Vor mehr als 300 Jahren beschrieb der französische Literat Nicolas Boileau erstmals das Phänomen der Dekadenz. Dieses ist heute präsenter denn je, denn die Reichen unserer Tage übertreffen ihre Vorläufer im 17. Jahrhundert in puncto egomanischer Impertinenz gleich um mehrere Größenordnungen. Ein typischer Ausdruck dessen sind die protzigen Superjachten, welche sich schier explosionsartig vermehren. Beispielsweise wurden 2021 fast doppelt so viele solcher Schiffe in Auftrag gegeben wie 2020, nämlich um die 1000. Dabei dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die erste Superjacht von 200 Metern Länge zum Kaufpreis von mehr als einer Milliarde Euro über die Weltmeere schippert.
Als derzeitiger Rekordhalter gilt die „Eclipse“, die dem russisch-israelisch-portugiesischen Unternehmer Roman Abramowitsch gehört und momentan in einem türkischen Hafen liegt, um der Beschlagnahme aufgrund der Sanktionen gegen Russland zu entgehen. Für dieses 162-Meter-Schiff soll der Oligarch 850 Millionen Euro hingeblättert haben. Und das einmalige Volltanken eines Monstrums wie der „Eclipse“, welches in der Stunde 2000 Liter Treibstoff verbraucht, kostet nochmals um die anderthalb Millionen Euro. Dafür ist der ökologische Fußabdruck der Superjachten dann auch gigantisch: Abramowitschs schwimmendes Statussymbol produziert etwa 33.000 Tonnen CO₂ pro Jahr, während der Durchschnittsdeutsche gerade auf neun Tonnen kommt.
Die Dekadenz der Superjachten äußert sich aber nicht nur in den exorbitanten Kaufpreisen und Betriebskosten sowie der verheerenden Umweltbilanz oder dem Umstand, dass aus den Duschen an Bord auf Wunsch durchaus auch mal Champagner statt Wasser spritzt. Hierauf verweist jetzt Boileaus Landsmann Grégory Salle in seinem kürzlich erschienenen Buch „Superjachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“. Darin meint der Pariser Politikwissenschaftler, die Schiffe würden von ihren Besitzern keineswegs bloß genutzt, um Bewunderung und Neid zu erregen, sondern ebenso, um „sich von den gemeinsamen Grenzen freizumachen und auf Distanz zum gemeinen Volk zu gehen“.
So hätten die Normalbürger während der Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie eingesperrt und verängstigt zu Hause gehockt, während die Reichen die Freiheit der Meere und das beruhigende Gefühl genossen, die besten Überlebenschancen von allen zu besitzen. Doch damit nicht genug: Neben dem „Survivalismus-Separatismus“ erlaube der Besitz einer eigenen Superjacht samt Hubschrauberlandeplatz genau jene Form von „Hypermobilität“, welche die „globalisierte Hyperbourgeoisie“ kennzeichne. Dazu komme noch, dass man auf den Schiffen der Polizei und Justiz aus dem Wege gehen und sich jederzeit in „exterritoriale Zonen par excellence“ flüchten könne. Damit stünden die schwimmenden Luxuspaläste für eine nachgerade obszöne Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
All dies veranlasste einen Rezensenten von Salles Buch zu der Äußerung, dass das Dekadenzphänomen Superjacht „schlechterdings … nach der Guillotine ruft“. W.K.