18.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 26-23 vom 30. Juni 2023 / Helene Wessel / Deutschlands erste Parteivorsitzende / Die vor 125 geborene Mutter des von ihr abgelehnten Grundgesetzes stand von 1949 bis 1952 an der Spitze des Zentrums

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-23 vom 30. Juni 2023

Helene Wessel
Deutschlands erste Parteivorsitzende
Die vor 125 geborene Mutter des von ihr abgelehnten Grundgesetzes stand von 1949 bis 1952 an der Spitze des Zentrums
Manuel Ruoff

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Die Eltern der am 6. Juli 1898 in Dortmund zur Welt gekommenen Helene Wessel waren streng katholisch. Ihr Vater war nicht nur Lokomotivführer, sondern auch Mitglied der Deutschen Zentrumspartei sowie mit dem Zentrumspolitiker und -abgeordneten Johannes Gronowski bekannt. 

Wessel besuchte Volks- und Handelsschule, machte eine kaufmännische Lehre und arbeitete ab 1915 in ihrer Geburtsstadt als Parteisekretärin der Zentrumspartei. Dort förderte sie Gronowski. 1919 wurde sie Parteimitglied, 1924 Beisitzerin im Parteivorstand, 1928 Mitglied des Preußischen Landtags und 1930 Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstands. Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten endete vorerst ihre Karriere in der Politik.

Nun kam es Wessel zugute, dass sie nicht nur Büroerfahrung hatte. Seit einem Besuch der Wohlfahrtsschule in Münster 1923/24 war sie staatlich examinierte Jugend- und Wirtschaftsfürsorgerin, und ein 1929 aufgenommenes Studium an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin hatte sie mit der 1931 in Berlin veröffentlichten Diplomarbeit „Lebenshaltung aus Fürsorge und Erwerbstätigkeit: Eine Untersuchung des Kostenaufwandes für Sozialversicherung, Fürsorge und Versorgung im Vergleich zum Familieneinkommen aus Erwerbstätigkeit“ abgeschlossen. So fand Wessel nun beruflichen Unterschlupf im Fürsorgewesen ihrer Kirche. 

Als nach Krieg und NS-Zeit das Zentrum neu gegründet wurde, war Wessel von Anfang an in führender Stellung dabei. Die CDU lehnte sie ab, da diese ihres Erachtens weniger in der Tradition des Zentrums denn jener der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei stand. Die Zentrumspolitikerin wurde 1948 Mitglied des Parlamentarischen Rates und 1949 sowohl Bundesvorsitzende als auch Bundestagsfraktionsvorsitzende ihrer Partei.

Neben dem Grundgesetz, dem es in ihren Augen an demokratischen und sozialen Grundrechten mangelt, lehnte die Zentrumsvorsitzende – ebenso wie der CDU-Mitbegründer und Bundesinnenminister Gustav Heinemann – die Remilitarisierung Westdeutschlands ab. Beide Christen traten deshalb aus ihren Parteien aus und gründeten 1952 die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP). Nach enttäuschenden Wahlniederlagen vor allem bei der Bundestagswahl 1953 löste sich die GVP 1957 auf. Im selben Jahr wechselten die Katholikin und der Protestant zur SPD und wurden über deren Landeslisten in den Bundestag gewählt.

1968 zeigte sich noch einmal der rebellisch-nonkonformistische Geist der linkskatholischen Sozialpolitikerin. Unter Hinweis auf das Ermächtigungsgesetz stimmte die SPD-Bundestagsabgeordnete offen gegen die Notstandsgesetze der schwarz-roten Großen Koalition. Zur Bundestagswahl 1969 trat sie nicht mehr an. 15 Tage nach der Wahl, am 13. Oktober, starb Wessel nach schwerer Krankheit in einem Bonner Krankenhaus.