18.05.2024

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Folge 25-23 vom 23. Juni 2023 / Ukrainekrieg / Was hinter dem Rauchvorhang steckt / Der alt-linke Jurist Wolfgang Bittner setzt sich mit dem globalen Machtanspruch der USA auseinander

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-23 vom 23. Juni 2023

Ukrainekrieg
Was hinter dem Rauchvorhang steckt
Der alt-linke Jurist Wolfgang Bittner setzt sich mit dem globalen Machtanspruch der USA auseinander
Rolf Stolz

Kriege beginnen fast immer mit Lügen“ – schon der erste Satz dieses bemerkens- und lesenswerten Buches „Ausnahmezustand“ des in Schlesien geborenen Göttinger Schriftstellers Wolfgang Bittner stimmt darauf ein, dass hier ein entschiedener Aufklärer analysiert, was hinter dem propagandistischen Rauchvorhang verborgen werden soll. Völlig zu Recht verlangt der Autor unparteiische Untersuchungen und Beweise bei jedem Verdacht auf Kriegsgräuel und hält fest: „Zu betonen ist, dass es nicht darum gehen kann, das russische Vorgehen in der Ukraine zu befürworten.“ 

Zweifelsohne aber wird dieses Buch fanatischen Anhängern der Regierungsparteien, Rüstungsspekulanten und olivgrünen Kriegsbegeisterten nicht gefallen. Denn es liefert statt öffentlich-rechtlicher Indoktrination fundierte Informationen für alle, die der „vollkommen einseitigen Kriegsberichterstattung“ der etablierten Medien misstrauen. Der Leser erfährt beispielsweise, dass das Lend-Lease-Gesetz für Waffen an die Ukraine am 19.  Januar 2022, also Wochen vor Kriegsbeginn, in den US-Kongress eingebracht wurde. Man findet Details des Vereins Lobbycontrol zur Kriegsaktivistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder zur berüchtigten Mirotworez-Liste im Internet, die 200.000 angebliche Sympathisanten Russlands in der Ukraine auflistete, von denen etliche wenig später starben – teils durch Sturz aus dem Fenster. 

Die 13.000 Kriegstoten durch ukrainischen Dauerbeschuss in den Donbass-Republiken gehören auch in diesen Kontext.  Ausführlich wird behandelt, inwiefern Russland sich auf ein Recht der Selbstverteidigung nach § 51 der UN-Charta berufen kann und was die Schutzverantwortung für die russischsprachige, sich mit Russland identifizierende Bevölkerung im Donbass bedeutete. 

In Sachen Krim betont der Autor, dass es sich nicht um eine Annexion, sondern um eine Sezession handelte, die durch die von ausländischen Wahlbeobachtern als grundsätzlich frei bezeichnete Volksabstimmung legitimiert wurde (83 Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab, mit 97 Prozent für den Anschluss an Russland). 

Kritik an Weltmachtanspruch

Bittner skizziert, wie die einstige Ostpolitik Willy Brandts, die mit ihrer Ausrichtung auf gute Nachbarschaft und Verständigung bis zu Gerhard Schröder Gültigkeit besaß, unter Merkel erodierte und schließlich unter Scholz eliminiert wurde. Er zeigt auf, wie die USA seit über einhundert Jahren zu verhindern versuchen, dass Europa sich durch ein deutsch-russisches Zusammengehen aus seiner Abhängigkeit befreit und so ein geostrategisches Gegengewicht zum US-Anspruch entstünde, die einzige Weltmacht zu sein. 

Deutschland wäre dann auf dem Eurasischen Schachbrett nicht länger antirussischer Brückenkopf und Frontstaat für amerikanische Globalinteressen und könnte angesichts einer sich auflösenden monopolaren Weltordnung Brücken schlagen zu den Mächten des Südens. 

