18.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 23-23 vom 09. Juni 2023 / Hessen / Montags ist Ruhetag / Rauschiges Holz und durstige Mönche – Abseits der Universitätsstadt lässt sich im Marburger Umland viel Kultur studieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-23 vom 09. Juni 2023

Hessen
Montags ist Ruhetag
Rauschiges Holz und durstige Mönche – Abseits der Universitätsstadt lässt sich im Marburger Umland viel Kultur studieren
Bettina Müller

Altehrwürdiges Marburg. Die über 800 Jahre alte Stadt ist unter anderem für ihre Elisabethkirche berühmt, eines der wichtigsten Baudenkmale Nordhessens, in dem seit 1236 die Gebeine der Heiligen Elisabeth aufbewahrt werden. Einst Ziel mittelalterlicher Pilger, strömen noch heute jedes Jahr unzählige Besucher in die Kirche, um ihr zu huldigen. 

Derweil wähnt sich der Besucher in der Altstadt ebenfalls in einer anderen Zeit. Gesättigt mit vielfältigen Eindrücken verlässt er die Stadt, ohne dem Umland Beachtung zu schenken. Dabei bietet gerade die landschaftlich schöne Umgebung etliche Glanzpunkte, die dem Auge des kultur- und geschichtsinteressierten Besuchers schmeicheln dürften. Oft ist jedoch die Infrastruktur bröckelig, stehen Dorfgaststätten, Bäckereien und Fleischereien leer und vegetieren vor sich hin. 

Sophie von Brabant, die älteste Tochter der Heiligen Elisabeth, war 1252 verantwortlich für die Anlage einer Burg auf dem acht Kilometer südlich von Marburg gelegenen Frauenberg. Da waren die zwei Jahrhunderte andauernden Streitigkeiten zwischen den jeweiligen Landgrafen von Hessen und dem Erzbistum Mainz längst beendet. Die Konflikte haben die Landschaft geprägt, je höher die Burg, desto stärker die Macht, oben die Landgrafen, unten das Volk. Im 15. Jahrhundert wurde Burg Frauenberg aus unbekannten Gründen aufgegeben und zum Steinbruch für die Menschen der umliegenden Dörfer.

1687/88 siedelten sich in der Nähe Waldenserfamilien aus Frankreich an. Es handelte sich um Glaubensflüchtlinge, deren Nachfahren dort noch heute ein Restaurant betreiben, während die auf dem 379 Meter hohen Berg gelegene Burgruine ein beliebter Aussichtspunkt ist. 

Auch das nicht unweit gelegene Rauischholzhausen gehört, wie der Frauenberg, zur Gemeinde Ebsdorfergrund. „Rauischholzhausen“, ein seltsamer Name, der sich tatsächlich von einer Adelsfamilie namens „Rau“ ableitet: das „rauische Holzhausen“. Park und Schloss liegen am Ortsrand, heute dient es der Justus-Liebig-Universität als Tagungsstätte. Geplant hatte es der Kasseler Architekt Carl Wilhelm Ernst Schäfer, der unter anderem Universitäts- und Stadtbaumeister von Marburg war, im Auftrag des preußischen Diplomaten Ferdinand Eduard Stumm, der 1888 in den Adelsstand erhoben wurde. Für die Konzipierung des Gartens hatte Stumm, Spross einer Unternehmerfamilie, den Gartenarchitekt Heinrich Siesmayer verpflichtet, der unter anderem auch den Frankfurter Palmengarten geschaffen hatte. 

1941 ging die Ära von Stumm zu Ende, als das Anwesen an die NS-Volkswohlfahrt verkauft wurde. Der 30 Hektar große Park mit seinen über 300 Baumarten gehört heute zu den bedeutendsten historischen Gartenanlagen Hessens und steht seit 1956 unter Landschaftsschutz. Sein Vorbild hat er in den klassischen englischen Landschaftsparks, und tatsächlich erinnert auch das Schloss stark an englische Bauten, auch wenn es bewusst asymmetrisch gehalten ist.

