17.11.2025

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Folge 27-23 vom 07. Juli 2023 / Zweiter Weltkrieg / Das blutige Ende im Westen / Seit einigen Wochen ist das Kriegsgeschehen in Frankreich 1944 in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Eine unvoreingenommene Betrachtung ergibt, dass von allen Parteien schwere Kriegsverbrechen begangen wurden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-23 vom 07. Juli 2023

Zweiter Weltkrieg
Das blutige Ende im Westen
Seit einigen Wochen ist das Kriegsgeschehen in Frankreich 1944 in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Eine unvoreingenommene Betrachtung ergibt, dass von allen Parteien schwere Kriegsverbrechen begangen wurden
Wolfgang Kaufmann

Als der 98 Jahre alte Franzose Edmond Réveil vor einigen Wochen öffentlich machte, dass seine Résistance-Gruppe am 12. Juni 1944 47 kriegsgefangene Wehrmachtssoldaten in einem Waldgebiet unweit des Dorfes Meymac kaltblütig ermordet hatte, wurde dieses Geständnis umgehend historisch „eingeordnet“. Man müsse den Fall vor dem Hintergrund deutscher Übergriffe sehen. Immerhin seien nur zwei Tage zuvor in Oradour-sur-Glane 643 Franzosen, darunter auch zahlreiche Frauen und Kinder, von Angehörigen der 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ massakriert worden. 

Allerdings nahm die Kriegführung in Frankreich bereits seit dem Tag der alliierten Landung in der Normandie auf allen Seiten höchst brutale Züge an. Was die diesbezüglichen Unterschiede zwischen den Kriegsgegnern angeht, kam der deutsche Militärhistoriker und Autor der 2014 bei C.H. Beck in München erschienenen Monographie „Unternehmen Overlord. Die Invasion in der Normandie und die Befreiung Westeuropas“, Peter Lieb, zu dem Schluss, dass sich die westalliierten und deutschen Streitkräfte zwar fundamental darin unterschieden, wofür sie kämpften, aber „kaum darin, wie sie kämpften“.

Westalliierte Völkerrechtsverstöße

Am D-Day, dem Tag der alliierten Landung in der Normandie, bombardierten Flugzeuge der britischen Royal Air Force (RAF) und der United States Army Air Forces (USAAF) etliche Städte in der Region wie Caen, was zum Tod von rund 15.000 französischen Zivilisten führte. Dazu kamen im weiteren Verlauf der Operation Overlord mehrere Tausend Opfer unter der Bevölkerung in der Normandie durch Luftangriffe der Alliierten. 

Und auch bei den Kämpfen am Boden wurde das Kriegsvölkerrecht von Anbeginn an mit Füßen getreten. Wie der britische Historiker Antony Beevor in seinem Buch „D-Day. Die Schlacht um die Normandie“ nachweist, erschossen abgesetzte alliierte Fallschirmjäger vielfach deutsche Soldaten, die sich in Gefangenschaft begeben wollten. So geschehen unter anderem am Tag der Landung in der Ortschaft Audouville-la-Hubert auf der Halbinsel Cotentin. 

Ähnlich ging es an den Stränden der Normandie zu. Beispielsweise meldeten die Stabsoffiziere der 1. US-Infanteriedivision im Verlaufe des 6. Juni 1944 die Gefangennahme von 130 Wehrmachtsangehörigen am Omaha Beach. Am Abend des D-Day war deren Zahl dann aber plötzlich auf 66 geschrumpft. 

Dem folgten während des alliierten Vormarsches diverse weitere Kriegsverbrechen. Nicht zuletzt gilt als sicher, dass Angehörige des II. Kanadischen Korps Anfang August 1944 in der Schlacht um Falaise eine unbekannte Anzahl von gefangenen Angehörigen der 12. SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“ töteten.

Viel Aufmerksamkeit erregte zudem der Fall des französischen Offiziers Robert Galley von der 2. Panzerdivision der Forces françaises libres (FFL). Diesem wird vorgeworfen, am 12. September 1944 in Andelot den Befehl erteilt zu haben, deutsche Soldaten nach ihrer Kapitulation zu erschießen. Darüber hinaus soll er für einige weitere Massaker verantwortlich gewesen sein, wie das von Herbsheim im Elsass, wo es am 2. Dezember 1944 zur Ermordung von rund 200 Angehörigen der Waffen-SS kam. Galley wurde dafür nie zur Verantwortung gezogen, sondern machte im Frankreich der Nachkriegszeit eine steile Karriere als Politiker. So war er unter anderem Minister für Wohnungsbau, Postminister, Verkehrsminister und Verteidigungsminister. 

