18.05.2024

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Folge 24-23 vom 16. Juni 2023 / Psychiatrie / ADHS ist nicht nur ein Problem von Minderjährigen / Die „Zappelphilipp-Krankheit“ wurde lange als reines Jugendphänomen betrachtet – Erwachsene bekommen daher kaum Hilfe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-23 vom 16. Juni 2023

Psychiatrie
ADHS ist nicht nur ein Problem von Minderjährigen
Die „Zappelphilipp-Krankheit“ wurde lange als reines Jugendphänomen betrachtet – Erwachsene bekommen daher kaum Hilfe

Entgegen anderslautenden populären Auffassungen gibt es die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) nicht erst seit jüngerer Zeit. So beschrieb der Frankfurter Psychiater Heinrich Hoffmann die drei grundsätzlichen Störbereiche bei ADHS schon in seinem 1845 erschienenen Buch „Der Struwwelpeter“: Für die Hyperaktivität steht dabei der „Zappel-Philipp“, für die Unaufmerksamkeit der „Hanns Guck-in-die-Luft“ und für die eingeschränkte Impulskontrolle „Friederich, der Wüterich “. 

Allerdings hielt Hoffmann dies alles für die Folge mangelhafter Erziehung. Dass hier stattdessen ein komplexes Störungsbild aufgrund genetischer und biochemischer Faktoren vorliegt, erkannte die medizinische Wissenschaft erst in den 1960/70er Jahren, wonach dann 1980 die Einführung des Begriffes „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ und die Aufnahme in das internationale psychiatrische Klassifikationssystem DSM folgte. Es galt jedoch als ausgemacht, dass ADHS nur unter Kindern oder Jugendlichen vorkomme und im Erwachsenenalter verschwinde. Das jedoch war ein Irrtum, wie sich im Laufe der 1990er Jahre herausstellte.

Im Durchschnitt leidet etwa jedes zwanzigste Kind unter ADHS, wobei im Falle der Jungen die Hyperaktivität dominiert, während Mädchen eher zur Unaufmerksamkeit neigen. Bei jedem zweiten Betroffenen indes bestehen die Symptome nach dem Erreichen der Volljährigkeit fort, was zu vielerlei sozialen und beruflichen Schwierigkeiten führt – vor allem, wenn die Ursache der Auffälligkeiten unklar bleibt. 

Hohe bürokratische Hürden

Denn Erwachsene, welche ihrer Störung auf den Grund gehen wollen, befinden sich in einer prekären Lage, da Termine in Spezialambulanzen entweder gar nicht oder nur nach unfassbar langen Wartezeiten zu bekommen sind. Daher ist die Situation nun so: Während es bei Kindern eher die Tendenz zur Überdiagnostizierung gibt, bleibt das ADHS bei einem Großteil der betroffenen Erwachsenen ärztlicherseits unbestätigt. Das hat zur Folge, dass viele mit sich Unzufriedene zur Selbstdiagnose schreiten – angeregt durch Bücher wie „Kirmes im Kopf. Wie ich als Erwachsene herausfand, dass ich ADHS habe“ von Angelina Boerger. 

Daraus entstand eine Mode-Bewegung: Plötzlich sehen sich immer mehr Menschen jenseits der 18 als ADHS-Fall und gehen mit ihrer vermeintlichen „Neurodiversität“ hausieren, um Aufmerksamkeit zu erlangen oder Entschuldigungen für die permanenten Alltagsprobleme in Familie, Schule und Beruf zu liefern.

Somit avancierte „ADHS“ zu einer ähnlich schwammigen Trend-Diagnose wie „Burnout“ oder „Hochsensibilität“, durch die normale Phänomene zu psychiatrischen Erkrankungen mutieren, was dann wiederum den wirklich Betroffenen schadet, weil deren Beschwerden weniger ernstgenommen werden. Das äußert sich unter anderem in den hohen bürokratischen Hürden für die überhaupt erst seit 2011 zulässige Verschreibung von symptomlindernden Medikamenten wie Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin. W.K.