18.05.2024

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Folge 26-23 vom 30. Juni 2023 / Thassilo von Scheffer / Versunken in der Welt Homers und Senecas / Der Westpreuße half, griechische und römische Dichter in Deutschland verständlich und populär zu machen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-23 vom 30. Juni 2023

Thassilo von Scheffer
Versunken in der Welt Homers und Senecas
Der Westpreuße half, griechische und römische Dichter in Deutschland verständlich und populär zu machen
Martin Stolzenau

Thassilo von Scheffer stammte aus Preußisch Stargard, wirkte als freischaffender Schriftsteller und erlangte vor allem als Lyriker und mit seinen trefflichen Übersetzungen Bekanntheit in Deutschland. Von einiger Bedeutung waren seine Übersetzungen der antiken griechischen Dichtungen. Er gilt bis heute als herausragender Homer-Übersetzer.

Der Schriftsteller wurde am 1. Juli 1873 in Preußisch Stargard geboren. Sein Geburtsort liegt in Westpreußen am Flüsschen Ferse etwa 40 Kilometer südlich von Danzig. Preußisch Stargard entwickelte sich ab dem 8. Jahrhundert im Schutze einer Burg als Siedlung, wurde am 11. November 1198 erstmals in einer Urkunde als Starigrod erwähnt und erlebte im Besitz des Deutschen Ordens nach 1309 mit dem Kulmer Stadtrecht einen Aufschwung zur Stadt Preußisch Stargard. 

Die Stadt wurde im Gefolge der ersten polnischen Teilung 1772 Teil des Königreiches Preußen, fungierte bis 1920 als Kreisstadt und fiel 1920 an Polen. Diese Zugehörigkeit dauerte bis 1939. In den Folgejahren war die Stadt bis 1945 wieder deutsch. Seitdem fungiert sie unter dem Namen Starogard Gdanski mit rund 

50.000 Einwohnern als Powiat-Verwaltungssitz in der polnischen Woiwodschaft Pommern. 

Scheffers Vater hatte in der Garnison von Preußisch Stargard den Rang eines Majors. Er ermöglichte seinem Sohn einen weiterführenden Bildungsweg und schickte ihn dann wunschgemäß zum Studium an verschiedene Universitäten. Das waren Straßburg, Königsberg und Freiburg. Vater Scheffer tolerierte die unmilitärischen Interessen des Sohnes und erlaubte die Beschäftigung mit Sprachen, Literatur, Geschichte und Philosophie. 1900 wurde Scheffer zum Doktor der Philosophie promoviert.

Aufgewachsen in Preußisch Stargard

Er kümmerte sich danach nicht um eine Festanstellung, sondern entschied sich für die Arbeit als freischaffender Schriftsteller und Übersetzer und lebte zunächst bis 1909 in München. Schon während des Studiums hatte er sich im wachsenden Maße mit der antiken Dichtung befasst und auch schon erste Übersetzungen angefertigt. Dazu gesellten sich nun eigene Gedichte und Nachdichtungen sowie die Arbeit als Herausgeber. 

Nach der Veröffentlichung der „Römischen Götter- und Heldensagen“ und der Auseinandersetzung mit den Gedichten Friedrichs des Großen erschloss er sich den für ihn erreichbaren Komplex der Literatur von und über Homer. Dieser Dichter stand am Anfang der altgriechischen Literatur, galt in der Antike als deren „Übervater“ und prägte mit seiner Sprache und seinen Inhalten die antike Geisteshaltung. Die antiken Werte erlebten in der Goethe-Zeit eine Renaissance, was dann auch die Schulbildung in den Gymnasien bis in die Scheffer-Zeit prägte. Das galt vor allem auch für die Rezeption der Epen „Ilias“ und „Odysseus“ von Homer mit dem zehnjährigen Ringen der Griechen um die Stadt Troja und die Irrfahrten sowie die Heimkehr des Trojakämpfers Odysseus.  

Aufsehen in der Fachwelt

Diese Lektüre des Homer-Stoffes bewog Scheffer im Zusammenhang mit intensiven Sprachstudien zu eigenen Übersetzungen, wobei er zahlreiche Feinheiten sprachlich neu ins Bild setzte und interpretierte. 1913 erschien nach einigen Berlin-Jahren sein „Ilias“ nach Homer auf dem deutschen Büchermarkt. Danach weilte er zu vertiefenden Studien für längere Zeit in Rom. Ab 1914 lebte und arbeitete er wieder in München. 1918 brachte Scheffer dann seinen „Odysseus“ nach Homer heraus. Das erregte wie schon zuvor die „Ilias“-Übersetzung in der Fachwelt Aufsehen, wiewohl der ausufernde Erste Weltkrieg in seiner Endphase ein breiteres Echo in der Öffentlichkeit einschränkte. Scheffer hatte nun einen Namen als trefflicher Homer-Übersetzer.

Ab 1927 wirkte er erneut für lange Zeit in Berlin. Hier brachte Scheffer nach akribischer Vorarbeit „Homers Philosophie“ und „Die philosophischen Schriften von Seneca“ heraus. Mit Seneca drang er weiter in die antike Geisteswelt vor. Lucius Annaeus Seneca war zu Beginn der Zeitrechnung ein römischer Dichter, Philosoph und Politiker, der unter Kaiser Nero ein großes Vermögen erwarb, den römischen Stoizismus begründete und nach einer unbewiesenen Beteiligung an einer Verschwörung zum Suizid gezwungen wurde. 

Scheffer erschloss sich diesen Vater der jüngeren Stoa auf moderne Art und sorgte so für eine größere Verbreitung in Deutschland. Es folgten Reisen in die Schweiz, nach Frankreich und Italien, eine Neubearbeitung der „Ilias“ und der „Odyssee“, die Beschäftigung mit den Werken von Hesiod, der als altgriechischer Dichter, Vater des Lehrgedichtes und früher Vertreter einer „politisch-parteilichen Poesie“ gilt, und schließlich der Wechsel zu den Werken von Vergil. Dessen „Aeneis“ brachte Scheffer 1942 heraus. Wieder war Krieg. Der Schriftsteller verschanzte sich vor dem neuen Waffengang und dem Holocaust der Nationalsozialisten hinter den von ihm geliebten Werken der Antike, deren humanistische Deutung, Vermittlung und Eindeutschung er sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte.

Er überlebte mit seiner Nischen-Beschäftigung den Zweiten Weltkrieg und widmete sich dann Ovids „Metamorphosen“, die in der Zeit der Klassik schon Johann Wolfgang von Goethe gefesselt hatten. Das war seine letzte große Arbeit, ehe der der Vermittler antiker Werte am 27. November 1951 in Berlin starb. Er wurde 78 Jahre alt.