Deutsche Völkerrechtsverstöße

Die deutsche Seite beging ab dem D-Day vergleichbare Kriegsverbrechen. Als Beispiele hierfür seien die Erschießung von sieben entwaffneten US-Fallschirmjägern bei Hémevez und das Massaker an 18 kanadischen Kriegsgefangenen in der Abbaye d’Ardenne in Villons-les-Buissons bei Caen genannt. 

Und auch im späteren Verlauf des Jahres 1944 exekutierten Einheiten der Wehrmacht und Waffen-SS gegnerische Soldaten nach deren Kapitulation. Besondere Bekanntheit erlangte hier die Tötung von 82 Angehörigen der US-Armee am 17. Dezember 1944 unweit der belgischen Stadt Malmedy durch die Kampfgruppe Peiper innerhalb der 1. SS-Panzer-Division „Leibstandarte SS Adolf Hitler“. Ein zentraler Befehl, alliierte Kriegsgefangene zu erschießen, die an regulären Kampfhandlungen teilgenommen hatten, existierte nicht. Lieb weist darauf hin, dass im Operationsgebiet der Waffen-SS-Division „Hitlerjugend“ nach dem D-Day mindestens 187 gegnerische Soldaten im Anschluss an ihre Gefangennahme getötet wurden, während zwei andere Großverbände der Waffen-SS keine derartigen Kriegsverbrechen begingen. 

Hohe Verluste auf beiden Seiten

Die beiderseitige Verrohung im Zuge der Kämpfe in Frankreich korrespondierte mit hohen Opferzahlen auf beiden Seiten. So waren die deutschen Verluste im Westen in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 prozentual doppelt so hoch wie bei den Gefechten an der Ostfront. Zu konstatieren ist auch die folgende Korrelation: Je geringer die eigene Verwicklung in Gefechte, desto härter das anschließende Auftreten gegenüber gefangengenommenen Gegnern.

Die hohen Verluste waren aber nicht der einzige Grund für die Gewaltausbrüche. Mit Beginn der Landung in der Normandie kam es in einigen Teilen Frankreichs zu einem regelrechten Partisanenaufstand. Zehntausende Mitglieder der Résistance erhoben sich, um die alliierten Truppen zu unterstützen und den deutschen Nachschub für die Invasionsfront zu blockieren. In diesem Zusammenhang begingen sie vor allem Sabotageakte, töteten aber auch deutsche Soldaten im Gefecht oder nach deren Gefangennahme. Letzteres passierte nicht nur in Meymac, sondern ebenso in Vieugy in der Region Auvergne-Rhône-Alpes, Les Rousses im Département Jura, Saint-Julien-de-Crempse in der Dordogne und an anderen Orten. Nach Schätzungen von Lieb ermordeten französische Widerstandskämpfer allein im Spätsommer 1944 um die 350 deutsche Gefangene. Anschließend schändeten sie teilweise noch deren Leichen.

Brutalität des Partisanenkriegs 

Dem gegenüber stehen die Strafaktionen gegen die Résistance, bei denen es zahlreiche Opfer unter der unbeteiligten Zivilbevölkerung gab, weil diese fälschlich mit dem Widerstand in Verbindung gebracht wurde oder einfach ein drastisches Exempel statuiert werden sollte, um die Franzosen zu entmutigen, gegen die Besatzer aufzubegehren. Das war sowohl in Oradour der Fall, als auch beispielsweise in Issendolus, Tulle, Argenton-sur-Creuse, Mussidan, Valreas, Vassieux-en-Vercors, Buchères, Maillé und im Tal der Saulx, wo Wehrmachts- und Waffen-SS-Einheiten zwischen dem 8. Juni und 29. August 1944 insgesamt nochmals um die 650 französische Zivilisten massakrierten.

