18.05.2024

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Folge 24-23 vom 16. Juni 2023 / Kolumne / Vielfalt gegen Gleichheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-23 vom 16. Juni 2023

Kolumne
Vielfalt gegen Gleichheit
Florian Stumfall

Reist ein deutscher Spitzenpolitiker nach China oder aber nach Russland, so wird er es schwerlich versäumen, dort einen Sermon über Menschenrechte anzubringen, den die Gastgeber bereits kennen und daher gar nicht mehr richtig wahrnehmen. Das bundesdeutsch organisierte, halb- und ganzprofessionelle Gutmenschentum gibt fein darauf acht, dass es den Schurken in Peking die Leviten lese, damit auch diese der Segnungen westlicher Moralität teilhaftig werden. 

Wer aber gegenüber anderen Ländern und deren Regierungen eine Art Dauerkritik wegen unangemessenen Verhaltens übt, der braucht dazu eine gute Erklärung. Diese ist denn auch leicht erkennbar. Es ist dies die Hypothese, es gebe ein sämtliche Völker und Kontinente umfassendes Weltethos, dem alle Menschen, gleich welchen Herkommens und welcher kulturellen Eigenart, unterlägen und nach dem sich deshalb alle zu richten hätten. Und es gebe zudem unter den Völkern und Ländern dieser Erde ein allgemeines Übereinkommen darüber. 

Gut, könnte man sagen, das sei sogar notifiziert in der UN-Menschenrechts-Charta, aber die Sache ist nicht so einfach. Denn die islamische Welt hat sich eine eigene Menschenrechts-Charta verpasst, die sich von der allgemeinen der Vereinten Nationen im Wesentlichen dadurch unterscheidet, dass alle Bestimmungen unter den Vorbehalt ihrer Übereinstimmung mit der Scharia gestellt werden. Das heißt, nicht einmal offiziell ist die Allgemeingültigkeit eines Weltethos herstellbar, von dem, was es in der verhüllten Wirklichkeit an Abweichungen gibt, erst gar nicht zu reden. Das ist auch gar nicht erstaunlich. Denn wer jene UN-Charta liest, wird feststellen, dass alles, was darin steht, aus der christlich-abendländischen und aufgeklärten Tradition kommt. Einflüsse anderer Kulturkreise sind nicht erkennbar. 

Schändliche Überheblichkeit

Diese haben sich der westlichen Vorgabe gebeugt und tun dies nach außen hin weiter, so lange sie mit der vorgetäuschten Zustimmung zum Moral-Diktat die tatsächliche finanzielle Unterstützung aus eben jenen Ländern erwarten können, in deren Sinne die Charta abgefasst ist. Doch – wie das islamische Beispiel zeigt – wer vom Westen nicht abhängig ist, lässt sich nicht dreinreden, vor allem nicht in Dingen der eigenen Identität. So nimmt man in China die ständige Belehrung aus Europa in Sachen Menschenrechte mit großem Missfallen zur Kenntnis. Auf Vorwürfe wegen des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens in Peking, bei dem 5000 Menschen zu Tode gekommen waren, erwiderte einst ein chinesischer Offizieller: „Aber wir haben seit 50 Jahren keine Hungersnot mehr.“ 

Das chinesische Exempel hat gezeigt, dass das Recht von Einzelnen hinter dem Vorteil der Gesamtheit zurücksteht. Dieses Prinzip gibt es um den ganzen Globus, Europa und seine kulturelle Einflusssphäre ausgenommen. Bis in unsere Tage war es bei naturnah lebenden Völkern in Afrika oder auch in der Arktis üblich, Alte und Schwache auszusetzen, damit sie nicht der Sippe zur Last fielen und diese in ihrer Existenz gefährdeten. Was die Ausnahme bildet, ist die europäische, die vom Christentum geprägte Regel. Europa unterscheidet sich kulturell und damit ursprünglich ethisch von den anderen Zivilisationen dieser Welt dadurch, dass es den Einzelnen und nicht ein Kollektiv als Träger von Recht und Wert und Würde betrachtet. 

In diesem Sinne ist das Ethos nicht quantifizierbar, sondern eine absolute Größe wie eine physikalische Konstante, aber eben nur in diesem Sinne. So kommt es auch, dass je nach den kulturellen Bedingungen das Menschenleben eines Einzelnen höher oder minder eingeschätzt wird, von Rechten wie der Meinungsfreiheit und dem Recht, sich zu versammeln, ganz zu schweigen. Vor allem erleben die Betroffenen den belehrenden Eifer ungeschminkt als das, was er in Wahrheit ist: Ausdruck einer schändlichen Überheblichkeit. Ignoranz gehört auch dazu, Ignoranz und Dummheit. Die ethische Gleichschaltung eines ganzen Globus kann nicht gelingen, doch was leider möglich ist und tatsächlich auch eintritt, ist die Zerstörung von Traditionen und Kulturen, zuallererst derjenigen Völker, die am schwächsten und wehrlos sind. Dass diese Obsession eine bevorzugt deutsche Erscheinung ist, steigert sowohl Peinlichkeit als auch schädliche Wirkung. Kein französischer Politiker würde sein Gesprächsklima im Ausland auf solche Weise belasten, wie es deutsche Politiker und Diplomaten tun. 

Es gibt kein Weltethos

In seinem Werk „Über den Staat“ behandelt der bedeutende römische Philosoph und Staatsmann Cicero die Erscheinung der Vielfalt von Rechtsordnungen und Gesetzen: „Wollte ich nun gar die Arten des Rechts, der staatlichen Einrichtungen, der Sitten und Gewohnheiten beschreiben, so könnte ich zeigen, dass sie nicht nur bei so vielen Völkern ganz unterschiedlich, sondern sogar innerhalb ein und derselben Stadt – zum Beispiel eben in unserer – sich tausendmal verändert haben …“ Damit, mit dem Begriff der Vielfalt, spricht Cicero das an, was sich beim Problem des Weltethos als des Pudels Kern erweist: Hier steht Vielfalt gegen Gleichheit. 

Es geht um jene zerstörerische Gleichheit, die von der Französischen Revolution aus ihren Siegeszug angetreten hat und zum unverzichtbaren Instrumentarium aller totalitären Ordnungen geworden ist. Es ist wie beim Bett des Prokrustes: Dem, der zu groß ist, werden die Beine abgehackt, wer zu klein ist, wird gestreckt – zu Tode kommen sie beide. Samuel Huntington schrieb in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ zu der Frage nach der Möglichkeit einer universellen Kultur: „Die Nichtwestler betrachten als westlich, was der Westen als universell betrachtet.“ Das verdrängen die Gutmenschen, weil sie sich sonst eingestehen müssten, dass ihr Export von „Werten“, „Demokratie“ und „Menschenrechten“ nicht nur unwillkommen, sondern, soweit überhaupt, allenfalls scheinbar und oberflächlich und nur durch wirtschaftliche und militärische Überlegenheit möglich ist. 

Doch ein Weltethos, das zu seiner Verbreitung Kriege führt, wird niemanden überzeugen können.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.