18.05.2024

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Folge 25-23 vom 23. Juni 2023 / TV-Kritik / Die Uhr tickt erbarmungslos / Mit der sechsteiligen Krimiserie „Der Schatten“ will ZDFneo auf den Zug von Netflix und Co. aufspringen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-23 vom 23. Juni 2023

TV-Kritik
Die Uhr tickt erbarmungslos
Mit der sechsteiligen Krimiserie „Der Schatten“ will ZDFneo auf den Zug von Netflix und Co. aufspringen
Anne Martin

Das Netz zieht sich langsam zusammen, sehr langsam. Aber irgendwann hängt die junge Reporterin Norah (Deleila Piasko) darin wie ein zappelnder Käfer. Kaum ist sie in Wien angekommen, wird sie von einer Bettlerin mit einem Fluch belegt – an einem bestimmten Tag im August werde sie vor dem Prater einen Mann töten. Mit drastischen Effekten aus dem Arsenal des Gruselfilms geht es weiter.

Warum der Sechsteiler „Der Schatten“ (ab 25. Juni jeweils sonntags um 20.15 Uhr in Doppelfolgen in ZDFneo) trotz einiger Längen in seinen Bann zieht, liegt an der vielschichtigen Drehbuchvorlage eines Buchs der Krimi-Autorin Melanie Raabe. Es gibt durchaus realistische Anteile in diesem Höllenritt: das Exklusiv-Interview, das die Reporterin mit einem Künstler (Andreas Pietschmann) führen soll, der berüchtigt ist für grenzwertige Aktionen; das schwule Freundespaar, bei dem die Karrieristin Wärme sucht; die Nachbarin, die ihr zur Seite steht, auch als es in der Redaktion zu Konkurrenzkämpfen mit einem Kollegen kommt. 

Nur die mysteriöse rothaarige Frau, die ihren Weg kreuzt und ihrer tragisch verstorbenen Freundin Valerie so verblüffend ähnlich sieht, macht stutzig. Die Suche nach Valeries vermeintlichem Mörder wird für Norah zur fixen Idee. Hat ein gewisser Arthur Gremm sie einst von der Brüstung eines Staudamms gestoßen? Und ist er der Mann, den sie laut Prophezeiung töten wird? Fortan wird eine Uhr eingeblendet, die unbarmherzig auf den Tag X zuläuft.

Von der Mitte der Serie an verfolgt die Kamera Norahs Weg in die Psychose. Was ist noch wahr, was Einbildung oder Manipulation? Warum treibt die Bettlerin tot im Fluss, warum verschwinden Dinge aus Norahs Wohnung? Im unter der Hitze brütenden Wien hetzt die Protagonistin von Ort zu Ort, das T-Shirt schweißgetränkt, die Augen dunkel umschattet, die Prophezeiung wie ein Gewicht auf den Schultern. Von allen fühlt sie sich verfolgt, von den Freunden verlassen. 

Nur der Zuschauer beginnt zu ahnen, dass irgendjemand mit Norah ein übles Spiel treibt, das mit einem Kunstprojekt zu tun haben könnte. Weil die Serie auf ZDFneo läuft, der jüngeren Version des ZDF, wird viel mit Laptops und aufploppenden SMS gearbeitet. 

Die Regie setzt auf weitgehend unbekannte Schauspieler, unter denen sich Hauptdarstellerin Piasko in fast jeder Szene profilieren kann. Nur die Schlussszene, in der sie mit hochgereckten Armen jubelnd im Cabrio steht, hat man schon öfter gesehen, zumeist in Schnulzen. Aber diesen Eindruck will diese an die Sehgewohnheiten der Streamingdienste angelehnte Serie ansonsten unbedingt ver­meiden.