Am 21. Januar 1945 endete das letzte Aufbäumen der Deutschen, die am 16. Dezember 1944 begonnene Ardennenoffensive, mit einem strategischen und operativen Sieg der Westalliierten. Der Kriegssieg der Alliierten war klarer denn je – und dass sie die Vergeltung eines deutschen Siegers nicht mehr zu befürchten hatten.

Zäsur der Ardennenoffensive

Der Anfang des Jahres 1945 stellte auch insoweit eine Zäsur dar, als seitdem im Westen fast nur noch deutsche Soldaten Opfer von verbrecherischen Handlungen wurden. Gleich am Neujahrstag des letzten Kriegsjahres metzelten Angehörige der B-Kompanie des 21. Gepanzerten Infanteriebataillons der 11. US-Panzerdivision nahe dem belgischen Dorf Che­nogne, das in der Nähe von Bastogne liegt, zwischen 70 und 80 bereits entwaffnete Angehörige der 3. Panzergrenadierdivision der Wehrmacht nieder. Darunter befanden sich 21 Verwundete und Sanitäter mit Rot-Kreuz-Armbinden. 

Für diese Untat wurde bis heute niemand zur Verantwortung gezogen. Das verwundert nicht, wenn man den persönlichen Tagebucheintrag des Oberkommandierenden der 3. US-Armee, Generalleutnant George S. Patton, vom 4. Januar 1945 kennt. Darin heißt es über das Massaker von Chenogne: Die 11. Division „ist sehr grün und hat unnötige Verluste hinnehmen müssen, ohne dass diese Erfolge bewirkt hätten. Ermordete außerdem etwa 50 deutsche Ärzte. Ich hoffe, wir können das verheimlichen.“ Dies gelang dann auch zunächst.

Morden mit und ohne Befehl

Wie heute bekannt ist, hatten einige US-Verbände den offiziellen Befehl, keine Angehörigen der Waffen-SS oder überhaupt keine Soldaten und Offiziere des Gegners gefangen zu nehmen, sondern diese sofort zu töten. Das galt nachweislich für das 180. und 328. Infanterieregiment sowie die 101. Luftlandedivision. Andere US-Soldaten handelten aus eigener Initiative.

Über Massentötungen deutscher Soldaten nach ihrer Gefangennahme informiert unter anderem eine Auflistung des evangelischen Geistlichen Wilhelm Feldner für den Zeitraum vom 15. März bis 1. Mai 1945. Laut Feldner verübten US-Truppen damals allein im Raum zwischen dem Saargebiet und dem Alpenvorland 21 Massaker mit teilweise oft mehreren Dutzend Opfern. 

Das meiste Aufsehen erregten hier die Erschießung von bis zu 30 gefangenen Pionieren durch das 254. Infanterieregiment bei Jungholzhausen am 15. April 1945 und die Ermordung von 36 wehrlosen jungen Deutschen, die einem Waffen-SS-Ausbildungsbataillon angehörten, in Lippach am 22. April 1945. In letztgenanntem Falle gehörten die Täter zur 12. US-Panzerdivision. Nicht selten schossen die GI die gefesselten Opfer ins Genick oder sie erschlugen sie mit ihren Gewehrkolben. 

Später komplettierte der ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der TU Dresden und Autor des 1995 bei Oldenbourg in München erschienenen Buches „Die amerikanische Besetzung Deutschlands“, Klaus-Dietmar Henke, Feldners Liste. Er fand Hinweise auf insgesamt 92 Kriegsverbrechen der Amerikaner in Süddeutschland.

Tötung von KZ-Wachpersonal

Nach der Befreiung einiger Konzentrationslager kam Selbstjustiz an den Bewachern von der SS als Kriegsrechtsverstoß hinzu. Ein typischer Fall dieser Art ist die systematische Erschießung von 39 SS-Männern, welche die Waffen gestreckt hatten, im Zuge der Einnahme des Konzentrationslagers Dachau durch die I-Kompanie des 157. Infanterieregiments unter Leutnant William Walsh am 29. April 1945. 

In diesem Falle empfahl der Stellvertretende Generalinspekteur der 7. US-Armee, Joseph Whitaker, die Eröffnung eines Kriegsgerichtsverfahrens gegen die Täter. Das wurde jedoch durch Patton verhindert. Als erster US-Militärgouverneur von Bayern seit dem 9. Mai 1945 war er dazu in der Lage.