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Folge 29-23 vom 19. Juli 2023 / Deutsches Historisches Museum / Eine museal gemachte lebende Legende / Man sollte viel Zeit mitbringen, wenn man im Pei-Bau die Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ besucht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-23 vom 19. Juli 2023

Deutsches Historisches Museum
Eine museal gemachte lebende Legende
Man sollte viel Zeit mitbringen, wenn man im Pei-Bau die Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ besucht
Dirk Klose

Inzwischen ist Wolf Biermann 86 Jahre alt und nach wie vor voller Witz und Selbstironie. Gefragt, wie er sich fühle, wo über ihn jetzt eine Ausstellung in einem historischen Museum eröffnet wird, sagte er: „Was kann ich dafür? Ich lebe doch noch!“ Zur Eröffnung der Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ kam er nach Berlin ins Deutsche Historische Museum (DHM). Dessen Präsident Raphael Gross sagte zur Rechtfertigung: „Seine Geschichte ist Geschichte!“

Das Leben des am 15. November 1936 in Hamburg geborenen Liedermachers, Dissidenten, Dichters und unangepassten Intellektuellen wird im Pei-Bau des Museums – das Haupthaus, das berühmte Zeughaus, wird gegenwärtig restauriert – mit rund 280 Objekten, darunter 38 Medienstationen, illustriert. Es ist keineswegs nur eine Lese-Ausstellung, sondern Filme, Plakate, Bilder, Texte sowie Bild- und Tondokumente ergeben eine sonst im DHM nicht allzu oft anzutreffende kurzweilige Multimediaschau.

„Seine Geschichte ist Geschichte!“

Biermanns Lebensweg wird durch alle Stationen illustriert. Thematisiert werden seine Kindheit in Hamburg mit Bildern des 1943 in Auschwitz ermordeten Vaters und der Mutter, die nach Biermanns Umzug 1953 in die DDR in Hamburg geblieben ist. Sein frühes künstlerisches Talent, das – ein uraltes Tondokument bezeugt es – sogar Hanns Eisler imponierte, steht ebenso im Fokus wie seine immer aufmüpfiger werdenden Lieder, die ihm 1965 seitens der SED Auftritts- und Berufsverbot einbrachten. 1976 durfte er in die Bundesrepublik reisen. Das legendär gewordene Konzert in Köln am 13. November nahm die DDR-Führung zum Anlass, ihn auszubürgern. Sein Hab und Gut wurde ihm in 40 sowjetischen Holzkisten nach Hamburg geschickt. Die Ausstellung zeigt eine davon. 

Gleich beim Eintritt sieht man Biermanns Harmonium, das er in Köln gespielt hat. Die Ausstellung zeigt ferner eine seiner berühmten Gitarren, sein frühes Regiebuch als Assistent am Berliner Ensemble, einen Blechkanister aus Wehrmachtsbeständen, in dem ein Freund Biermanns Tagebücher, als er unerbetene Besuche der Stasi befürchten musste, versteckt hatte. Ins Visier der Stasi geriet er spätestens 1962. Nach der friedlichen Revolution konnte er seine 50.000 Seiten umfassende Akte bei der Gauck-Behörde lesen. In ihr fand er annähernd 200 Spitzel. Auch von der Stasi eingesetzte Gerätschaften werden gezeigt. Dazu gehört eine Observierungskamera von Zeiss ebenso wie Abhörwanzen, die kaum größer als ein Fingerhut sind.

1950 war Biermann als damals noch in Hamburg lebender Sprecher von 800 westdeutschen Thälmann-Pionieren Gast beim Weltjugendtreffen in Ost-Berlin. Dort trat er vor DDR-Präsident Wilhelm Pieck auf. Eine vergilbte Zeitung zeigt einen strahlenden Jungen. Die Fotografin Barbara Klemm hatte 1976 Biermanns Konzert in Köln in vielen Bildern festgehalten, die nun ebenso zu sehen sind wie ihre Serie, die sie vor einiger Zeit in Hamburg vom dem inzwischen schlohweiß gewordenen Liedermacher gemacht hat. 

Natürlich ist die Ausstellung auch eine des Lesens. Es sind teils heitere, teils grausame Texte und Dokumente. So Biermanns Gedichte und Lieder, die fast alle von Anfang an nur im Westen erscheinen konnten. Ein offenbar aus Privatbesitz stammendes Blatt des Standesamtes Auschwitz informiert, dass der Vater Dagobert dort am 22. Februar 1943 verstorben sei. Als Biermann 1976 ausgebürgert wurde, protestierten in der DDR Künstler und Wissenschaftler gegen diese Entscheidung. Dem Protest schlossen sich bald mehrere hundert weitere an. Das hatte es in dieser Form noch nicht gegeben. Auch dies wird in der Ausstellung thematisiert. 

Die SED reagierte panisch, zwang manche zum Widerruf, verhaftete andere, die zum Teil Gefängnisstrafen erhielten. Zu den Betroffenen gehörte die Künstlerin Gabriele Stötzer. In einem Video erinnert sie sich an den damaligen Schock: „Ich war in der Zelle und spürte auf einmal, mein bisheriges Leben ist vorbei.“ 

Als der engste Freund Robert Havemann 1982 stirbt, macht Biermann den tollkühnen Versuch, beim Staats- und Parteichef Erich Honecker direkt um eine einmalige Einreise zu bitten, die ihm dieser – wie Havemann Häftling im Zuchthaus Brandenburg-Görden während der NS-Zeit – gewährt. Die Ausstellung zeigt Katja Havemanns berührendes Video des todkranken Vaters, der gleichwohl mit fester Stimme eine bessere Welt durch Änderung der bestehenden Verhältnisse erhofft. Biermann singt ihm darauf sein furioses „Soldat Soldat“-Lied.

Sein Gesang steht im Zentrum

Folgerichtig bauten die Ausstellungsmacher auf Biermanns bekannteste Kunstfertigkeit: den Gesang. Inmitten der Schau wurde eine Art Medienstation installiert, an der man in einem faszinierendem Arrangement Biermann selbst mit Liedern aus all seinen Jahren in Ost und West hören kann. Als Wand dient das vergrößerte, zur Ikone gewordene Cover der ersten Langspielplatte „Chausseestraße 131“. Damals hatte er schon Berufsverbot, seine Wohnung nutzte er auch als Tonstudio. Inzwischen sind seine Lieder in viele Sprachen übersetzt. Die evangelische Kirche Schwedens hat sein wohl bekanntestes Lied „Ermutigung“ („Du lass dich nicht verhärten“) in ihr Kirchengesangsbuch aufgenommen. Auch von diesem ist in Berlin ein Exemplar zu sehen.

Viel Ton, viele Bilder, viel Text – man braucht Zeit, immer wieder bleibt man hängen, findet Interessantes und macht die Erfahrung, wie ein Leben, das man zumindest als Älterer irgendwie miterlebt hat, nicht museal, sondern frisch und lebendig wirkt. Wer viel Zeit mitbringt, kann sich das vierstündige Kölner Konzert in voller Länge anschauen. Und damit sich auch die Kleinsten nicht langweilen, wenn sie im Schlepptau ihrer Eltern kommen, wurde eigens eine Kinderausstellung mit speziellen Führungen eingerichtet. Das Logo ist, wie könnte es anders sein, ein Wolf.

b Weitere Informationen über die noch bis zum 14. Januar zu sehende Ausstellung erteilt das Deutsche Historische Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin, Telefon (030) 203040, E-Mail: info@dhm.de