18.05.2024

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Folge 24-23 vom 16. Juni 2023 / Pflegenotstand / Kommt die Lösung aus Brasilien? / Arbeitsminister Heil begleitete Außenministerin Baerbock nach Südamerika, um von dort Fachkräfte zu holen – Kritik kommt von hüben wie drüben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-23 vom 16. Juni 2023

Pflegenotstand
Kommt die Lösung aus Brasilien?
Arbeitsminister Heil begleitete Außenministerin Baerbock nach Südamerika, um von dort Fachkräfte zu holen – Kritik kommt von hüben wie drüben
Peter Entinger

Die Pflegebranche leidet in Deutschland besonders unter Fachkräftemangel. Schlechte Arbeitsbedingungen machen die Arbeit mit den Alten und Kranken für Einheimische und Zuwanderer gleichermaßen unattraktiv. Seit Jahren gibt es Versuche, Pflegekräfte aus EU-Ländern nach Deutschland zu locken – mit mäßigem Erfolg. 

Nun waren Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sogar in Brasilien auf Akquise. „Ich freue mich, dass wir die Partnerschaft zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft noch intensivieren werden“, sagte Heil. Eine entsprechende Erklärung unterzeichnete er gemeinsam mit seinem brasilianischen Amtskollegen Luiz Marinho. Ziel sei es, „faire und vereinfachte Strukturen zu schaffen, um den beidseitigen Fachkräfteaustausch vor allem im Bereich Pflege zu fördern“, teilte das Bundesarbeitsministerium mit. 

Nach dem Kosovo nun Brasilien

Nach aktuellen Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes werden im Jahr 2025 voraussichtlich etwa 112.000 Pfleger in Vollzeitanstellung fehlen, um den Bedarf an professioneller Alten- und Krankenpflege in Deutschland decken zu können. Der wachsende Fachkräftemangel im Pflegebereich stellt für viele Krankenhäuser bereits heute ein ernst zu nehmendes Problem dar. Nach aktuellen Daten der Techniker Krankenkasse nahmen die Krankschreibungen bei Pflegekräften 2022 im Vergleich zu 2021 um 40 Prozent zu. Mit durchschnittlich fast 30 Fehltagen lagen sie rund 57 Prozent über dem Durchschnitt aller Beschäftigten. Häufigste Diagnosen: psychische 

Erkrankungen, Atemwegsinfekte und Rückenleiden. 

Der damalige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn hatte vor der Corona-Pandemie 10.000 neue Pflegekräfte durch ein „Sofortprogramm“ versprochen und war dazu unter anderem in den Kosovo gereist. Die Bilanz fiel äußerst mau aus. 

In Brasilien gibt es nach Angaben des Berufsverbands Cofen zweieinhalb Millionen Krankenpfleger. Die Arbeitslosenquote in dem Sektor lag 2021 bei mehr als zehn Prozent. Ziel sei es, so erklärten es Baerbock und Heil, künftig deutlich mehr Visa für ausländische Arbeitskräfte auszugeben. Im vergangenen Jahr seien nicht einmal 100.000 Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland gekommen. Das seien eindeutig zu wenig. Die Regierung wolle deshalb vor allem Bürokratie abbauen und den Familiennachzug erleichtern. Dafür soll das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten „bis Ende 2024 viermal so viele Visa für Fachkräfte bearbeiten wie bisher“.

„Das System ist das Problem“

Brasilien ist bisher das einzige Land in der Region, mit dem Deutschland eine derartige Kooperation eingeht. Denn die Anwerbung von Pflegekräften ist durchaus heikel. Nach den Regeln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) darf man Ländern, die zu wenig Pflegekräfte haben, keine abjagen. „Wenn man besser kooperiert und faire Regeln aufstellt, auch für faire Migration, dann ist das im wechselseitigen Interesse“, erklärte Heil nun. In der Vergangenheit habe es viel zu bürokratische Verfahren und ein abschreckendes Einwanderungsrecht gegeben. 

Doch das geplante Vorhaben ruft auch kritische Stimmen hervor. Die ARD berichtete im Vorfeld der Brasilien-Reise von Menschen in dem südamerikanischen Land, die auf gepackten Koffern säßen und sich schon freuten, anstelle ihres jetzigen Monatsgehalts von umgerechnet 400 oder 500 Euro in Deutschland künftig das Vier- oder Fünffache zu verdienen.

Das aber erzürne die Gewerkschaften. Sie beklagten, in die Verhandlungen über die Abwerbeprogramme nicht einbezogen worden zu sein. „Würden beide Länder ihre Pflegekräfte ordentlich bezahlen, hätte Deutschland weniger Bedarf und Brasilianer müssten ihr Land nicht verlassen“, zitierte der Sender einen Gewerkschaftssprecher in Brasilien.

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz warnte davor, das Anwerben von Pflegekräften aus allen möglichen Teilen der Welt als Teil einer Lösung zu betrachten. Der Pflegekräftemangel sei vor allem ein innerdeutsches Problem. „Das werden auch die wenigen zusätzlichen Hundert brasilianischen Pflegerinnen und Pfleger nicht lösen“, so der geschäftsführende Vorstand. 

Brysch glaubt, dass wegen des Mindestlohns und Sonderzahlungen der finanzielle Aspekt mittlerweile nicht mehr der entscheidende sei. „Die Menschen brennen aufgrund der Arbeitsbedingungen aus. Das System ist das Problem“, erklärte er. Solange sich die Voraussetzungen nicht ändern werden, würden Krankenstand und Abwanderung in andere Berufsgruppen hoch bleiben.