Der Kurs der türkischen Lira hatte am Abend des Wahlsieges von Recep Tayyip Erdoğan ein neues Rekordtief erreicht und hatte sich nicht erholt, bis der im Amt bestätigte Staatspräsident seinen neuen Finanzminister Mehmet Şimşek vorstellte. Der britisch-türkische studierte Ökonom kurdischer Abstammung gilt als entschieden wirtschaftsliberal und wird mit Erdoğans islamischer Wirtschaftspolitik bald ein Ende machen. Letzteres hoffen zumindest viele um ihr Vermögen gebrachte Türken, die diesmal Erdogan nicht mehr gewählt hatten. Seitdem ist die Stimmung an Istanbuls Börse spürbar angespannt. Es gibt ein Liquiditätsproblem. Die Leute versuchen zu verkaufen, aber sie können es nicht.
In den drei Wochen seit der Wiederwahl des türkischen Präsidenten ist der Wert der Lira weiter stark gesunken. Das Land befindet sich in einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise. Der Wert der Lira hat sich in zwei Jahren halbiert, und die Inflation liegt offiziell bei 39,59 Prozent, inoffizielle Schätzungen der türkischen Inflationsforschungsgruppe beziffern sie auf über hundert Prozent.
Şimşek neuer Finanzminister
Wirtschaftswissenschaftler von Bloomberg gehen davon aus, dass die türkischen Behörden seit dem Absturz der Lira im Dezember 2021 177 Milliarden US-Dollar zur Stützung der Lira ausgegeben haben. Im Moment steht die Lira bei vier Cent. 25,92 Lira bekommt man derzeit für einen Dollar. Vor den Wahlen herrschte eine hektische Betriebsamkeit, da die um die Wirtschaft besorgten Menschen in Scharen zum Basar strömten, um ihr Geld in Dollar zu tauschen. Nach Angaben der türkischen Finanzzeitung „Ekonomim“ hat die türkische Zentralbank selbst fünf Milliarden Lira auf den Großen Basar gebracht, um sie in Dollar umzutauschen, und das in einer Zeit, in der die Devisenknappheit hoch ist.
Finanzminister Şimşek will statt des Versuchs, mit Stützungskäufen die Lira zu stabilisieren, zusammen mit der neuen Zentralbankchefin Hafize Gaye Erkan mit einer Zinserhöhung die Inflation bekämpfen. Deshalb wurde am 22. Juni der Leitzinssatz von 8,5 auf 15 Prozent erhöht. Der Markt hatte jedoch eine Erhöhung auf 25 Prozent erwartet. Aber eine derart starke Anhebung des Zinssockels würde Şimşek wahrscheinlich politisch nicht überleben, denn nach Erdoğans strikter „islamischer Wirtschaftspolitik“ sind Zinsen gemäß dem Koran eigentlich gänzlich verboten.
Deshalb könnte der Finanzminister die Zinssätze schrittweise anheben, um den Präsidenten nicht zu verschrecken, der entgegen jedweder Wirtschaftslogik davon ausgeht, dass höhere Zinssätze die ,Inflation eher verursachen als eindämmen. Auf dem Rückweg von seinem fünften Staatsbesuch in Aserbaidschan erklärte Erdoğan vor Reportern, er sei bereit, Şimşek zum Erfolg zu verhelfen, erklärte aber paradoxerweise auch, dass „seine Meinung unverändert“ sei, was Fragen der islamischen Wirtschaftspolitik angehe.
Deutschtürken sind skeptisch
Şimşek hatte zuvor bei Merrill Lynch in London sowie bei der Investmentbank UBS an der Wall Street gearbeitet. „Wir erwarten mittel- bis langfristig gute Dinge“, sagt er, aber auch: „Kurzfristig jedoch nicht.“ Erkan ist bereits die fünfte türkische Zentralbankchefin in fünf Jahren. Erdoğan hat immer mehr Einfluss auf diese Funktion. Wie Şimşek hat auch Erkan in den USA gearbeitet. Von 2005 bis 2014 war sie als leitende Analystin mit dem Schwerpunkt Banken bei Goldman Sachs tätig. Danach war sie stellvertretende Vorstandsvorsitzende der 1985 gegründeten First Republic Bank. 2021, ein Jahr vor dessen Zusammenbruch, verließ sie das börsennotierte Finanzhaus mit Sitz in San Francisco.
In der türkischen Tourismusbranche hatte man auf einen Ansturm westlicher Touristen gehofft, weil diese nun wegen des Liraverfalls günstiger im Land Urlaub machen können, sofern denn nicht der niedrigere Preis für die Lira durch höhere Preise in Lira wettgemacht wird. Aber selbst die Urlauber kommen im Moment nicht. Das mag an Erdoğans Wahlsieg liegen. Selbst seine Wähler in Deutschland, die nicht vom Liraverfall betroffen sind, scheinen ihrem Idol nicht zuzutrauen, dass er die Wirtschaft noch einmal in den Griff bekommt. Vielleicht scheuen sie die Reise in die Türkei, weil viele Deutschtürken wegen Präsidentenbeleidigung, zu der auch Kritik an der Wirtschaft gehört, in türkischen Gefängnissen sitzen.


