18.05.2024

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Folge 23-23 vom 09. Juni 2023 / Ukrainekrieg / Berlin kann Zustrom kaum stemmen / Folgen der EU-weiten Massenzustrom-Richtlinie – Das Gros der Flüchtlinge kommt nach Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-23 vom 09. Juni 2023

Ukrainekrieg
Berlin kann Zustrom kaum stemmen
Folgen der EU-weiten Massenzustrom-Richtlinie – Das Gros der Flüchtlinge kommt nach Deutschland
Hermann Müller

Von Januar bis April sind nochmals etwa 10.000 ukrainische Flüchtlinge nach Berlin gekommen. Ein Teil reiste in andere Bundesländer weiter, die Bundeshauptstadt hat rund 5500 Ukrainer neu aufgenommen. Der Zustrom von Kriegsflüchtigen aus dem Osten Europas ist damit wesentlich schwächer als im vergangenen Jahr. Trotzdem wird es für die Stadt zunehmend schwieriger, überhaupt noch Unterkünfte bereitstellen zu können. 

Sichtbar wird die angespannte Lage auf dem ehemaligen Flughafen in Tegel. Dort ist im früheren Terminal C ein Ankunftszentrum entstanden. Gedacht war die Einrichtung ursprünglich nur als Provisorium, das Ende Juni wieder schließen sollte. Bereits im Mai hatte der Senat beschlossen, das Ukraine-Ankunftszentrum bis mindestens Ende September weiter zu betreiben (siehe PAZ vom 26. Mai). Inzwischen kündigte Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) an, das Ankunftszentrum werde voraussichtlich noch „weit über 2023 hinaus“ benötigt. Nicht nur der Zeitplan, auch die Idee vom bloßen „Ankunftszentrum“ sei überholt. 

Maximal drei Tage sollten Ukrainer in dem Zentrum in Tegel bleiben, bis sie auf andere Bundesländer oder Quartiere in Berlin verteilt werden. Allerdings hat die Stadt zu wenig Unterkünfte. Hunderte Ukrainer leben deshalb nicht nur drei Tage, sondern über Wochen auf dem früheren Flughafengelände. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner räumte unlängst auch ein, es werde nicht für alle Flüchtlingskinder reguläre Schulplätze geben. Er wies dabei auch auf das Ukraine-Ankunftszentrum in Tegel hin, in dem etwa 1600 Kinder nicht beschult werden.

Verzicht auf Steuerungsmöglichkeit

Die Entwicklung in Berlin deutet darauf hin, dass die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie für die ukrainischen Flüchtlinge durch die EU im März 2022 möglicherweise nicht sonderlich durchdacht war. Die Massenrichtlinie hatte in den 90er Jahren noch die Europäische Gemeinschaft als Lehre aus den Jugoslawien-Kriegen geschaffen. Als die EU vergangenes Jahr erstmals auf die Richtlinie zurückgriff, machte sie damit für Millionen Ukrainer eine schnelle Hilfe möglich. Die Ukrainer sollten ohne Visum in alle EU-Staaten einreisen und sich ohne ein Asylverfahren niederlassen können.

Das Beispiel Berlin zeigt, dass die EU ihre unbürokratische Hilfe mit einem Verzicht auf Steuerungsmöglichkeiten und einem Kontrollverlust erkauft hat. Das Land Berlin gab im April die Zahl der offiziell in der Stadt registrierten Ukrainer mit 73.700 Personen an. Hinzu kommt aber noch einmal eine unbekannte Zahl von Kriegsflüchtlingen, die sich nicht registrieren ließen, aber trotzdem in der Stadt leben. Dies ist ganz legal möglich, da die Ukrainer, die visumfrei nach Deutschland eingereist sind, erst 90 Tage nach Einreise in die Bundesrepublik eine Aufenthaltserlaubnis einholen müssen. 

Durch den Verzicht auf Grenzkontrollen dürfte es den deutschen Behörden jedoch im Zweifelsfall schwerfallen nachzuweisen, wann die Einreise erfolgt ist. Im Februar berichtete der Sender rbb, dass laut Schätzungen mittlerweile rund 100.000 Ukrainer in Berlin leben. Im Ankunftszentrum in Tegel hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt aber nur etwa 71.000 Menschen gemeldet.

Ungleich verteilte Belastungen

In Berlin zeigt sich auch, dass die Belastungen sehr ungleich verteilt sind. Nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks lebten mit Stand zum 30. Mai dieses Jahres mittlerweile 8,3 Millionen Menschen aus der Ukraine in anderen europäischen Staaten. Knapp eine Million ist nach Deutschland gekommen, rund 1,6 Millionen Ukrainer sind seit Kriegsbeginn nach Polen geflohen. Auch Tschechien hat gemessen an seiner Bevölkerungszahl sehr viele Ukrainer aufgenommen. 

Nach Daten der EU- Kommission hatten bis Januar dieses Jahres über 480.000 Ukrainer in Tschechien einen vorübergehenden Schutz beantragt. Für Frankreich verzeichnete die Statistik bis Januar dagegen nur 118.000 Schutzanträge. „In Tschechien (elf Millionen Einwohner) haben mehr Ukrainer Schutz beantragt als in Frankreich, Italien und Spanien zusammen (174 Millionen Einwohner)“, so das Fazit in einem Hintergrundpapier der European Stability Initiative. Auch Bulgarien hatte mit über 150.000 Schutzanträgen mehr geleistet als so manches europäische „Schwergewicht“.

Als Faktoren bei der Verteilung der Flüchtlinge nannte die European Stability Initiative neben der geographischen Nähe und der Sprache auch die Unterstützungsangebote für die ukrainischen Flüchtlinge. Trifft diese Diagnose zu, dann müssen sich Berlin und Deutschland insgesamt darauf gefasst machen, dass die Zahlen ukrainischer Flüchtlinge in den kommenden Monaten wieder steigen. Seit Jahresbeginn haben hierzulande Ukrainer mit Aufenthaltstitel Anspruch auf Leistungen wie Kindergeld und das Bürgergeld. 

Andere wichtige Aufnahmeländer beginnen dagegen damit, ihre Unterstützungsleistungen zurückzufahren. So senkt Tschechien ab Juli die staatlichen Hilfsgelder für Ukrainer. Und auch der polnische Staat kürzt oder streicht mittlerweile verschiedene Vergünstigungen.