07.11.2025

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Folge 29-23 vom 19. Juli 2023 / Wolhynien 1943 / Der gemeinsame Feind Russland macht’s möglich / Polen und die Ukraine gedenken gemeinsam einem der schwärzesten Kapitel ihrer bilateralen Beziehungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-23 vom 19. Juli 2023

Wolhynien 1943
Der gemeinsame Feind Russland macht’s möglich
Polen und die Ukraine gedenken gemeinsam einem der schwärzesten Kapitel ihrer bilateralen Beziehungen
Bodo Bost

Am 11. und 12. Juli 1943 zerstörten ukrainische Partisanen mehr als hundert zumeist polnische Dörfer im westukrainischen Wolhynien und töteten Zehntausende Bewohner. Dies war der Höhepunkt des „wolhynischen Massakers“, wie diese Ereignisse heute in Polen bezeichnet werden. In der zweiten Jahreshälfte begingen polnische Partisanen Vergeltungsangriffe auf ukrainische Nachbardörfer. Die deutsche Wehrmacht, die das Gebiet beherrschte, schaute zu. Die Massenmorde in Wolhynien in der heutigen Westukraine waren ein trauriger Höhepunkt eines jahrhundertealten polnisch-ukrainischen Konflikts, der in der Zeit des Zweiten Weltkriegs grausam eskalierte.

Während des Kalten Krieges, als Polen und die Sowjetunion Verbündete waren, wurden die Massaker vertuscht, eine Aufarbeitung war nicht möglich. Nun bemühen sich die katholischen Ortskirchen und die Regierungen beider Länder um Aussöhnung. Nach Schätzungen polnischer Historiker fielen den Massakern zwischen 80.000 und 100.000 Polen und nach Schätzungen ukrainischer Historiker zwischen 20.000 bis 30.000 Ukrainer zum Opfer, die meisten davon im Jahr 1943 in Wolhynien. 

Gottesdienst in Luzk

Drei Tage lang fanden in Polen und der Ukraine Gedenkveranstaltungen mit kirchlichen und staatlichen Vertretern beider Länder statt. Höhepunkt war ein Gottesdienst am 9. Juli in der katholischen Kathedrale St. Peter und Paul in Luzk, heute Hauptstadt der westukrainischen Oblast Wolhynien. An diesem Gottesdienst nahmen auch die Präsidenten Polens und der Ukraine, Andrzej Duda und Wolodymyr Selenskyj, teil. Beide zogen nebeneinander mit einer leuchtenden Vase in Form einer Urne in die Kirche ein. „Gemeinsam gedenken wir aller unschuldigen Opfer Wol­hyniens! Das Gedenken verbindet uns! Gemeinsam sind wir stärker!“, sagten sie. 

Während des Gottesdienstes wurde eine gemeinsame Botschaft des römisch-katholischen Erzbischofs von Posen und Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, und des Großerzbischofs von Kiew-Halytsch der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, Swjatoslaw Schewtschuk, verkündet und unterzeichnet. Darin heißt es rückblickend: „Die Geschichte der Beziehungen zwischen dem polnischen und dem ukrainischen Volk ist voll von schönen, guten und heldenhaften Taten, aber leider auch von schwierigen und dramatischen Ereignissen.“ 

Die Botschaft lässt erkennen, dass hinter der aktuellen ukrainisch-polnischen Annäherung die Weisheit steckt, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist. So heißt es dort bezüglich der Gegenwart: „Die 2014 begonnene russische Aggression gegen die Ukraine, die nun die Form eines ausgewachsenen Krieges angenommen hat, macht uns erneut bewusst, dass die Versöhnung zwischen unseren Völkern und die Zusammenarbeit zwischen einem freien Polen und einer freien Ukraine wesentliche Voraussetzungen für den Frieden in unserem Teil Europas sind.“ 

Die Unterzeichner wiesen ferner darauf hin, dass bei der Versöhnung „alle am Konflikt beteiligten Parteien einbezogen werden müssen“ und dass „Versöhnung nur auf Wahrheit und Gerechtigkeit aufgebaut werden kann“. Beide Seiten waren sich einig, die Leichen der Ermordeten zu exhumieren und alle Opfer der Massaker würdig zu bestatten. 

Spitzen von Staat und Kirche

Gądecki sagte, die Wahrheit verlange es, auch an die Opfer anderer Nationalitäten zu erinnern, „denn nicht nur Polen, sondern auch Juden, Tschechen, Armenier, Roma und rechtschaffene Ukrainer, die Polen gerettet haben, starben durch die Hand von nationalistischen Ukrainern“. „Wir wenden uns gegen die Verherrlichung der ukrainischen Nationalisten“, fügte der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz hinzu. Schewtschuk verwendete die berühmte Formel „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ aus der Botschaft, die am 18. November 1965 von den polnischen katholischen Bischöfen an ihre Amtsbrüder der Deutschen Bischofskonferenz in der Bundesrepublik Deutschland gesandt worden ist.