18.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 24-23 vom 16. Juni 2023 / Polen und Deutsche / Erkenntnisse über ein ambivalentes Verhältnis / Der ehemalige deutsche Botschafter Rolf Nikel betrachtet Polen von den Teilungen bis zur politischen Wende

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-23 vom 16. Juni 2023

Polen und Deutsche
Erkenntnisse über ein ambivalentes Verhältnis
Der ehemalige deutsche Botschafter Rolf Nikel betrachtet Polen von den Teilungen bis zur politischen Wende
Karlheinz Lau

Rolf Nikel, Jahrgang 1954, hat Politikwissenschaft, Völkerrecht und Wirtschaftswissenschaften studiert. 14 Jahre arbeitete er im Bundeskanzleramt. Von 2014 bis 2020 war er deutscher Botschafter in Warschau. Er ist ein guter Kenner Polens und seiner Menschen mit allen ihren unterschiedlichen Mentalitäten. Er spannt den zeitlichen Rahmen seines Buchs „Feinde, Fremde, Freunde“ von den Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts bis 2023. Der Schwerpunkt liegt auf den Jahren seit der politischen Wende 1989/90. 

Es ist die Geographie, die seit Jahrhunderten die polnische Außenpolitik bestimmt: die Lage zwischen den Großmächten Russland im Osten und Preußen/Deutschland im Westen sowie die Furcht, zwischen beiden zerrieben zu werden. Die Teilungen sind dafür ein Indiz, die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und die von der UdSSR kontrollierte kommunistische Herrschaft von 1945 bis 1989 sind weitere Belege für die Furcht der Polen. Dies bestimmt die Linien polnischer Außenpolitik, auch gegenüber Deutschland. Zentral war dabei die Anerkennung der Oder-Neiße-Demarkationslinie als endgültige deutsch-polnische Grenze. Diese Gewissheit stabilisierte ohne Zweifel die Empfindungen zum Nachbarn Deutschland der neuen polnischen Bewohner in den deutschen Ostgebieten.

Der Autor nennt die bekannten Fakten des deutsch-polnischen Verhältnisses, die einem interessierten Zeitgenossen geläufig sind. Durch seine Funktion als Botschafter verfügt er über Kontakte und Hintergrundwissen zum offiziellen Polen, zu den Medien, zu wichtigen Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wirtschaft, zur katholischen Kirche, zu den Gewerkschaften und zur Deutschen Minderheit. Der Begriff deutsche Volksgruppe wäre treffender, weil diese Deutschen die Reste einer deutschen Bevölkerung sind, die seit Jahrhunderten in ihren Siedlungsgebieten leben. Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied zur deutschen Bevölkerung mit polnischen Wurzeln, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vornehmlich in das Ruhrgebiet als Arbeitskräfte einwanderte. 

Problem Deutsche Minderheit

Nikel setzt sich ausführlich mit dem Problem der Deutschen Minderheit in Polen und Deutschen mit polnischen Wurzeln in der Bundesrepublik Deutschland auseinander mit dem Ergebnis einer klaren Ablehnung der polnischen Forderungen nach Anerkennung als polnische Minderheit. Gleichzeitig spielt das Schicksal der in den Jahren 1944 bis 1946 vertriebenen Deutschen aus den Ostprovinzen für ihn keine besondere Rolle in der Tagespolitik mehr. Die Aktivitäten des Bundes der Vertriebenen und der Landsmannschaften werden nicht erwähnt, auch nicht bei der Auflistung der zivilen Organisationen, welche die polnische Bevölkerung durch Hilfsgüter in wirtschaftlich schwierigen Zeiten unterstützten. 

Ein hoher Amtsträger, der Deutschland in Polen vertritt, muss wissen, dass die vielen Heimatkreise, Ortsgruppen und Frauenverbände die ersten waren, die bereits vor der politischen Wende Kontakte zu den neuen Bewohnern in ihrer Heimat aufnahmen. Daraus entstanden vielfach Partnerschaften zwischen Städten dies- und jenseits der Oder und Neiße sowie persönliche Freundschaften unter den Menschen. Diese Tatsachen sind auch unter der deutschen Bevölkerung nicht flächendeckend bekannt.  

Die Volksrepublik Polen muss in seiner Politik gegenüber der DDR und der Bundesrepublik Deutschland als Erfüllungsgehilfe der sowjetischen Außenpolitik einschließlich antideutscher Ressentiments angesehen werden. Deutschland war die im westlichen Bündnissystem eingebaute revanchistische Bundesrepublik, aber auch ein wohlhabendes Land. Die politische Wende 1989/90 in Europa war mit ein Verdienst der polnischen Bürgerbewegung. Nicht nur der Ostblock, auch die Herrschaftsideologie, die sich in den Staatsparteien manifestierte, steuerte auf den Untergang zu. 

Nikel beschreibt deutlich die Folgen der politischen Veränderungen in Polen und in Deutschland. Er spricht von einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Menschen, das viele nicht für möglich gehalten haben. Daran „ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beziehungen zwischen den Regierungen beider Staaten heute in der schwersten Krise seit Ende des Kalten Krieges stecken“. Diese begann mit dem Sieg der Partei  „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) bei den Parlamentswahlen am 25. Oktober 2015. Nikel, zu der Zeit bereits deutscher Botschafter, interpretiert aus eigener Anschauung die Entwicklung und die Position dieser Partei. Sie sieht sich national-konservativ, plädiert für ein eigenständiges und souveränes Polen in einem Europa der Vaterländer, befürchtet bei einer Übernahme der Migrationspolitik der EU eine Überfremdung durch nichtchristliche Minderheiten, besonders aus Afghanistan oder Syrien. 

„Das offizielle Warschau sieht im Gebaren der europäischen Institutionen einen Transmissionsriemen für angebliche deutsche Großmachtambitionen zulasten Polens.“ Dieser Satz verrät die gegenwärtige Deutschlandpolitik des offiziellen Polen, die von weiten Teilen der Bevölkerung nicht unbedingt getragen wird. Das ist durchaus ein Ergebnis der unzähligen Kontakte des Botschafters zu den verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft. 

Interessant ist seine Aussage: „Die deutsche Politik hat zu Recht bisher der Versuchung widerstanden, eine Gegenrechnung für den Verlust der ehemaligen deutschen Ostgebiete offiziell zu präsentieren.“ Wenn sie bereits existiert, sollte sie veröffentlicht, wenn nicht, müsste sie zusammengestellt werden. Im Herbst 2023 finden in Polen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, die Hoffnung auf Ablösung der jetzigen Regierung ist offenkundig, zumal auch der Ukrainekrieg die Karten neu mischt.

Die Spannung des Buches liegt in der Darstellung durch einen Kenner, der zeigt, wie Politik auf diplomatischer Ebene gemacht wird, vor allem aber, dass das Zustandekommen von Ergebnissen keine Einbahnstraße ist. Weiterhin werden wichtige Kenntnisse über das Nachbarland geliefert. An den Interpretationen und Meinungsäußerungen des Autors kann die eigene Position gemessen werden. Die Lektüre ist zu empfehlen. 

Rolf Nikel: „Feinde, Fremde, Freunde. Polen und die Deutschen“, Langen Müller Verlag München 2023, gebunden, 285 Seiten, 24 Euro