18.05.2024

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Folge 25-23 vom 23. Juni 2023 / Zwischenruf / Der alte Krieg im neuen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-23 vom 23. Juni 2023

Zwischenruf
Der alte Krieg im neuen
Bodo Bost

Die Entleerung des riesigen Stausees des Dnepr-Flusses in der Ukraine infolge der Zerstörung des Nowa-Kachowka-Staudamms hat laut im Internet veröffentlichtem Filmmaterial Schlammflächen mit Skeletten hinterlassen, die an die gewalttätige Vergangenheit der Region erinnern. Das Watt am Boden des entleerten Stausees war nach dem Dammbruch übersät mit Knochen, von denen einige möglicherweise aus der Schlacht bei Nikopol vor fast 80 Jahren stammen. 

Auf Videos, die auf der ukrainisch und der russisch besetzten Seite des Dnepr aufgenommen wurden, sind im Schlamm verstreute Schädel zu sehen, von denen einer einen Helm aus dem Zweiten Weltkrieg trägt. Die Aufnahmen konnten aufgrund der anhaltenden Kämpfe in dem Gebiet nicht unabhängig überprüft werden. Historiker halten es für möglich, dass einige der Überreste von Menschen stammen, die in einer großen Schlacht vor 80 Jahren auf demselben Gebiet gefallen sind, das heute im Mittelpunkt der ukrainischen Gegenoffensive gegen die russische Besatzung um Nikopol und Kamianka-Dniprovska steht. 

Die Schlacht am Dnepr stand im Mittelpunkt einer der größten Militäroperationen des Zweiten Weltkriegs, des Gegenangriffs der sowjetischen Armee auf die deutsche Wehrmacht, an der mehr als fünf Millionen Soldaten beteiligt waren. Nach der sich Mitte Juli 1943 abzeichnenden Niederlage in der Schlacht bei Kursk (Unternehmen Zitadelle) und den folgenden Gegenoffensiven der Roten Armee plante das Oberkommando der Wehrmacht, eine starke Verteidigungslinie, den Ostwall, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer aufzubauen. Im September 1943 konzentrierte man sich auf Nikopol am rechten Ufer des Flusses, das Hitler unbedingt halten wollte. 

Ein Fluss wird zur Schicksalslinie

Die Heeresgruppe Süd unter Generalfeldmarschall Erich von Manstein sollte den sowjetischen Vormarsch zum Dnepr stoppen. Sie zählte 1,2 Millionen Soldaten. Ihr standen fünf sowjetische Fronten mit drei Marschällen sowie mit einer Gesamtstärke von 2,6 Millionen Soldaten gegenüber. Die Verluste der sowjetischen Truppen betrugen zwischen 60.000 und 300.000 Mann, die der deutschen und rumänischen Truppen lagen bei bis zu 50.000 Mann. Charkiw fiel am 23. August 1943, die Stadt Saporischschja fiel am 14. Oktober, am 25. Oktober fiel Dnjepropetrowsk (Ukrainisch: Dnipro). Mit dem Fall Kiews am 6. November war die Schlacht am Dnepr weitgehend verloren, auch wenn noch einige Gegenschläge gelangen. Anders als heute wurde der Dnepr im Zweiten Weltkrieg nie feste Frontlinie. 

Während nach dem Krieg tote Rotarmisten bestattet wurden, hat man ihre gefallenen deutschen Gegner einfach auf den Feldern liegen lassen. Insofern könnte es sich bei den jüngsten Entdeckungen tatsächlich um Wehrmachtssoldaten handeln, die einst mit dem Bau des Nowa-Kachowka-Damms 1956 überflutet wurden und deren Überreste jetzt mit dem Dammbruch wieder zum Vorschein kamen. 

Generell werden durch das heutige Kriegsgeschehen in der Ukraine wieder mehr Spuren des Zweiten Weltkrieges sichtbar. An vielen Orten im Land mussten überhastet neue Schützengräben ausgehoben werden. Dabei wurden auch unbekannte Soldatengräber aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Vor allem im Kampf um Kiew in den ersten drei Monaten des Krieges wurden Soldatenleichen gefunden, die nach dem Abzug der Russen fast zusammen mit den noch frischen Leichen ermordeter ukrainischer Zivilisten beerdigt wurden. 

In den Teilen der Ukraine, in denen es keine Frontlinien gibt, geht auch im Krieg die Umbettungsarbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge weiter. 816 Soldaten wurden im ersten Kriegsjahr entdeckt und geborgen, weniger als in den Jahren zuvor, als Kriegstote in der gesamten Ukraine geborgen wurden.