18.05.2024

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Folge 25-23 vom 23. Juni 2023 / Östlich von Oder und Neiße / Als man in den Ostgebieten für Deutsche in der DDR sammelte / Die Volksrepublik Polen fürchtete 1953 noch einen Volksaufstand – 2023 wurde der 17. Juni dagegen kaum öffentlich thematisiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-23 vom 23. Juni 2023

Östlich von Oder und Neiße
Als man in den Ostgebieten für Deutsche in der DDR sammelte
Die Volksrepublik Polen fürchtete 1953 noch einen Volksaufstand – 2023 wurde der 17. Juni dagegen kaum öffentlich thematisiert
Chris W. Wagner

„Es ist eigentlich ein Datum, das ganz gewiss in die deutsche Freiheitsgeschichte gehört“, sagte Altbundespräsident Joachim Gauk anlässlich der Gedenkfeier am 17. Juni in Chemnitz. Aber gehört dieses Datum nicht auch ins kollektive Gedächtnis der europäischen Freiheitsgeschichte? War doch der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 der erste im sozialistischen Block. Das Wissen um die Ereignisse vor 70 Jahren ist jenseits der Oder und Neiße rudimentär. „Der Großteil der Polen behandelte die DDR als ein wenig sympathisches Transitland. Im polnischen Bewusstsein ist die DDR das ‚rote Preußen‘“, so der 2021 verstorbene Historiker Włodzimierz Borodziej.

Der 70. Jahrestag des Volksaufstandes spiegelte sich kaum in der Berichterstattung polnischer Medien. Lediglich das Breslauer „Willy-Brandt-Zentrum für Deutsche und Europäische Studien“ hatte zusammen mit der Universität Breslau und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst eine wissenschaftliche Konferenz organisiert. Der Chef des Hauses, Krzysztof Ruchniewicz, der am Vortag der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag bei einer Jugendkonferenz in Dresden sprach, analysierte die Auswirkungen und die Rezeption der Ereignisse von 1953 auf die und in der Volksrepublik Polen.

Die damalige polnische Regierung habe im ersten Moment gar nicht auf die Situation in der DDR reagiert. „Noch am 17. Juni, während der Beratungen im Zentralkomitee der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (PVAP), übte der Erste Parteisekretär Bolesław Bierut Kritik an den Woiwodschaftsparteiverbänden angesichts deren mangelnden internationalistischen Selbstverständnisses.“ Dabei habe dieser die Ereignisse in der DDR gar nicht einmal auf dem Schirm gehabt. Erst später seien die Sicherheitsdienste darauf angesetzt worden, zu sondieren, wie die Reaktion polnischer Kommunisten darauf gewesen sei. „Zwei Wochen später, am 28. Juni, hatte Bierut erstmalig die Ereignisse in Berlin thematisiert. Während einer Rede zum Tag der Kriegsmarine in Gdingen sprach er von einer ‚Warnung an die Arbeitermassen in der Welt‘“, beruft sich das Geschichtsportal „Histmag.org“ ebenfalls auf Ruchnieczs‘ Forschungen.  

DDR nicht auf dem Schirm gehabt

Die polnische Führung habe ihren von den Sowjets diktierten „Neuen Kurs“ geändert. Denn in Polen seien Normenerhöhungen nicht wie in der DDR von zehn Prozent, sondern gar von 20 Prozent avisiert gewesen. Es schien klar, das sei nicht machbar, wenn schon die Hälfte in der DDR zur Revolte führt. Darüber hinaus habe man eine von der damaligen deut  schen Bevölkerung in den polnisch verwalteten Gebieten hervorgehende Gefahr befürchtet: „Die Deutschen (in Polen) könnten unverfälschte Informationen aus dem westdeutschen Rundfunk weitergeben.“ Hierbei muss man sich vergegenwärtigen, dass vor einer großen Ausreisewelle die Zahl von Deutschen in Ostpreußen, Oberschlesien und sogar Teilen Niederschlesiens sowie Pommerns noch erheblich war. 

Das Ministerium für Sicherheit soll Informationen gesammelt haben, dass unter Deutschen in Ostdeutschland, insbesondere in der Woiwodschaft Allenstein sowie um Oppeln das Thema der Juni-Ereignisse in der DDR diskutiert wurde. Sicherheitsorgane hätten dokumentiert, dass man darüber gesprochen habe, die DDR-Bürger würden den Kommunismus ablehnen, sich nach einer Wiedervereinigung sehnen und dass gar ein neuer Krieg bevorstehe. Geheimdienste im Kreis Oppeln sammelten Aussagen, dass Hoffnung bestehe, der Aufstand in der DDR könne der Anfang vom Ende des Kommunismus sein. Das Sicherheitsamt in Allenstein habe gar vermerkt, dass sogar die Neubevölkerung der gleichen Auffassung anhänge wie die Alteingesessenen. In Allenstein und Johannisburg wurden Aussagen von „Autochthonen“ (alteingesessenen Deutschen)  notiert, dass Masuren „zu Deutschland zurückkommen“ würde. Es habe gar eine Aktion seitens der deutschen Bevölkerung am 2. Juli 1953 in der Schleiferei zu Freiburg in Schlesien gegeben, bei der Geld für Familien in Leipzig und Berlin gesammelt worden sei. Was mit den Spenden und Spendern passierte, ist nicht überliefert. 

Dass der polnische Geheimdienst keine negativen Aussagen gegen die Deutschen in der DDR im Kontext des Aufstandes dokumentiert hat und im Anbetracht des Scheiterns des Aufstandes nicht einmal „Gefühle der Genugtuung“ gegenüber den Deutschen sah, hebt Ruchniewicz hervor. Trotz dramatischer Kriegserfahrungen der Polen habe es einen nüchternen Blick oder gar „eine Zuneigung zum westlichen Nachbarn“ gegeben, mutmaßt der Historiker.