Andererseits dominieren gegenwärtig im Westen die Kalten Krieger, die für die Jahrhunderttragödie der Einkreisung Russlands und der Zurückweisung aller Angebote Gorbatschows, Jelzins und Putins zu friedlicher Zusammenarbeit verantwortlich waren, indem sie Sicherheitsgarantien und den Verzicht auf eine weitere Osterweiterung der NATO verweigerten. Ihre Konzeption bleibt der „Cordon Sanitaire“ zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer, also genau dort, wo jetzt in einem Stellvertreterkrieg die Menschen der Ukraine für Globalstrategen und Rüstungsindustrielle sterben. Das nimmt US-Pläne im „Plan Totality“ 1945 und in „Operation Dropshot“ 1949 wieder auf, in denen wie in der „Operation Unthinkable“ der Briten 1945 die Vernichtung der Sowjetunion, auch durch einen atomaren Erstschlag, konzipiert wurde. 

Als Jurist, der aus der Achtundsechziger-Linken kommt, hat Bittner den Weg jener zu wokem Fanatismus erweckten Werte-Exporteure nicht mitgemacht, die als „Ultrarussophobe“ mit Russland im Krieg seien und es besiegen wollten. Für ihn ist zentral, dass Deutschland souverän handeln und nicht länger ähnlich wie die Selenskyj-Regierung „gefügiger Vasall“ der USA sein sollte. Daher brandmarkt er die Landesverräter, die als Komplizen der Nordstream-2-Verhinderer für das Absinken der deutschen Wirtschaft in Rezession und Niedergang verantwortlich sind und uns Deindustrialisierung und Verarmung als ökologischen Fortschritt verkaufen wollen. Hoch anzurechnen ist dem Autor, dass er ohne Blickverengung exakt beschreibt, wie die „Demokraten“ Obama und Biden als Kriegsbrandstifter zündelten und wie andererseits der viel gescholtene Donald Trump zumindest anfangs für einen Ausgleich mit Russland eintrat. 

Bittner erinnert an die Blutspur ukrainischer Faschisten – von den Judenmorden der Bandera-Bewegung nach 1941 bis zum Massaker von Odessa im Mai 2014. Zur Diskussion provozieren sehr scharfe Kennzeichnungen, etwa Steinmeiers als „NATO-Propagandist reinsten Wassers“ oder des „Schurkenstaats Ukraine“. Andererseits darf daran erinnert werden, wie der ehemalige ukrainische Botschafter in Berlin, Andrej Melnyk, den deutschen Publizisten Harald Melzer als „moralischen Abschaum“ titulierte oder wie der ukrainische Autor und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Serhij Zhadan Russen als „Tiere“ und „Unrat“ beschimpfte. Gerade im Fall von Melnyk, der mit Äußerungen wie „Dieser Terrorstaat Russland muss eliminiert werden“ sich als Kriegshetzer profilierte, ließ die deutsche Regierung jede Selbstachtung vermissen.

Allzu wenigen ist bewusst, dass die USA, die seit 1798 469 Interventionen in anderen Ländern durchführten, von 1991 bis 2014 fünf Milliarden Dollar aufwendeten, um ihre Interessen in der Ukraine durchzusetzen – am Ende auch für einen Sturz von Wiktor Janukowytsch, der den EU-Assoziierungsvertrag wegen seiner militärischen Komponente und seiner Stoßrichtung gegen die Eurasische Wirtschaftsunion nicht unterzeichnen wollte. Es ist dem Autor zu danken, dass er an bittere Wahrheiten erinnert wie die 1982 vom CIA organisierte Sprengung der sibirischen Jamal-Pipeline oder den immer noch unaufgeklärten Mord an Olof Palme, der sich gegen die Einbeziehung Schwedens in die NATO gewehrt hatte. 

Für jeden, der sich ein eigenes Bild des Ukrainekriegs machen will, ist dieses Buch eine wichtige Grundlage, zumal es im Dokumentenanhang unter anderem zwei wichtige Putin-Reden, die Scholz-Erklärung im Bundestag am 27. Februar 2022 und den Neuen Krefelder Appell bietet. 

Wolfgang Bittner: „Ausnahmezustand. Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“, Verlag zeitgeist, Höhr-Grenzhausen 2023, broschiert, 278 Seiten, 19,90 Euro