 1933 Mitglied der SA und später der Wehrmacht wurde.

In der Regentenstraße [Tschpajew Straße 3] in der Altstadt von Königsberg lebte von 1933 bis 1944 der russische Philosoph und orthodoxe Theologe Arsenjew. Er war Professor an der Albertina und Leiter der orthodoxen Gemeinde von Königsberg. Hier trafen sich oft russische Landsleute, die ihre Heimat verlassen hatten, weshalb das Haus in Königsberg als Russenhaus bekannt war. Arsenjew hat eine Vielzahl von Werken über die russische Kultur, die nationalen Besonderheiten des russischen Geistes, über die kulturelle Tradition und die „gewaltsamen Brüche“ in ihr hinterlassen. Arsenjews Familie gehörte zu den alten russischen Familien, die bis in die ersten Jahrhunderte des Moskauer Staates zurückreichten.

Bekanntester Russe in Königsberg

Arsenjew wurde 1888 in Stockholm in der Familie des russischen Diplomaten Sergej Arsenjew (1854–1922) geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte der spätere Denker jedoch in Russland. Er besuchte das Moskauer Kaiserliche Hochschule sowie die Fakultät für Geschichte und Philologie der Moskauer Universität (1910). Er studierte an den Universitäten München, Freiburg und Berlin. Ab 1912 arbeitete er am Lehrstuhl für westeuropäische Literatur an der Moskauer Universität. 

Während des Ersten Weltkriegs diente er von 1914 bis 1916 beim Roten Kreuz. Im September 1916 nahm er seine Arbeit an der Moskauer Universität wieder auf. Die beiden Revolutionen im Jahr 1917 unterbrachen die wissenschaftliche und pädagogische Tätigkeit von Arsenjew. Er ging zu den Kosaken in den Süden, über Zarizyn gelangten er und seine Begleiter, Peter Struve, Grigorij Trubetskoj und sein Sohn Kostja, Anfang März 1918 wieder nach Moskau. Danach war er von 1918 bis 1920 Professor am Lehrstuhl für romanisch-germanische Philologie an der Universität Saratow in der Nähe der deutschen Wolgarepublik. 

Im Jahr 1919 wurde Arsenjew zweimal verhaftet. Aus Angst vor einer weiteren Verhaftung überquerte er im März 1920 illegal die polnische Grenze. Nach kurzen Aufenthalten in Warschau und Berlin ließ er sich in Königsberg nieder. Als im Februar 1923 das Russische Forschungsinstitut in Berlin eröffnet wurde, reiste er alle vierzehn Tage dorthin, um Vorträge über alte Religionen und das frühe Christentum zu halten. Am Leben der russischen, von Kosaken dominierten Emigrationszentren Paris, Prag, Warschau, Berlin und London beteiligte er sich aktiv. 1926 war er Delegierter des russischen Auslandskongresses. Von 1926 bis 1938 hatte er eine Professur an der orthodoxen theologischen Fakultät der Universität Warschau inne. Er hielt Vorlesungen an den Universitäten Oxford, Cambridge und London. Er arbeitete als Autor für Berdjajews Zeitschrift „Put‘„ (Der Weg). Am 27. und 28. Oktober 1931 nahm er an den altkatholisch-orthodoxen Konferenzen in Bonn teil, auf denen er die polnisch-orthodoxe Kirche vertrat. 1933 kaufte er seine Mutter und seine Schwestern von den Behörden der UdSSR frei. Bis 1944 war er Professor für russische Kultur und die Geschichte des russischen Geisteslebens an der Universität Königsberg. Während des Zweiten Weltkriegs gewährte er ehemaligen Kriegsgefangenen und Sowjetbürgern in Königsberg Unterschlupf.

In seinen Memoiren schrieb Arsenjew nichts über die Umstände seines Lebens in Königsberg unter den Nationalsozialisten. Im Januar 2013 veröffentlichte der Historiker Igor Petrow in seinem Blog jedoch Archivdokumente, aus denen hervorgeht, dass er im Juli 1933 der Sturmabteilung (SA) beitrat, im Herbst 1941 trat er als Freiwilliger in die Wehrmacht ein. Er diente als Übersetzter im Kriegsgefangenenlager in Wolosowo bei Leningrad. Bis 1944 arbeitete er mit den Behörden des Dritten Reichs zusammen.  

Mitgliedschaft in SS und Wehrmacht aufgedeckt

Am Ende des Krieges ging Arsenjew nach Paris. Dort beteiligte er sich an der ökumenischen Bewegung. Er wurde Mitglied der Kammer der Weltunion der christlichen Kirchen. 1947 ließ er sich mit Hilfe der Tolstoi-Stiftung in den USA nieder und entging so der Auslieferung an die UdSSR. Er lehrte am Theologischen Seminar 

St. Vladimir, an der Columbia University in New York und hielt Vorlesungen über Kirchengeschichte an der Universität von Montreal. Von 1971 bis zu seinem Tod 1977 war er Vorsitzender der Russian Academic Group in den USA.

In den Jahren 2011 und 2012 diskutierte der Kulturrat beim Gouverneur des Königsberger Gebiets mehrmals über die Anbringung einer Gedenktafel am Haus in der Regentenstraße in Königsberg. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Details von Arsenjews Biographie bereits bekannt, vor allem durch sein Erinnerungsbuch „Geschenke und Begegnungen auf dem Lebensweg“. Bislang wurde jedoch nicht entschieden, ob die Plakette für ihn dort angebracht wird. Ein enger Weggefährte Arsenjews war der russische Philosoph  Iwan Iljin, der  bis 1938 ebenfalls in Stettin und Berlin lebte und danach in die Schweiz ging, in der er 1954 starb. Er gilt heute als der Vordenker der Großrusslandideologie von Waldimir Putin, der seinen Leichnam 2005 nach Moskau auf den Donskoj-Prominentenfriedhof überführen ließ.