Auf dem Sitz der Kelten

Wer nach wie vor im Grünen bleiben will, der kann sich anschließend weiter in die nördliche Richtung bewegen. Und schon bald hinter Marburg trifft man auf die Ausläufer des Burgwalds, der sich bis Frankenberg an der Eder erstreckt. Und da sind sie wieder: die uralten Burgruinen auf Anhöhen, welche die wechselvolle Geschichte der Gegend belegen. 

So auch in Rauschenberg, das 1251 das Stadtrecht erhielt und wo man die Ruine einer mittelalterlichen Höhenburg besichtigen kann. Burg Mellnau wurde um das Jahr 1251 durch den Erzbischof Siegfried III. von Mainz erbaut, und wieder war der Grund, die Herrschaft damit zu behaupten und zu festigen. Es ist eine Landschaft geprägt von der Vergangenheit der mitunter kriegerischen Auseinandersetzungen, und immer ging es um Macht, um die Herrschaft über das Land.

Auch die Fahrt zum Christenberg unweit von Mellnau ist wie eine Reise in die Vergangenheit. Er liegt völlig abgeschieden, und die Fahrt dorthin verläuft fast nur durch den Wald. Reist man an einem Montag dorthin, so ist man dort alleine, denn das beliebte Ausflugslokal hat Ruhetag. Alles ist verwaist. 

Man befindet sich tatsächlich auf einem Berg, der schon Sitz der Kelten war, Ausgrabungsfunde datierten auf 447 nach Christus. Das Plateau wird von der 1520 erbauten Kirche St. Martin mit ihrem Friedhof dominiert, Wanderwege laden zur Erkundung der Gegend ein.

An den nordöstlichen Rand des Burgwalds führt die letzte Etappe der Reise. Schon von Weitem kann man den Turm der Klosterkirche von Haina sehen. Der Andrang ist nicht gerade groß, nur selten scheinen sich Touristen dorthin zu verirren. Vor dem Eingang der gotischen Hallenkirche sitzt ein Mann, der selbst entworfene „Meditationspostkarten“ verkauft und zu jeder der sechs Karten ausgiebig referieren kann, und das ungefragt.

Entlaufene Klosterbrüder

Der Hintergrund scheint bei ihm ein therapeutischer zu sein, denn das ehemalige Zisterzienser-Kloster befindet sich auf dem Gelände der Vitos-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Der Wandel vom Kloster zum Hospital kam mit der Reformation. 1527 löste Landgraf Philipp der Großmütige, ein Nachfahre der Heiligen Elisabeth, alle Klöster in seinem Herrschaftsbereich auf. Die Zisterzienserabtei Haina im Tal der Wohra, deren Grundsteinlegung bereits 1215 erfolgt war, wurde in eine Stiftung umgewandelt. 

Die Geschichte des Klosters vor seiner Auflösung war vor allem von wirtschaftlicher Not geprägt. Ende des 14. Jahrhunderts reichten die Einkünfte kaum noch für den Unterhalt des Klosters und seiner Mönche. Darunter litt auch die Disziplin: Bereits 1368 waren zwei Mitbrüder „entlaufen“ und andernorts durch das Ansehen des Klosters „schädigendes Verhalten“ unangenehm aufgefallen. 

Im Jahr 1518 eskalierte die Situation erneut, und Beschwerden über „anstößige Trinkgelage mit Laien in den für Fremde unzugänglichen Räumen“ erschütterten den Glauben an das Gute im Mönch. „Bin in des Klosters Nähe! / Da war ich manches Mal / zu Gast; mir ist, als sähe / ich’s dort im Wohratal“, dichtete einst der hessische Heimatdichter Heinrich Ruppel (1886–1974). Da war das Kloster immer noch da, die Saufgelage jedoch schon längst Geschichte.